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JVA Gablingen: Bayerische Strafverteidiger gehen auf Barrikaden

JVA Gablingen

„Einfach nur sprachlos“: Bayerische Strafverteidiger kritisieren Ministerium und stellen Forderungen

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    Welche Konsequenzen werden aus dem Skandal um die JVA Gablingen gezogen? Die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger stellt Forderungen an den Justizminister.
    Welche Konsequenzen werden aus dem Skandal um die JVA Gablingen gezogen? Die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger stellt Forderungen an den Justizminister. Foto: Timian Hopf

    Mit großem Interesse hat Nico Werning die Pressekonferenz von Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Donnerstagvormittag verfolgt. Nicht nur, weil sich derzeit zwei seiner Mandanten im Skandal-Gefängnis JVA Gablingen in Untersuchungshaft befinden. Der Münchner Rechtsanwalt ist Vorsitzender der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger. Mit einem offenen Brief wendet sich der Verein mit knapp 300 Mitgliedern nun an den Justizminister. Darin werden Vorwürfe gegen das Ministerium erhoben und konkrete Konsequenzen gefordert.

    Der Fall der JVA Gablingen bei Augsburg lasse ihn einfach nur sprachlos zurück, sagt Strafverteidiger Nico Werning im Gespräch mit unserer Redaktion. „Man kann nur hoffen, dass der mutmaßliche Misshandlungsskandal ein Einzelfall unter Gefängnissen ist“, betont der 45-Jährige, der als Anwalt unter anderem den früheren Wirecard-Chef Markus Braun vertritt. Auch Braun saß einst viele Monate in der JVA Gablingen hinter Gittern. Der Jurist macht sich in diesen Tagen, in denen sich die Nachrichten über mögliche Vorfälle und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft überschlagen, viele Gedanken. Auch darüber, dass sich das System eines Gefängnisses selbst schütze. „Viele Bedienstete wollen ihren Job sicherlich ordentlich machen. Dennoch wird es welche geben, die ihre Macht ausnützen.“ Auf ihn wirke es so, als habe sich seit den Erkenntnissen aus dem Stanford Prison Experiment aus dem Jahr 1971 nichts geändert.

    Strafverteidiger zu Skandal um JVA Gablingen: „Häftlinge haben keine Lobby“

    Amerikanische Psychologen hatten damals ein Gefängnis installiert, um eine Feldstudie zum menschlichen Gewaltverhalten durchzuführen. Das Experiment, das später auch verfilmt wurde, lief aus dem Ruder. Menschliche Abgründe taten sich dabei auf. Häftlinge waren Gewalt hilflos ausgeliefert. Auch im wahren Leben „haben Häftlinge keine Lobby“, so der Anwalt. Mandanten würden sich selbst ihren Anwälten gegenüber selten über vermeintliche Vorfälle beschweren, sie befürchteten sonst mögliche Repressalien im Knast. Umso überraschender und bemerkenswerter findet er den Schritt der Augsburger Anwältin Alexandra Gutmeyr, mit dem Einverständnis ihrer betroffenen Mandanten an die Öffentlichkeit zu gehen. Als „schrecklich“ und „unwürdig“ nannte Gutmeyr den Umgang mit den beiden Männern in den besonders gesicherten Hafträumen. Die Initiative um den Vorsitzenden Nico Werning stellt im Schreiben an den Justizminister mehrere Forderungen.

    Nämlich eine engmaschigere Aufsicht über die besonders gesicherten Hafträume. Grundsätzlich dürfen Insassen dort nur vorübergehend untergebracht werden, wenn von ihnen Gefahr ausgeht oder akutes Suizidrisiko besteht. In der JVA Gablingen soll dies anders gehandhabt worden sein. Auch sollen dort Misshandlungen stattgefunden haben. Bislang musste eine Gefängnisleitung die Unterbringung eines Häftlings in so einer Zelle erst ab 72 Stunden dem Ministerium melden. „Wir fordern, die Berichtspflicht dauerhaft in allen JVAs auf zwölf Stunden zu kürzen“, so Werning. Zudem solle die Unterbringung stündlich von einem Arzt überprüft werden.

    Strafverteidiger Nico Werning ist seit zehn Jahren Mitglied im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger und seit 2019 deren Vorsitzender.
    Strafverteidiger Nico Werning ist seit zehn Jahren Mitglied im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger und seit 2019 deren Vorsitzender. Foto: Kanzlei Witting, Contzen und Kollegen

    Forderungen an Bayerns Justizminister Georg Eisenreich

    Die Initiative verlangt zudem Mindeststandards für diese besonderen Zellen, sprich Papierunterhosen, Matratzen, Beleuchtung am Tage, damit der Untergebrachte das Zeitgefühl nicht verliert, sowie ausreichend Essen und Trinken. „Man traut sich so etwas kaum in einem Brief an einen Justizminister zu formulieren“, bemerkt der Strafverteidiger. Aber offensichtlich sei das nötig. Weitere Forderung des Vereins: Für Haftinsassen muss eine Möglichkeit eingerichtet werden, anonyme Hinweise über Missstände abzugeben, ohne dafür Repressalien zu befürchten. „Mir leuchtet ein“, sagt Nico Werning, „dass besonders gesicherte Hafträume für Ausnahmezustände nötig sind. Aber natürlich muss eine menschenwürdige Unterbringung gewährleistet bleiben.“

    Die Initiative kritisiert auch das Justizministerium. Nach allem, was bisher bekannt ist, sei die aufsichtsrechtliche Kontrolle im Ministerium „offenkundig unzureichend“ gewesen. Bereits die ersten Beschwerden hätten Anlass und Gelegenheit gegeben, die Vorwürfe genauestens zu überprüfen und den Missständen zu begegnen. Auch wenn die Staatsanwaltschaft keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht erkannt habe. Von Justizminister Eisenreich wollen die Strafverteidiger wissen, welche konkreten Schritte er unternehmen will, um künftig einen adäquaten Umgang mit derartigen Hinweisen wie dem der früheren Anstaltsärztin zu gewährleisten.

    Anmerkung: Was bislang zum Misshandlungsskandal in der JVA Gablingen bekannt ist – und was nicht, das können Sie in diesem Frage-Antwort-Stück nachlesen. Einen Überblick über alle weiteren aktuellen Artikel und die fortlaufende Berichterstattung zum Skandal in der JVA finden Sie hier.

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