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JVA Gablingen: Foltervorwürfe gegen Gefängnis bei Augsburg

Justizskandal

„Machtmissbrauch“: Jetzt erhebt auch ein Pfarrer Vorwürfe gegen die JVA Gablingen

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    Gegen die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen werden schwere Vorwürfe erhoben. Gefangene sollen misshandelt worden sein.
    Gegen die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen werden schwere Vorwürfe erhoben. Gefangene sollen misshandelt worden sein. Foto: Marcus Merk

    Katharina Baur nestelt an ihren Fingern, die Worte kommen brüchig über ihre Lippen. Sie lächelt nervös. Die 39-Jährige beginnt zu erzählen – und ihre Stimme wird schnell fester. 45 Minuten lang schildert Baur am Samstagmittag in einer Augsburger Kanzlei, was sie als Gefängnisärztin in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen 2023 über Monate hinweg beobachtet haben will. Fälle, in denen Häftlinge massiv misshandelt worden sein sollen. „Ich habe so etwas noch nie gemacht“, sagt sie über die Tatsache, dass sie an die Öffentlichkeit geht. „Aber ich kann nicht länger schweigen.“ Und die Medizinerin und Mutter dreier Kinder ist nicht mehr die einzige, die sich nun traut, öffentlich über ein mutmaßliches System von Unrecht und Angst zu sprechen.

    Dichter Hochnebel liegt am Sonntagvormittag über dem grauen Betonbunker. Draußen ist alles still, doch drinnen rumort es. Seit Donnerstag herrscht Aufruhr hinter den dicken Mauern des Gefängnisses in Gablingen. Da waren überraschend Polizei und Staatsanwaltschaft vorgefahren und einmarschiert. Sie eröffneten, dass es ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen mehrere Bedienstete gibt, darunter die stellvertretende Leiterin der JVA, eine 37-jährige Juristin.

    Ermittlungen gegen die stellvertretende Gefängnis-Chefin

    Die Vorwürfe sind gravierend und könnten für die JVA Gablingen massive Konsequenzen haben. Gefangene sollen nackt, ohne Matratze und Decke über Tage oder sogar Wochen in Spezialzellen im Keller des Gefängnisses eingesperrt worden sein. Dabei hätten sie oft wenig oder gar kein Essen bekommen und auf dem Betonboden schlafen müssen. Zudem soll das Licht in diesen sogenannten besonders gesicherten Hafträumen tagsüber nicht eingeschaltet worden sein. Auch zu gewalttätigen Übergriffen von Bediensteten auf Gefangene soll es gekommen sein. Ärztin Baur sagt: „In meinen Augen ist das Folter.“

    Folter an Häftlingen in einer der modernsten und größten Haftanstalten Bayerns? Noch stehen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg ganz am Anfang und die Unschuldsvermutung gilt für alle Beschuldigten. Doch sollten sich die Vorwürfe auch nur in Teilen bestätigen, droht einer der größten Gefängnisskandale der vergangenen Jahrzehnte. Und schon jetzt kommen bohrende Fragen auf: Wer wusste von den möglichen Misshandlungen? Warum ist niemand eingeschritten? Wie lange geht das womöglich schon so? Und warum haben so viele Menschen so lange geschwiegen?

    Ein Knast ist ein ganz eigenes, geschlossenes soziales System, mit eigenen Regeln. Das musste auch die Ärztin Katharina Baur rasch erfahren, nachdem sie als Anstaltsärztin in der JVA Gablingen ihren Dienst im Februar 2023 angetreten hatte. Es war ihre erste Arbeitsstelle in einem Gefängnis. Sie startete mit acht Stunden pro Woche, verteilt auf zwei Tage. „Ich habe am Anfang nur die Sprechstunde gemacht. Irgendwann ging es auch darum, die Gefangenen in den BgHs zu besuchen.“ Die Ärztin spricht von den sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“. Häftlinge können in diesen speziellen Zellen untergebracht werden, wenn aufgrund ihres Verhaltens oder ihres seelischen Zustands erhöhte Fluchtgefahr besteht oder die Gefahr von Gewalttätigkeit von ihnen ausgeht. Dazu zählt auch die Gefahr der Selbstverletzung oder des Suizids.

    Ex-Anstaltsärztin: Gefangene mussten nackt auf dem Betonboden schlafen

    In Gablingen befinden sich die Einzelhaftzellen im Keller des Gefängnisses. In einem Loch aus Edelstahl im Boden, so schildert es Baur, müssen die Häftlinge ihr Geschäft verrichten. Klopapier habe sie nie gesehen. Es gibt keine Einrichtungsgegenstände, kein fließendes Wasser. Bei ihrem Vorstellungsgespräch habe man ihr in einer solchen Zelle eine Matratze gezeigt. „Es hieß, jedem Gefangenen stehe eine Matratze zu und mindestens eine Papierunterhose.“ Doch was Baur bei den Besuchen der Häftlinge vorfand, war etwas ganz anderes.

    „Mir fiel auf, dass Häftlinge nackt waren. Die Gefangenen schliefen zu 80 Prozent nackt, ohne Matratze, ohne Decke auf dem harten Betonboden“, erzählt die Ärztin, immer noch sichtlich erschüttert. Sie habe nachgehakt. „Man sagte mir, das ist von oben so angeordnet.“ Begründet worden sei es mit einem Fall eines einzelnen Suizidversuchs, wo ein Häftling offenbar versucht hatte, seine Papierhose zu verschlucken.

    Normalerweise dürfe ein Gefangener in so einer Zelle maximal 72 Stunden untergebracht sein. Doch Baur beobachtete nach eigenen Angaben, dass Häftlinge teilweise Wochen dort gewesen seien. „Wenn jemand länger da drin ist und am Boden schlafen muss, bekommt er Schmerzen, teilweise entwickeln sich Hämatome.“ Warum Häftlinge in dieser speziellen Einzelhaft waren, hätten sie und der damalige Psychiater oft nicht nachvollziehen können. Aus ihrer Sicht habe bei den meisten Betroffenen keine Suizidgefahr vorgelegen.

    Eine Unterbringung in diesen Spezialzellen ist die härteste Maßnahme, die Gefangene treffen kann. Sie sollte auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben und muss eigentlich genau geprüft werden, auch mit Hilfe von Ärzten und Psychologen. Nach dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz darf nur der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin solche Sicherungsmaßnahmen anordnen. Diese Befugnis kann er oder sie aber auf andere Bedienstete übertragen. Dafür ist die Zustimmung des Justizministeriums notwendig. In der Regel bekommen Abteilungsleiter diese Befugnis übertragen.

    Angeblich Klima der Angst im Gefängnis in Gablingen

    Wie es genau zuletzt in Gablingen war, werden vielleicht die Ermittlungen zeigen. Oft habe es für die Häftlinge in den Spezialzellen nur einen Becher Wasser am Tag gegeben, keine warme Mahlzeit, sondern nur Brot mit Belag. Manchmal gab es gar nichts zu essen oder zu trinken, sagt Katharina Baur. Sie berichtet von einem Zwischenfall mit einem psychisch kranken Häftling, der unter Wahnvorstellungen litt. Für ihn muss die Unterbringung in der speziellen Isolationszelle offenbar unerträglich gewesen sein. „Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der so viel Angst hatte. Er ist ungebremst gegen die Wand im BgH gelaufen, hatte eine Platzwunde.“

    Die ehemalige Anstaltsärztin Katharina Baur (links) und die Augsburger Strafverteidigerin Alexandra Gutmeyr erheben schwere Vorwürfe gegen die JVA Gablingen.
    Die ehemalige Anstaltsärztin Katharina Baur (links) und die Augsburger Strafverteidigerin Alexandra Gutmeyr erheben schwere Vorwürfe gegen die JVA Gablingen. Foto: Ina Marks

    Das sei nicht der einzige Vorfall dieser Art gewesen. Manchmal steckten Häftlinge wochenlang in diesen Zellen, ohne dass sie sich waschen konnten, berichtet sie. Juckreize und Hautausschläge seien Folgen gewesen. Damals wandte sie sich sowohl an das Justizministerium als auch an die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Doch Nachforschungen verliefen offenbar im Sand. Sie habe auch Anzeige erstattet, das Verfahren sei aber eingestellt worden. Die Folterkommission sei zuletzt im August in der JVA Gablingen gewesen. Baur will wissen, dass die Kontrolleure zunächst an der Wache aufgehalten worden seien, damit Missstände in den speziellen Zellen beseitigt werden konnten.

    Die Auswüchse hätten nach Darstellung von Katharina Baur begonnen, als die neue stellvertretende Anstaltsleiterin ihre Stelle angetreten habe, hätten Kollegen ihr berichtet. Das sei in etwa zeitgleich mit dem Beginn ihrer Arbeit gewesen, also Anfang 2023. Und sie erzählt von weiteren „Gängeleien“, die ihr zugetragen worden seien. So hätten Häftlinge ihre Kontaktlinsen nicht mehr benutzen können, weil ihnen die Flüssigkeiten verwehrt worden seien – angeblich aus Sicherheitsgründen. Auch Hofgänge seien offenbar reduziert worden.

    Ehemaliger Gefängnispfarrer spricht von „Schikane“ in der JVA Gablingen

    Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter des Gefängnisses packt nun aus und fordert Konsequenzen. Es handelt sich um den evangelischen Geistlichen Peter Trapp. Fünf Jahre lang arbeitete er als Gefängnispfarrer in der JVA und berichtet von „neuen Saiten“, die die stellvertretende Leiterin mit Beginn ihrer Arbeit aufgezogen habe, und von „Schikane“. Zusammen mit seinen beiden katholischen Kollegen habe er über die Jahre ein blühendes, gottesdienstliches Leben für die Gefangenen aufgebaut. Um die 120 Häftlinge hätten wöchentlich die vier verschiedenen Gottesdienste besucht. „Das hat sie quasi über Nacht zerstört. Plötzlich beschränkte sie die Teilnehmerzahl per Verfügung auf jeweils nur noch 20 Teilnehmer.“ Angeblich aus Sicherheitsgründen, dabei sei nie etwas vorgefallen. „Die Teilnehmer waren immer diszipliniert. Für manche war es der einzige Lichtblick im Haftalltag“, meint Trapp.

    Die Insassen hätten auf einmal Anträge für einen Gottesdienstbesuch ausfüllen müssen. „Diese kamen haufenweise bei uns Pfarrern gar nicht erst an, sondern verschwanden.“ Er wirft der stellvertretenden JVA-Leiterin Machtmissbrauch vor. Der Pfarrer erzählt von Juri (Name geändert), einem russischen Gefangenen und regelmäßigen Gottesdienstbesucher. „Mit der Neuregelung kam Juri plötzlich nicht mehr.“ Wenig später habe er erfahren, dass sich der Mann umgebracht habe. „Im Protokoll stand, er wurde in Gebetshaltung aufgehängt am Stockbett gefunden.“ Der Geistliche sagt, er sei froh, dass die Staatsanwaltschaft jetzt ermittelt. „Für mich hat die Anstaltsleitung den Boden der Bayerischen Verfassung verlassen, die ja Religionsfreiheit für alle garantiert.“

    Von Schikane erzählt auch die ehemalige Anstaltsärztin Baur. Etwa im Falle eines Häftlings, der offenbar nicht zur Beerdigung seiner Tochter und Ehefrau durfte, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Die stellvertretende Leiterin habe etliche Anordnungen erlassen, die für sie nicht nachvollziehbar gewesen seien. Die Stimmung sei katastrophal, Personal werde eingeschüchtert. Baur spricht von einem Klima der Angst. „Keiner traut sich, etwas zu sagen. Es sind Beamte, die Angst um ihre Jobs haben.“ Die JVA Gablingen bezeichnet sie als eine Art Blackbox. „Es heißt, was hinter den Mauern geschieht, bleibt hinter den Mauern.“

    Die JVA Gablingen aus der Luft.
    Die JVA Gablingen aus der Luft. Foto: Marcus Merk

    Gegen die stellvertretende Anstaltsleiterin wird nach Recherchen unserer Redaktion nun strafrechtlich ermittelt. Welche Rolle sie spielte, ob sie rechtswidrige Anordnungen getroffen hat oder unhaltbare Zustände geduldet, wird die Augsburger Staatsanwaltschaft versuchen, herauszufinden. Zu diesem Zweck wird es auch umfangreiche Zeugenvernehmungen von JVA-Bediensteten und Häftlingen geben. Die Augsburger Strafverteidigerin Alexandra Gutmeyr erhebt ebenfalls schwere Vorwürfe gegen die JVA Augsburg-Gablingen. Zwei ihrer Mandanten seien dort misshandelt worden. 

    Der Augsburger Rechtsanwalt und Buchautor Thomas Galli ist entsetzt von den Vorwürfen, die im Raum stehen. Er war selbst Leiter zweier Justizvollzugsanstalten und ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber den Verhältnissen in deutschen Gefängnissen. „Wenn dies so wäre, wäre das wirklich Folter und ein großer Skandal“, sagt Galli gegenüber unserer Redaktion. Die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sei eine Sicherungsmaßnahme, die vor allem angewendet werden darf, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, einen Inhaftierten davon abzuhalten, Gewalt gegenüber anderen Menschen oder sich selbst anzuwenden.

    Augsburger Anwalt Galli: Das wäre ein großer Skandal

    „Keinesfalls darf diese Maßnahme von der Anstalt dazu missbraucht werden, Inhaftierte einzuschüchtern, abzuschrecken, zu disziplinieren oder zu bestrafen“, betont Galli. Überhaupt keine Rechtfertigung könne es dafür geben, Inhaftierte dort völlig nackt unterzubringen oder ihnen keine Matratze oder zu wenig Essen und Trinken bereitzustellen. Vielmehr müsse sich die JVA gerade bei einer Unterbringung in solch einer Sonderzelle verstärkt um die Betroffenen kümmern. Ein Arzt oder eine Ärztin müssen unmittelbar hinzugezogen werden, und sich auch regelmäßig zu den Betroffenen vor Ort begeben. „Es muss alles getan werden, um diese Unterbringung so kurz als möglich zu gestalten“, sagt der Experte.

    Bei ihrer Eröffnung Ende 2015 galt die JVA Augsburg-Gablingen als modernste im Freistaat, ein Vorzeigeprojekt der bayerischen Justiz. Bis zu 609 Männer, viele von ihnen in Untersuchungshaft, sind dort überwiegend in Einzelhafträumen untergebracht. Die Insassen stammen aus der gesamten Region, das Zuständigkeitsgebiet erstreckt sich bis Ingolstadt und Landsberg am Lech. Rund 300 Bedienstete sind dort angestellt, Leiterin ist Zoraida Maldonado de Landauer. 

    Nicht nur Medizinerin Katharina Baur, sondern auch Strafverteidigerin Alexandra Gutmeyr und Pfarrer Peter Trapp setzen Hoffnung in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und dass diese nun einen Stein ins Rollen bringen. „Ich hoffe auch, dass mit meinen Aussagen sich jetzt mehr Menschen trauen zu sprechen“, sagt Ärztin Baur. „Ich will einfach, dass es aufhört.“

    Anmerkung: Die Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell gegen die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen. Der Vorwurf: Mitarbeitende sollen Gefangene misshandelt haben. Alle Texte zum Fall finden Sie hier.

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