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Thomas Gottschalk: Kontroverse Meinungen bei Münchner Lesung

Thomas Gottschalk

Schon wieder kontroverse Sprüche: So gab sich Gottschalk bei seiner Lesung in München

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    Seine Buchvorstellung in einem Münchner Kino war für Thomas Gottschalk ein Heimspiel vor ausverkauftem Haus.
    Seine Buchvorstellung in einem Münchner Kino war für Thomas Gottschalk ein Heimspiel vor ausverkauftem Haus. Foto: Imago, Future Image

    Es geht schon wieder los. Eben hat Thomas Gottschalk in der Münchner Astor-Filmlounge die Bühne betreten, artig die Kinochefin und eine Mitarbeiterin des Heyne-Verlags begrüßt, in dem sein neuestes Buch erscheint. Gottschalk lässt sich in seinen Vorlesesessel fallen und sagt: „Jetzt hab ich auf der Bühne schon wieder Frauen angefasst.“ Der erste Satz, der erste erfolgreiche Gag. Das Spielfeld ist abgesteckt, Gottschalk hat hier ganz offensichtlich ein Heimspiel, in den Komfort-Kinosesseln sitzen Fans, keine Aktivistinnen oder Kritiker. Und wenn doch welche da sind, verhalten sie sich unauffällig.

    Gottschalk, der sich nach eigenen Angaben immer „als eine Art Hofnarr“ gesehen hat und mittlerweile allein von Alters wegen zur „Showlegende“ mutiert sei, lehnt sich zurück, schlägt die Beine übereinander und sein Buch auf. Wie immer enttäuscht sein Anzug in puncto Auffälligkeit nicht. Grünblaues Muster auf schwarzem Stoff, es sieht ein wenig aus wie der Grünspan, der sich auf alten Bronzestatuen absetzt, wenn die Zeit zu lange an ihnen nagt.

    Gottschalk vergleicht die Aufregung um ihn mit der legendären Buntstiftwette

    „Ungefiltert“ heißt das Buch, und manches, was in den vergangenen Wochen Wellen schlug, steht darin auch gedruckt und wird heute wieder zur Sprache kommen. Die Empörung, die einige seiner Sätze zuletzt auslösten („Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst“) vergleicht er im Laufe des Abends mit der legendär gefälschten Buntstiftwette 1988 bei „Wetten, dass..?“ „Ganz Deutschland hat sich damals aufgeregt, so wie sie sich jetzt über mich aufregen.“ Er selbst habe das mit der Wette lustig gefunden. Genauso wie er heute sehr wohl Verständnis für junge Menschen und ihre Einstellungen habe. „Ich versteh‘ nur manche Dinge nicht.“

    Thomas Gottschalk, 74, hat in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass sich etwas veränderte. Etwas, das er zunächst nicht in Worte fassen konnte, das ihn irritierte, nachdenklich stimmte. Später, nach einigem Nachdenken, hat er Worte gefunden, bittere – und seine Leichtigkeit verloren. Es war ein Prozess, öffentlich zu beobachten, und vielleicht begann er mit einem Beitrag auf jener Plattform, die damals noch Twitter hieß und noch keine Fake-News-Schleuder war.

    Thomas Gottschalk im Jahr 1998: Man verzieh ihm gern. Er war halt der „Thommy“, der unbekümmerte Lockenschopf, das Plappermaul der Nation.
    Thomas Gottschalk im Jahr 1998: Man verzieh ihm gern. Er war halt der „Thommy“, der unbekümmerte Lockenschopf, das Plappermaul der Nation. Foto: Frank Mächler, dpa

    Als Gottschalk im April 2017 Twitter für sich entdeckte, wurde das als Comeback gefeiert. @herbstblond, so war sein Twitter-Name. Es war auch der Titel seiner Autobiografie, die im April 2015 erschien, kurz vor seinem 65. Geburtstag. Er beschreibt darin die Anfänge seiner beeindruckenden Karriere. „Ich gehöre zur letzten Generation, die in Schwarz-Weiß groß geworden ist“, merkt er an, als er die Fotoalben seiner Kindheit erwähnt. Sein Weg sollte ihn, in Bamberg geboren, in Kulmbach aufgewachsen, in eine grellbunte Welt führen, nicht zuletzt in eine Villa in Malibu.

    Er postete auf Twitter Fotos mit alten Kollegen, Fotos von Hotelzimmern und Hoteltoiletten, Fotos von seinen Socken. Statt, wie zwischenzeitlich, als peinlich, wurde er als witzig empfunden. Doch sein Twitter-Erfolg hielt nicht lange an: Im April 2018 verabschiedete sich Gottschalk in eine „Sommerpause“. Zuvor hatte er gepostet, dass er seine DNA habe aufschlüsseln lassen. Er sei zu „über 50% Osteuropäer! Deswegen habe ich als Kind so geklaut“. Es hagelte Rassismus-Vorwürfe gegen Gottschalk. Der Fan, der sich am Ende der Lesung in München eine Flagge mit dem Wappen der oberschlesischen Stadt Oppeln, polnisch Opole, wird signieren lassen, weiß von den Vorwürfen entweder nichts oder sie machen ihm nichts aus. Gottschalks Mutter stammte aus Oppeln, sagt der Mann anschließend. „Und ich komme aus einem Dorf in der Nähe davon.“ Er sieht stolz aus.

    Das Publikum bei Gottschalks Lesung in München hat keine Lust auf Zeitgeist-Streit

    Eigentlich soll Gottschalk in München erst aus seinem neuesten Wälzer lesen, dann darf das Publikum Fragen stellen. Anfangs klappt das auch, vor den Augen seiner zweiten Ehefrau Karina in einer der ersten Reihen liest er das Vorwort: „Liebe Lesende!“, ist es überschrieben, es geht natürlich ums Gendern. Ein alter Hut, diese Debatte, aber für ein paar Lacher gut. Gottschalk ist kein begnadeter Vorleser. Spontan liegt ihm am besten, immer noch. „Fragt mich was“, sagt er dann auch schon nach gefühlt zehn Minuten Lektüre. Und anders als kürzlich bei der Frankfurter Buchmesse, wo Gottschalk in eine Debatte mit einer Besucherin über seinen aus deren Sicht respektlosen Umgang mit Frauen geriet, hat das Münchner Publikum keine Lust auf Zeitgeist-Streit: „Überziehst du heute?“, fragt einer, wie Gottschalk selbst automatisch beim „Du“. Gottschalk: „Meine Zeit ist begrenzt.“ - „Haben Sie einen eigenen Schneider?“ - „Nee, aber den Anzug hab ich selbst ausgesucht.“ Überall Gelächter, überall Fanliebe, gemeinsames Schwelgen in Zeiten, als man, Zitat Gottschalk, „samstagabends noch frisch gebadet mit den Großeltern auf dem Sofa saß und Fernsehen schaute“. Als Michael Jackson bei „Wetten, dass..?“ im Windkanal sang („in Wirklichkeit ein ganz scheues Reh“) und der Moderator den Spice Girls die Hand aufs Knie legte.

    „Ungefiltert“ ist sein drittes Buch - und wenn man dem Autor glaubt, auch sein letztes. „Ich gehe davon aus, dass mit einer Trilogie alles von mir gesagt ist.“ Die gelassene Heiterkeit der Vorgängerbücher „Herbstblond“ und „Herbstbunt“ ist schon aus dem Titel gewichen. In den ersten Teilen noch war ein selbstironischer, mit dem Alter kokettierender Star zu erleben, einer, der von der ganz großen öffentlichen Bühne zu verschwinden drohte. Erst recht, nachdem er 2011 die Moderation von „Wetten, dass ..?“ nach dem tragischen Unfall von Kandidat Samuel Koch abgegeben hatte, endgültig, wie es schien.

    Entertainer und Erzbischof: Thomas Gottschalk im launigen Gespräch mit dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Als es um Gottschalks „Osteuropäer“-Tweet geht, wird es plötzlich ernst.
    Entertainer und Erzbischof: Thomas Gottschalk im launigen Gespräch mit dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Als es um Gottschalks „Osteuropäer“-Tweet geht, wird es plötzlich ernst. Foto: Tobias Hase, dpa

    Wenige Tage nach seinem umstrittenen Osteuropäer-Tweet jedenfalls saß Gottschalk neben dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, ein Podiumsgespräch zum 50-jährigen Bestehen der katholischen Journalistenschule ifp, die er einst besuchte. Stipendiatenjahrgang 1974. Drei Jahre später sollte er auf Bayern 3 „Pop nach acht“ moderieren, Platten auflegen, von Abba bis Zappa. Es ist seine Welt, bis heute.

    Ende der 70er war er mit Ende 20 ein Star. An dem Abend mit Marx wurde viel gelacht, der Erzbischof und der Entertainer sprühten vor Witz. Bis Gottschalk auf seinen Tweet angesprochen wurde. „Ich bin und werde nie ein Feind von irgendjemand sein – Ausländern, Inländern, egal“, sagte er ernst. Ein „blöder Witz“ sei das gewesen.

    Thomas Gottschalk ist oft kritisiert worden, er musste für einiges um Entschuldigung bitten. Man verzieh ihm gern. Er war halt der „Thommy“, der unbekümmerte Lockenschopf, das Plappermaul der Nation. Anfang 2021 dann entrüstete sich, wie es schien, wieder halb Deutschland über Gottschalk. Die andere Hälfte schien sich über die Entrüstung zu entrüsten. Es ging um das, was man – angeblich – nicht mehr sagen dürfe: um Zigeunersoße, Mohr und Indianer. Gottschalk hatte in der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ darauf verwiesen, dass es nichts mit Respektlosigkeit zu tun habe, wenn er so rede, wie er seit jeher rede. Mit Blick auf das Heute sprach er von einer „zwanghaften Sensibilität“ und erzählte dann, dass er einmal als Jimi Hendrix verkleidet, schwarze Perücke, schwarz geschminktes Gesicht, auf einer Party unter weißen Bankern in Beverly Hills gewesen sei. „Ich hab zum ersten Mal gewusst, wie sich ein Schwarzer fühlt.“ Wieder hagelte es Rassismusvorwürfe. Wieder musste sich Gottschalk erklären: Er werde gewisse Begriffe nicht mehr benutzen.

    Ende 2023. Am Schluss seiner allerallerletzten „Wetten, dass ..?“-Ausgabe – man hatte ihn um ein Comeback gebeten und dann nochmals und nochmals – ließ er sich in einer Baggerschaufel aus der Offenburger Baden-Arena fahren. Seinen Abschied begründete er vor mehr als zwölf Millionen Zuschauern damit, dass es problematisch sei, wenn man ihm irgendwann die Gäste erklären müsse. Er sagte: Er habe im Fernsehen immer das gesagt, was er zu Hause auch gesagt habe, inzwischen rede er zu Hause anders. In München wiederholt er das fast wortgleich. Es hat sich was verändert.

    Abgang einer Show-Legende: Thomas Gottschalk lässt sich am Ende seiner letzten „Wetten, dass ..?“-Moderation im vergangenen Jahr in einer Baggerschaufel über die Bühne fahren.
    Abgang einer Show-Legende: Thomas Gottschalk lässt sich am Ende seiner letzten „Wetten, dass ..?“-Moderation im vergangenen Jahr in einer Baggerschaufel über die Bühne fahren. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Der Mann, der wie kein anderer in Deutschland den jeweiligen fortschrittlichen Zeitgeist verkörperte oder ihm ein bisschen voraus war, versteht die Zeit und ihren Geist nicht mehr. Und will das auch nicht mehr.

    Auch manchen, die mit ihm gealtert sind, fällt das auf. Christian Nürnberger, knapp ein Jahr jünger als Thomas Gottschalk, gut 70 Kilometer von Bamberg entfernt in Lauf an der Pegnitz geboren, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Sprache, als Journalist wie als Autor. Mit seiner Frau, der früheren ZDF-„heute“-Moderatorin Petra Gerster, hat er das Buch „Vermintes Gelände – Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert“ verfasst. Nürnberger ist enttäuscht von seinem Altersgenossen. Er habe gedacht, sagt er am Telefon, Gottschalk habe verstanden, als der nach seinem „Letzte-Instanz“-Auftritt gesagt habe, er werde gewisse Begriffe nicht mehr benutzen. Hatte er die Kurve vom verbohrten „alten weißen Mann“ zu einem alten weisen Mann gekriegt? Nürnberger verneint. „Er kommt jetzt wieder mit den ollen Kamellen daher, als ob er in den drei Jahren, die seitdem vergangen sind, um 100 Jahre älter geworden wäre.“

    Er selbst habe vor wenigen Jahren „Gender“ noch für „gaga“ gehalten, politisch korrekte Sprechweise für überzogen. Dann hätten er und seine Frau sich umgehört, nachgefragt – und ihre Meinung geändert. Aus Sensibilität gegenüber Diskriminierungen aller Art. Aus Rücksichtnahme. Oft höre er, ob es denn nichts Wichtigeres gebe, erzählt Nürnberger. Er antworte dann mit einem Kalenderspruch: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden deine Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden deine Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“

    Gottschalk und die Spice Girls: ein ewiges Thema

    Der Starrsinn des Alters, den Gottschalk in seinem Buch weit von sich weist, in manchen Aussagen kann man ihn bei seiner Lesung in München spüren. Etwa, wenn er über die Entwicklung der Oper sinniert. Wenn man heute Richard Wagners „Lohengrin“ inszeniere, dann müsse der Schwan, der darin vorkommt, „ein Bio-Huhn sein“. Großes Gelächter bei seiner nach wie vor treuen Fangemeinde. Auffällig ist aber schon, wie Gottschalk selbst immer wieder die umstrittenen Themen anschneidet, seinen Umgang mit Frauen, den Zeitgeist, den er nicht versteht. Das Thema lässt ihn offensichtlich nicht los. Will er sich erklären, sich verteidigen, missionieren? Das weiß nur Gottschalk selbst. Aber wie es seine Art ist, verpackt er alles in einen Gag. Er erzählt, wie einst Filmstar Peter O‘Toole auf der Wettcouch zu Gast war. „Ihm ist dieses Übersetzergerät aus dem Ohr gefallen.“ Er habe dann versucht, es dem Schauspieler unauffällig wieder hineinzuschieben. Der wiederum habe gedacht, Gottschalk spiele mit seinem Ohr - und genoss es offensichtlich. „Fest steht“, sagt Gottschalk, „ich habe am Ohr von Peter O´Toole mehr Spaß gehabt als am Knie von Geri Halliwell von den Spice Girls.“ Seine Fans mögen lachen, für seine Kritikerinnen und Kritiker hat er sich einmal mehr unmöglich gemacht.

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