Würzburger Wohngemeinschaft: Ein Leben auf Rädern, an einem Ort. Selbstbestimmt, unabhängig und in der Natur. Dass es weder fließend Wasser noch Stromanschluss gibt, gleichen die Bewohner durch Fantasie und einen bewussten Umgang mit den Ressourcen aus. Fotografin Kathrin Koenigl hat sich im Sommer in der mobilen WG am Main umgesehen. Die Krähen ziehen lautstark ihre Kreise, in den Blättern der riesigen Pappeln raschelt der Wind. Der Tag auf dem Wagenplatz beginnt. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee führt zur Bierbankgarnitur in der Mitte, zu der sich peu à peu jemand hinzugesellen wird. Sie frühstücken oft zusammen, die Leute vom Wagenplatz. Weil es eben diese Gemeinschaft ist, die das Leben hier besonders macht. „Ich habe hier meinen eigenen Rückzugsort“, sagt einer. „Aber wenn ich die Tür aufmache, bin ich im Grünen und unter Leuten, die ich gern habe.“


Bunt ist sie, die mobile Wohngemeinschaft am Mainufer im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld. In den liebevoll ausgebauten und bemalten Lastwagen, in Bussen und Bauwägen leben derzeit rund 20 Menschen. Und ein paar Hunde, eine Katze. Es ist ein genügsames Leben, das sie hier führen. Auf den wenigen Quadratmetern Wohnfläche ist nur Platz für das Nötigste. Genau das aber finden die Wagenplatz-Bewohner befreiend. Sie leben eine Alternative zur Überflussgesellschaft. Hier gibt es Zeit statt Zeug. Und das Mehr an Zeit wollen sie sinnvoll nutzen. Mit der „Küfa“, der „Küche für alle“, zum Beispiel. Eine öffentliche Veranstaltung, bei der gemeinsam gekocht und Essen auf Spendenbasis ausgegeben wird. Im Anschluss wird am Lagerfeuer zusammen Musik gemacht. Etwas mehr Zeit als in einer Wohnung braucht es beim Leben auf Rädern für die Grundversorgung. „Eine der ersten Fragen ist immer, wie wir das im Winter machen“, erzählen die Wagen-Bewohner. Manche heizen mit Gas, die meisten haben Holzöfen in den Wägen. Das heißt Holz beschaffen, hacken und regelmäßig anschüren. Wer tagsüber unterwegs ist, komme dann abends schon mal in ein kaltes Heim. „Aber sobald der Ofen brennt, ist es schön kuschelig.“


Auch für Strom sorgen die Wagenplatz-Bewohner selbst, mit Solarzellen, die an ausgediente Autobatterien gekoppelt sind. Über einen Umwandler fließen dann 220 Volt aus der Steckdose. Damit laufen Kühlschrank, Laptop und bei Bedarf auch Haushaltsgeräte. Nur für den Toaster reicht der Strom erst ab dem Frühling – da beginnt am Wagenplatz die „Toastersaison“. Und Wasser fließt hier erst aus dem Hahn, wenn es jemand von einer nahe gelegenen Quelle holt. Man lerne den Wert der Ressource zu schätzen, wenn man die 20-Liter-Kanister mit dem Fahrrad ziehen muss, sagen die Bewohner der mobilen Wohngemeinschaft. Wie sie sich organisieren? „Wichtige Entscheidungen werden immer in der Gruppe gefällt.“ Dafür setzen sie sich regelmäßig zusammen. Wenn etwas nicht so gut läuft, „wird es ausdiskutiert“. Nach diesem Prinzip funktioniere das Zusammenleben mit wechselnden Bewohnerinnen und Bewohnern seit 2010. Damals gab die Stadt Würzburg der Forderung der Wagenplatz-Leute nach Raum für Kultur und alternatives Wohnen nach. Lange hatte man verhandelt – dann wurde die öffentliche Fläche freigegeben. Damals wurde auch der „Einfach Wagen e.V.“ gegründet. Der Vorteil: Ein Verein kann bei Behörden anders auftreten als ein Einzelner. 150 Euro Mitgliedsbeitrag zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner jährlich, davon werden unter anderem die Kosten für Müll- und Abwasserentsorgung gezahlt.


Und das Selbstverständnis des Kollektivs wurde damit verschriftlicht. „Zweck des Vereins ist der Aufbau eines Wagenplatzes mit sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen“, heißt es in der Satzung. Dann Wagenplatz-Leuten ist es wichtig, „gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen“. Ein Beispiel ist das Umsonst-regal, das vor dem Platz an der Straße steht und aus dem auch Passanten etwas nehmen dürfen. Oder etwas hineinstellen. Das Regal funktioniert nach dem Prinzip einer Tauschbörse, nur ohne die Bedingung des Gebens. „Das ist wie mit Jesus und dem Wein“, sagt einer. „Du bringst fünf Sachen hin, nimmst zehn raus und trotzdem wird das Regal nie leer.“ Was für viele ein Umdenken bedeutet, lernen manche auf dem Wagenplatz von klein auf. Vier Kinder gibt es hier mittlerweile, zwei von ihnen wohnen hier dauerhaft. Sie beschäftigen sich viel draußen, nehmen die Jahreszeiten intensiv wahr – und haben in der WG am Main mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun.


Alle erziehen „ein bisschen mit“. Wer einen Trotzanfall hat, wird beim Nachbarn in den Wagen gesetzt – der macht mit ihm Musik „und alles ist wieder gut“. Rund 40 Anfragen bekommt der Wagenplatz-Verein jährlich – mangels Platz muss er fast alle ablehnen. Die Leute wollen aus den vielfältigsten Gründen gerne hier einen Platz in der Wohn- und Lebensgemeinschaft. Dass es immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist einer davon. Dass die bunten Wagen am Main die Neugier wecken? Die Bewohner freuen sich, wenn sie von Spaziergängern angesprochen werden, solange der Platz mit dem nötigen Respekt als Lebensraum wahrgenommen werde: „Man läuft ja auch nicht einfach durch das Wohnzimmer von Fremden.“ Auch wenn es ein wenig anders ist, dieses Leben auf vier Rädern – es ist doch auch so, wie in vielen anderen WGs. Fotos/Text: Kathrin Koenigl

