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Samstagsbrief: Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, Ihre Ansichten zur Rolle der Kirche sind grundfalsch!

Samstagsbrief

Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, Ihre Ansichten zur Rolle der Kirche sind grundfalsch!

Mathias Wiedemann
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    Julia Klöckners Aufforderung an die Kirchen, sich auf die Seelsorge zu beschränken, stieß auf breite Kritik. Zu Recht, meint unser Autor.
    Julia Klöckners Aufforderung an die Kirchen, sich auf die Seelsorge zu beschränken, stieß auf breite Kritik. Zu Recht, meint unser Autor. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, liebe Frau Klöckner,

    Ihre Aufforderung an die Kirchen, sich weniger zu politischen Themen zu äußern, ist meiner Meinung nach unter so vielen Aspekten falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

    Allein ein Satz wie „Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer“ zeugt zwar von der Lust an der Polemik, nicht aber von der Absicht, etwas Konstruktives zu den Diskursen im Lande beizutragen. Und diese Absicht sollte die Bundestagspräsidentin, immerhin Inhaberin des zweithöchsten Amtes in der Republik, schon haben. Wer, wenn nicht sie?

    Sie haben einen aus meiner Sicht sehr berechtigten Sturm der Kritik losgetreten, als sie in einem Zeitungsinterview behaupteten, die Kirchen würden sich mit tagesaktuellen Stellungnahmen wie eine NGO benehmen, also eine Nichtregierungsorganisation, und damit irgendwann „leider austauschbar“ werden. Stattdessen sollten sich die Kirchen lieber auf die „Seelsorge“ beschränken.

    Da ist es ganz gut, dass ich längst nicht der Erste bin, der Sie darin erinnert, dass das Christentum immer schon politisch war. „Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt verändern soll, dann ist das immer eine politische Botschaft“, konterte zum Beispiel Ihr Parteifreund Armin Laschet. Mit dem Hinweis auf die sehr klaren, sehr politischen Standpunkte des vor wenigen Tagen gestorbenen Papstes Franziskus, etwa zur zerstörerischen Kraft des Kapitalismus, will ich den Aspekt Religion hier aber abschließen.

    Viel zu wenige Menschen setzen sich mit Politik auseinander

    Denn Ihre Äußerungen zeigen nicht nur ein eher sonderbares Verständnis von aktivem Christsein, sondern auch von Demokratie. Demokratie lebt von der Mitwirkung möglichst vieler, natürlich auch der Kirchen. Es sei denn, man ist der Auffassung, um Politik sollten sich nur die kümmern, die das beruflich machen. Ich gehe davon aus, zumindest hoffe ich es, dass das nicht Ihr Standpunkt ist. Aber wenn Sie die Kirchen aus der Politik raushaben wollen, dann muss ich Sie im Gegenzug fragen, was das „C“ noch im Namen Ihrer Partei zu suchen hat.

    Das Problem unserer Zeit ist in meiner Wahrnehmung ein ganz anderes: Viel zu wenige Menschen setzen sich mit politischen Fragestellungen auseinander und äußern sich dann, so wie etwa die Kirchen, auf der Basis ihrer Überzeugungen dazu. Natürlich werden von interessierter Seite vorgefertigte Standpunkte im Netz millionenfach und ungeprüft weiterverbreitet, aber das hat nichts mit politischem Diskurs zu tun.

    Wer bestimmen will, wer sich wann zu welchen Themen zu Wort melden darf, räumt das Feld für diejenigen frei, die sich mit kruden menschen- und demokratiefeindlichen Standpunkten ins Rampenlicht drängen. Wohin das führt, sehen wir derzeit an den Wahlergebnissen.

    Misstrauen der Union gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement

    Aus meiner Sicht sollte die Bundestagspräsidentin dringend alle Kräfte guten Willens aufrufen, sich viel, viel mehr für diese Demokratie einzubringen. Übrigens gerne auch die NGOs, über die Ihre Partei Ende Februar von der scheidenden Ex-Ampel in einem Trump-artigen Rundumschlag Rechenschaft verlangt hat.

    Heraus kam bei der mit 551 Fragen ziemlich großen „Kleinen Anfrage“ damals nichts Weltbewegendes. Was blieb, war der Eindruck eines grundsätzlichen und tiefen Misstrauens der Unionsparteien gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement. Das traf sogar den Verein „Omas gegen Rechts“, die offensichtlich in den Verdacht geraten waren, „explizit für oder gegen eine Partei geworben“ zu haben. Was wäre denn so schlimm daran gewesen, hätten sie gegen die AfD geworben?

    Nach den Omas nun also die Kirchen. Ich vermute, Frau Klöckner, Sie als Katholikin kritisieren diese nicht wegen ihrer ablehnenden Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen oder Sterbehilfe. Sondern wohl eher wegen Wortmeldungen wie der Kritik am - gescheiterten - Gesetzesentwurf der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik. „Der Entwurf hätte keinen einzigen Anschlag verhindert“, sagte Ende Januar etwa Würzburgs Bischof Franz Jung dazu.

    So ist das nunmal in einer Demokratie: Nicht alle Standpunkte müssen allen gefallen. Aber so lange diese auf dem Fundament unserer - hoffentlich - gemeinsamen Grundwerte stehen, haben sie ihre Berechtigung.

    Für etliche Standpunkte, die dieser Tage auch und gerade im Bundestag vertreten werden, gilt das aber nicht. Dies öffentlich klarzumachen, wäre meiner Meinung nach die weitaus dringlichere Aufgabe der Bundestagspräsidentin.

    Mit erwartungsvollen Grüßen

    Mathias Wiedemann Redakteur

    Persönliche Post: der Samstagsbrief

    Jedes Wochenende lesen Sie unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.

    Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen „Samstagsbriefen“ hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.

    Diskutieren Sie mit
    15 Kommentare
    Ferdinand Heilgenthal

    Das „Raushalten“ der Kirche aus der Politik fordert öffentlich die zweithöchste, der Neutralität verpflichtete Repräsentantin unserer Bundesrepublik Deutschland. Egal, ob aus Naivität, Unkenntnis oder schlicht aus Dummheit. Das ist ungeheuerlich und gefährlich. Wer erlebt hat, dass bei früheren Wahlen Willy Brandt als uneheliches Kind Herbert Frahm und Vaterlandsverräter auf der Titelseite der „Bildpost“ diffamiert wurde, konnte lange Zeit denken, dass diese Zeiten - Gott sei Dank - vorbei sind. Das kircheneigene Blatt wurde damals nach dem Gottesdienst verteilt, nachdem der Pfarrer in der Predigt ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, er dürfe zwar keine Wahlwerbung machen, aber man solle „christlich“ wählen. Man muss dankbar sein, dass sich viele Verantwortliche der Kirchen, Journalisten und Vertreter des öffentlichen Lebens, heute sofort kritisch äußern. Wehret den Anfängen!

    Jutta Bandorf

    Sehr geehrter Herr Wiedemann, herzlichen Dank für diesen Samstagsbrief, Sie sprechen mir aus der Seele. Die CDU/CSU schafft sich selber ab, wenn sie weiter der AfD die Themen setzen lässt. Populistische und spalterische Reden sind wir in Bayern schon gewöhnt Um so wichtiger Ihr Statement in unserer Regionalzeitung! Gerne mehr.

    Martin Deeg

    …“will, dass sich die Kirche aus der Politik raushält.“…. Naja, der Papst wird jedenfalls vermutlich nicht zu Söders Trauerfeier kommen und Selfies in die Welt blasen.

    Andrea Greber

    Chapeau, geschätzter Herr Wiedemann!

    Jürgen Huller

    Ich bin auch der Meinung, dass sich Politiker weniger zu wirtschaftlichen PR Massnahmen einzelner Konzerne einlassen sollten. Die unselige Nähe zu denen, die man eigentlich ex officio in Zaum halten sollte, stinkt nach Amtsmissbrauch. Gell, Frau Klöckner, damit kennen Sie sich aus! War sicher ein schöner Nachmittag damals mit dem Boss von Nestlé! Julia und der Nestlé Romeo ... Ebenso das schöne Erinnerungsvideo, dass unsere lokale CSU Laienschaupieltruppe für Knauf gedreht hat. Nur ein weiteres Beispiel. Das hat in der Union auch Tradition: z.B. FJS und die Starfighter-Affäre oder der HS-30 Skandal. Man konnte dem Herrn zwar schlussendlich nichts nachweisen, aber wenn es irgendwo gestunken hatte, war er meistens nicht weit. Insofern besteht also noch Hoffnung für Frau Klöckner, dass trotzdem noch irgendwelche Straßen, Brücken oder Flughäfen nach ihr benannt werden....

    Bernhard Roschlau

    Da fällt mir einzig und allein diese Redewendung ein: Das hat gesessen!

    Manfred Englert

    Geehrter Herr Wiedemann, Ihre Äußerungen triefen nur so von Einseitigkeit, weswegen ich ebenso wenig weiß, ähnlich wie Sie, womit ich anfangen soll. Wir leben in einer Demokratie, wie sie es in der deutschen Geschichte nie gegeben hatte. Aber auch Demokratien müssen Grenzen setzen, damit sie nicht handlungsunfähig werden! Natürlich haben die kirchlichen Verantwortungsträger das Recht, sich zum politischen Geschehen zu äußern und zu versuchen, Einfluß zu erlangen. Jedoch geht für mich garnicht, derart zu agieren, daß sich Kirchenleute herausnehmen, Personen, die in ein EU Land abgeschoben werden müssen, weil diese dort erstmalig einen Asylantrag stellten, ein sogenanntes "Kirchenasyl" zu gewähren! Das sind für mich Anmaßungen und dürften so nicht passieren Ich nehme an, daß sich die BT Präsidentin da mit mir auf einer Wellenlänge bewegt. Unsere Demokratie muß kompakt bleiben und darf nicht jeder und jedem nachgeben. Sonst kann es sein, daß wir mal eine super Demokratie hatten!!!!

    Katrin Weber

    Vielen Dank für diesen Brief!

    Lutz Saubert

    Unglaublich viel Polemik. Das zweifelhafte Winken sogenannter NGOs ist für unsere Gesellschaft wenig förderlich. Und gerade die "Omas gegen ..." spielen eine fragwürdige Rolle im politischen Spektrum.

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    Dietmar Eberth

    "Und gerade die "Omas gegen ..." spielen eine fragwürdige Rolle im politischen Spektrum." Natürlich darf ein Verein gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Demonstrieren ist ein Recht in Deutschland. Was werfen Sie konkret den Omas gegen Rechts vor?

    Dietmar Eberth

    "Und gerade die "Omas gegen ..." spielen eine fragwürdige Rolle im politischen Spektrum." Demonstrieren ist ein Recht in Deutschland und auch der Verein Omas gegen Rechts darf deshalb gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Was werfen Sie konkret den Omas gegen Rechts vor?

    Anton Müller

    Vielen Dank für das klare Wort an Frau Klöckner, die noch sehr viel lernen muss um in die großen Fußabdrücke zu passen, die Frau Baß hinterlassen hat. Nicole Weisenberger

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    Anton Müller

    Also entweder gibt es zwei Anton Müller (ist mir bislang noch nicht aufgefallen) oder die Zuordnung von Autoren zu Kommentaren passt hier nicht. Die Aussage von 7:47 Uhr ist definitiv nicht meine. In der Sache bin ich für eine strikte Trennung von Staat und Kirche.

    Martin Deeg

    ....."räumt das Feld für diejenigen frei, die sich mit kruden menschen- und demokratiefeindlichen Standpunkten ins Rampenlicht drängen.".... Diese Kreise stellen mittlerweile bereits das zweithöchste Amt im Land, die Bundestagspräsidentin - und demnächst wohl den Kanzler, auch wenn der eher eine Marionette als ein Überzeugungstäter ist. Die Medien sollten - bei allem Verständnis für die Zurückhaltung der Kritik und Versuche der "EInbindung" der rechtspopulistischen Teile der CDU und insbesondere der CSU - langsam die Realität erkennen: die Unterschiede dieser Kreise zur AfD sind nur noch homöopathisch. Nicht nur die AfD sondern auch die CDU/CSU ist längst mitten im spalterischen "Kulturkampf" und betreibt Spaltung der Gesellschaft als politisches Programm. Klöckner hat sich ja nicht erst durch diesen Ausfall gegenüber der Kirche "geoutet"....

    Johannes Metzger

    Dass „Nestle Julchen“ ins nächste Fettnäpfchen tritt, das man ihr hinstellt, tritt, damit war zu rechnen.

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