Noch bevor Friedrich Merz offiziell zum Kanzler gewählt ist, sorgt ein zentrales Wahlversprechen der SPD für Streit in der künftigen Regierung: Kommt der Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 – oder war das politisches Wunschdenken? CDU-Chef Merz bremst, SPD-Chef Klingbeil pocht auf das Ziel, und die Mindestlohnkommission steht plötzlich im Mittelpunkt. Ein Überblick über den ersten großen Konflikt der neuen schwarz-roten Koalition – und warum er mehr ist als ein Streit um Zahlen.
CDU-Chef Merz im Streit mit der SPD – Was steht im Koalitionsvertrag zum Mindestlohn?
Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist zwar ausgehandelt, aber noch nicht vollständig beschlossen. Während CSU und CDU bereits zustimmen oder zeitnah abstimmen wollen, läuft bei der SPD derzeit noch der Mitgliederentscheid. Das Ergebnis soll am 30. April bekannt gegeben werden. Erst danach kann Friedrich Merz am 6. Mai zum Bundeskanzler gewählt werden.
Die Formulierung im neuen Koalitionsvertrag zum Thema „Mindestlohn“, die aktuell für Reibereien sorgt, ist sehr vage gehalten. Auf Seite 20 des Vertrags heißt es: „Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn. Die Entwicklung des Mindestlohns muss einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren.“
Dieser Abschnitt zeigt bereits: 15 Euro werden hier eher als Ziel genannt – aber nicht unbedingt garantiert. Auf diesen Punkt stützt sich zumindest Friedrich Merz in einem Interview mit der Bild am Sonntag. Dort sagte er bezüglich des Mindestlohns: „Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“ Der Mindestlohn könne „bei dieser Höhe zum 01.01.2026 oder 2027 liegen.“ Die Kommission müsse dies aber in „eigener Autonomie“ entscheiden.
Seit Januar 2025 liegt der Mindestlohn in Deutschland dem Deutschen Gewerkschaftsbund zufolge bei 12,82 Euro.
Wer entscheidet über den Mindestlohn?
Zuständig für den Mindestlohn ist in Deutschland die Mindestlohnkommission. Sie besteht aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften sowie einer Vorsitzenden und beratenden Wissenschaftlern. Ihre Aufgabe ist es, bis spätestens Ende Juni 2025 einen Vorschlag für die Jahre 2026 und 2027 vorzulegen. Diesen kann die Bundesregierung nur unverändert per Rechtsverordnung umsetzen – lehnt sie ihn ab, gibt es gar keine Anhebung, wie die Tagesschau in einem Beitrag erklärt.
Erstmals berücksichtigt die Kommission übrigens neben der Tarifentwicklung auch den sogenannten 60-Prozent-Wert des Bruttomedianlohns. Das entspricht einer Empfehlung der EU-Mindestlohnrichtlinie. Diese neue Geschäftsordnung wurde im Januar beschlossen. Daran erinnerte auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung im März 2025 in einem Beitrag.
Mindestlohnichtlinie - Reicht das für eine Erhöhung auf 15 Euro?
Tatsächlich könnte die Richtlinie dazu führen, dass sich der Mindestlohn in Richtung der 15-Euro-Marke bewegt – vorausgesetzt, die Kommission hält sich an den Richtwert. Laut einer Analyse der Hans-Böckler-Stiftung wären bei 60 Prozent des Medianlohns rund 14,88 bis 15,02 Euro als Mindestlohn im Jahr 2026 nötig. Dies bestätigt auch eine aktuelle Berechnung der gewerkschaftsnahen Institute WSI und IMG, auf welche die Tagesschau in ihrem Beitrag verweist. Würde man sich allerdings nur an der Tarifentwicklung orientieren, läge der Mindestlohn 2026 bei rund 14 Euro.
Ärger in der Koalition? Wie reagieren SPD, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertreter auf die Merz-Aussage?
Friedrich Merz hat mit seinen Äußerungen zum Mindestlohn für den ersten offenen Koalitionsstreit gesorgt. Während der Kanzler in spe betont, es gebe „keinen gesetzlichen Automatismus“ für eine Erhöhung auf 15 Euro ab 2026, sieht die SPD in der Formulierung des Koalitionsvertrags einen klaren politischen Auftrag – und reagiert empört.
SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte in der ARD mit Bezug auf den Koalitionsvertrag: „Es gilt das, was im Text steht.“ Der Mindestlohn von 15 Euro sei erreichbar, wenn sich die Mindestlohnkommission – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – an die Tarifentwicklung und den Medianlohn orientiere. Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sprach von einem „gesetzten“ Ziel und forderte Merz auf, dies öffentlich zu bestätigen. Klingbeil und Miersch reihten sich dabei hinter Arbeitsminister Hubertus Heil (ebenfalls SPD) ein, der gegenüber dem ZDF-Morgenmagazin die 15 Euro für „erreichbar“ hielt.
Kritik kommt aber nicht nur aus der SPD-Führung. Der linke Parteiflügel und die Jusos sehen durch Merz’ Aussagen zentrale soziale Versprechen infrage gestellt – mitten im laufenden Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag. Juso-Chef Philipp Türmer wurde im Liveblog der Tagesschau zitiert: „Für uns reicht das nicht.“
Auch die Gewerkschaften zeigen sich irritiert. Der DGB und die gewerkschaftlichen Vertreter in der Mindestlohnkommission drängen auf eine spürbare Erhöhung und verweisen auf die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung, laut der 15 Euro sachlich geboten wären, um den EU-Richtwert zu erfüllen.
Ganz anders bewerten es naturgemäß die Wirtschaftsverbände: Sie warnen vor einem politischen Eingriff in die unabhängige Kommissionsarbeit. In einer gemeinsamen Erklärung von Industrie, Handel, Land- und Forstwirtschaft heißt es, ein Mindestlohn von 15 Euro gefährde Arbeitsplätze, treibe Lohnnebenkosten und könne eine Lohn-Preis-Spirale auslösen. Arbeitgebervertreter wie Steffen Kampeter kritisieren gegenüber der Tagesschau die 15-Euro-Debatte als „sozial-romantisches Spielchen“ – und fordern stattdessen ein „sensibles Vorgehen“ angesichts der schwächelnden Wirtschaft in Deutschland.
Wird der Mindestlohn 2026 wirklich auf 15 Euro steigen?
Kurz gesagt: vielleicht – aber nicht automatisch. Im neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es, wie oben im Text erwähnt, dass sich die Mindestlohnkommission „im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren“ soll. Daraus ergibt sich rein rechnerisch ein Mindestlohn von rund 15 Euro im Jahr 2026 – aber eine Garantie ist das nicht.
Denn die Parteien, das ist in den vergangenen Tagen deutlich geworden, haben eine sehr unterschiedliche Einstellung zu dem, was im Koalitionspapier festgelegt wurde.
Einen Fingerzeig in dieser Streitfrage wird lediglich die Mindestlohnkommission liefern können, die ihren Vorschlag bis Ende Juni 2025 vorlegen soll. Die Bundesregierung kann dann auf zweierlei Arten reagieren. Entweder setzt sie den Vorschlag per Rechtsverordnung um, oder sie lehnt ihn ab. Verändern darf die Regierung den Vorschlag der Kommission nicht. Nimmt die Bundesregierung den Vorschlag nicht an, gibt es automatisch keine Erhöhung und der Mindestlohn bleibt auf seinem bisherigen Stand.
Übrigens: Nicht nur der gesetzliche Mindestlohn bestimmt, wie viel Geld Arbeitnehmer am Ende des Monats übrig haben. Auch die Sozialabgaben spielen dabei eine entscheidende Rolle – und sie steigen seit Jahren kontinuierlich. Während Union und SPD mit ihren Plänen im Koalitionsvertrag kaum Entlastung versprechen, prognostizieren Experten bereits eine deutliche Mehrbelastung bis 2035. Besonders stark betroffen sind bestimmte Berufsgruppen, wie die aktuellen Zahlen für das Jahr 2025 zeigen. Ein Blick ins Ausland offenbart zudem: Deutschland gehört bei den Abgaben im Vergleich zu Österreich und der Schweiz zu den Spitzenreitern.
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