Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
ZZ Fallback
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: "Ich war am Ende": Wie eine Tänzerin und Sanitäterin die Alkoholsucht besiegte

Augsburg

"Ich war am Ende": Wie eine Tänzerin und Sanitäterin die Alkoholsucht besiegte

    • |
    • |
    Tina Klewin zeigt in ihrem Tanzstudio ihr Buch "Herz sucht Mut – Seele sucht Halt". Darin hat die 42-Jährige ihren harten Weg aus der Alkoholsucht beschrieben.
    Tina Klewin zeigt in ihrem Tanzstudio ihr Buch "Herz sucht Mut – Seele sucht Halt". Darin hat die 42-Jährige ihren harten Weg aus der Alkoholsucht beschrieben. Foto: Peter Fastl

    In der Zeitung war Tina Klewin nur eine kurze Randnotiz: "Eine Autofahrerin war gegen 22.40 Uhr anderen Verkehrsteilnehmern aufgefallen, weil sie Schlangenlinien fuhr." Die Nacht endete für Klewin damals im Polizeiarrest. Sie war mit 2,2 Promille alkoholisiert. Klewin verlor erst den Führerschein, dann den Job. Für die zierliche, quirlige Frau war das nicht nur der Tiefpunkt ihres Lebens. Jene Nacht wurde zum Wendepunkt. "Ich war so geschockt über mich", erzählt sie jetzt, vier Jahre später. "Ab da fing ich an, ehrlich zu mir zu sein." Ihren Weg aus der Alkoholsucht beschreibt die 42-Jährige, die eine Ballett- und Poledance-Schule leitet und zudem als Rettungssanitäterin arbeitet, in ihrem Buch "Herz sucht Mut – Seele sucht Halt". Offen spricht sie darüber, wie es einst so weit kommen konnte.

    Die größte Lüge ist für Tina Klewin heute die Geschichte vom "kontrollierten Trinken". "Bei den meisten Menschen wird es nicht funktionieren. Früher oder später entgleist der Zug", schreibt sie in ihrem Buch, das aus Tagebuch-Einträgen besteht. Vielleicht hat man zwangsläufig diese Überzeugung, wenn man selbst der Alkoholsucht verfallen war. Der Weg dorthin ist schleichend. Bei Tina Klewin beginnt er eigentlich schon in der Kindheit. 

    Das Tanzen ist Tina Klewins große Leidenschaft

    Mit der Mutter hält sie sich immer wieder im Frauenhaus auf. Sie wird als Kind missbraucht, fliegt von der Schule, bekommt Essstörungen. Ihr einziger Halt ist das Tanzen – Klewins große Leidenschaft. Auch weil sie beim Tanzen die Probleme um sich herum vergessen kann. Nach einem Klinikaufenthalt gerät Tina Klewin im Alter von 17 Jahren in falsche Kreise. "Ich nahm Drogen, dann gab es die eine Nacht, in der ich Opfer einer Vergewaltigung wurde. Ich war psychisch und körperlich am Ende." Alkohol war da längst ihr ständiger Begleiter. 

    Er bleibt es auch, als sie sich aufrappelt. Dem Tanz zuliebe. "Mein Arzt sagte mir, ich müsse mehr essen, um gesund zu werden. Ich wusste, wenn ich wieder 45 Kilogramm wiege, kann ich auch wieder tanzen." Sie holt erst den Hauptschul-, dann den Realschulabschluss nach, ergattert einen Studienplatz für Bühnentanz an einer Akademie in Stuttgart. Schließlich schließt sie im Ballettförderzentrum in Nürnberg erfolgreich ihr Diplom zur Tanzpädagogin ab. Sie habe immer für sich gekämpft, sagt Tina Klewin im Rückblick. Doch da war noch der Alkohol. 

    Tänzerin und Ballettschulleiterin Tina Klewin arbeitet auch beim Rettungsdienst.
    Tänzerin und Ballettschulleiterin Tina Klewin arbeitet auch beim Rettungsdienst. Foto: Klewin

    Dass sie nach Theatervorstellungen drei bis vier Gläser mehr trinkt, als ihre Kolleginnen und Kollegen, übersieht sie. "Ich hatte eine tolle Arbeit und ich funktionierte." Wegen der Liebe zieht Tina Klewin nach Augsburg, gründet in Kriegshaber ihre eigene Ballettschule Tánc Világ on Stage. Mit einem ihrer beiden Hunde geht sie zur Rettungshundestaffel. Ihr, die selbst schon oft Hilfe brauchte, gefällt es, anderen in Not zu helfen. Sie lässt sich zur Rettungssanitäterin ausbilden. 

    "Es lief gut an in Augsburg. Vor Corona hatte ich in meiner Tanzschule um die 90 Schülerinnen und Schüler, der Rettungsdienst machte mir Spaß." Dass sie nach den Schichten mit dem Notarzt Alkohol braucht, um "herunterzukommen", wie sie sagt, ignoriert sie. An jene Nacht, in der sie Schlangenlinien fuhr und die Polizei alarmiert wurde, erinnert sie sich nicht. "Ich hatte einen Blackout. Es war alles ein Albtraum. Ich war so geschockt von mir und einfach nur dankbar, dass nichts passiert war." Es sei gut gewesen, dass man ihr für 15 Monate den Führerschein abgenommen habe, meint sie jetzt. Damals hatte sie das nicht so gesehen. "Ich war am Ende." Ihr Hausarzt gibt ihr Auftrieb. "Er erinnerte mich daran, was ich schon alles geschafft habe." Tina Klewin nimmt wieder den Kampf auf – für sich und ihr Leben, er kostet Kraft. Sie lernt, ohne Alkohol zu leben.

    Augsburgerin über Jugend: "Erschreckend" niedrige Hemmschwelle bei Alkohol

    Die Augsburgerin führt darüber eine Art Tagebuch, postet ihre Gefühle und Erfahrungen auf Instagram. Daraus wird ein Buch mit dem Titel "Herz sucht Mut – Seele sucht Halt". "Ich hatte lange überlegt, ob ich so offen über mich schreiben soll", erzählt Tina Klewin. "Aber ich finde, dass wir Menschen immer mehr verlernen, zu reden und einander zuzuhören. Umso wichtiger ist es, mit Problemen offen umzugehen." Gerade weil der Alkohol gesellschaftlich toleriert werde und sehr präsent sei, würde über seine möglichen Folgen gerne geschwiegen. Tina Klewin will mit ihrem Buch wachrütteln. Als Mitarbeiterin im Rettungsdienst – dort arbeitet sie inzwischen wieder in Teilzeit – bekomme sie regelmäßig mit, wie niedrig die Hemmschwelle vieler Jugendlicher bei Alkohol sei. "Das ist erschreckend." Klewin plant mit ihrem Buch, auch an Schulen zu gehen – ein entsprechendes Projekt werde über die FDP, wo sie Mitglied ist, auf die Beine gestellt. "Ich will Mut machen, denn wir alle sind nicht fehlerfrei. Und ich möchte zeigen, dass man aus seinem Leben etwas machen kann – egal, woher man kommt."

    Das Buch "Herz sucht Mut – Seele sucht Halt" wird derzeit neu verlegt und ist in zwei bis drei Wochen wieder erhältlich. Kontakt über Tina-Gizella@gmx.de

    Hilfe finden Betroffene und Angehörige unter anderem beim Verein Lichtblume, Telefon 0821/4442801, der Suchtfachambulanz der Caritas in Augsburg, Telefon 0821/31560, oder den Anonymen Alkoholikern, Telefon 0821/47017920.

    Auch im Podcast "Augsburg, meine Stadt" ging es schon mal um das Thema Alkoholsucht. Sänger Stefan Krause berichtet, wie er den Weg aus der Abhängigkeit geschafft und wo er Hilfe gefunden hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden