Es gibt Kinder, die kommen auf die Welt und werden nichts von ihr erleben: Weil sie schon kurz nach der Geburt sterben oder weil sie bereits tot geboren werden. In den Herzen ihrer Eltern haben diese Kinder für immer einen Platz – und doch soll es auch im realen Leben etwas geben, das zeigt, dass es sie gegeben hat, dass jemand sie liebt und um sie trauert. Fotografin Alexandra Reiter hilft dabei: Sie fängt die kostbaren, unwiederbringlichen Momente auf Bildern ein und hält so das für die Ewigkeit fest, was doch so flüchtig ist. Von lebendigen Kindern können Eltern tausende Fotos machen, bei Sternenkindern gibt es nur ein kurzes Zeitfenster, um Erinnerungen zu schaffen. Das erste Bild ist zugleich das letzte, wenn Alexandra Reiter und die anderen Fotografinnen und Fotografen der Stiftung "Dein Sternenkind" zum Einsatz kommen.
In der Zentrale der Stiftung können sich Eltern oder Krankenhäuser melden, wenn ein Kind im Mutterleib gestorben ist oder wenn der Tod eines Neugeborenen abzusehen ist. Dann geht über die Einsatzleitung ein Alarm auf den Handys der Fotografen ein, die in der Nähe leben. Rund 700 von ihnen gibt es in Deutschland, in Österreich, der Schweiz und in Südtirol. Sie rücken bis zu 400 Mal im Monat aus, also ein Dutzend Mal am Tag, und manchmal kann es sein, dass es schnell gehen muss.
Stiftung "Dein Sternenkind": Nicht alle Eltern wollen beim Fotografieren dabei sein
Mal sind die Eltern ganz ruhig, mal reden sie viel, mal weinen sie nur. Viele Eltern wenden keinen Blick von ihrem Kind ab, kuscheln mit ihm und halten es fest im Arm. Es kommt aber auch vor, dass Eltern beim Fotografieren lieber nicht dabei sein möchten oder sich anfangs davor scheuen, die teils fragilen Körper zu berühren. Die 34-Jährige ermutigt diese Eltern, sich ihrem Kind anzunähern und die vielen kleinen Details zu betrachten. Sie redet mit den Eltern, aber auch mit dem Kind, sagt Dinge wie "Du hast aber süße, kleine Füßchen" und weist auf die Details hin, die sie gerade fotografiert, damit die Eltern sie sich bewusst ansehen und einprägen können. "Wenn man die Kamera in die Hand nimmt, weiß man, was man macht, und es fühlt sich richtig an", sagt sie. "Man ist da und macht diese wertvollen Bilder. Sie sind eines der wenigen Dinge, die man von seinem Kind behält."

Viele Eltern, die in dieser ungewohnten Situation auf Abstand gehen, unbeholfen sind und manchmal vor Angst wie erstarrt, bedanken sich danach bei ihr: Dafür, dass sie so normal mit ihnen umgegangen sei, ihnen die Scheu genommen und ihren Blick geschärft hat auf ein Kind, das sie nie mehr wiedersehen werden. "Man schenkt den Eltern nicht nur Bilder, sondern auch Zeit mit ihrem Kind", sagt Alexandra Reiter.
Häufig werden gerade junge Sternenkinder im Krankenhaus in eine kleines, mit Wasser gefülltes Gefäß gelegt, denn ihre zarte Haut trocknet schnell aus. Alexandra Reiter nimmt gerne ein Tuch mit, das sie zu dem Baby ins Wasser legt. Die Bilder, die daraus entstehen, wirken schwerelos, fast wie aus dem Mutterleib.
Die Eltern bekommen ein Erinnerungsstück zum Festhalten
Manchmal nehmen die Eltern auch ein Erinnerungsstück mit nach Hause. Die Fotografin hat oft Blümchen wie Vergissmeinnicht mit dabei, mit denen sie die Babys fotografiert, und von denen die Eltern dann ein getrocknetes Exemplar bekommen. Oder sie legt den Sternenkindern einen Schutzengel oder ein gehäkeltes Herz in die kleinen Hände, ein zweites bekommen die Eltern. "Etwas zum Festhalten", sagt Alexandra Reiter, eines der wenigen Erinnerungsstücke an ein Leben, das geendet ist, bevor es richtig begonnen hat.
Für die Eltern sind die Fotos kostenlos. Alexandra Reiter bekommt kein Geld für diese ehrenamtliche Arbeit, aber eine ganz besondere Dankbarkeit, die ganz anders sei als bei ihren anderen Fotoprojekten, sagt sie, die meistens die glücklichen Tage im Leben von Familien abbildet: Hochzeiten, Schwangerschaften, Babys, Familienporträts. Über die Sternenkind-Fotografie sagt sie: "Es ist das Sinnvollste, was ich mache."

Wer die 34-Jährige in ihrem Zuhause in Breitenbrunn besucht, hört immer wieder das laute Kinderlachen ihrer beiden Söhne, die gerade im Garten herumtollen. Die beiden haben noch eine große Schwester, die sie nie kennengelernt haben: Sie kam 2016 zur Welt, zum Ende der Schwangerschaft – als Sternenkind.
Von der Stiftung "Dein Sternenkind" hat Alexandra Reiter erst später erfahren
Damals haben Alexandra Reiter und ihr Mann selbst Fotos gemacht. Von der Stiftung "Dein Sternenkind" habe sie erst später erfahren und dann beschlossen: "Das will ich machen und anderen Eltern helfen." Nach der Geburt ihrer beiden Söhne meldete sie sich als Fotografin an. An der Trauer um ihr eigenes Kind ändere die Arbeit nichts, sagt sie: Sie werde dadurch nicht verstärkt. "Ich kann durch meinen Verlust etwas Gutes schaffen." Manchmal stellt sie sich vor, wie ihre Tochter von oben herabschaut und ihr zuflüstert: "Mama, das machst du gut." Alexandra Reiter lächelt. Sie kann wieder ein glückliches Leben führen – trotz der Trauer, die immer bleiben wird.

2016 war ihre Welt viel dunkler: "Ich dachte anfangs, ich wäre die Einzige, die ein totes Kind zur Welt bringt", sagt sie. Geholfen habe ihr der Austausch mit anderen verwaisten Eltern. Überhaupt: Reden, reden, reden. Doch viele Menschen haben nach einer Totgeburt Scheu, etwas Falsches zu sagen, weichen aus, distanzieren sich – und verletzen die Sternenkind-Eltern damit noch mehr, die das Gefühl haben, an einer ansteckenden Krankheit zu leiden und den Fehler bei sich suchen. "Wenn man nicht weiß, was man sagen soll, dann kann man das so offen sagen", findet Alexandra Reiter, die noch heute mit Traurigkeit in der Stimme die vielen Floskeln aufzählen kann, die sie sich damals anhören musste: Das wird schon wieder. Du bist ja noch jung. Ihr könnt ja noch weitere Kinder bekommen. Wer weiß, wofür's gut war.
Was sie hingegen freut: Wenn andere an ihre Tochter denken, an deren Geburtstag, aber auch, wenn sie zum Beispiel einen Schmetterling oder einen Regenbogen sehen, und ihr ein Foto mit der Nachricht schicken: "Ich denke gerade an euer Kind." Ein Sternenkind wird immer fehlen, sagt Alexandra Reiter.

Das zeigt ihr auch das Beispiel einer Frau, die sich vor Kurzem beim Bildbearbeitungsteam der Stiftung gemeldet hat. Sie wollte das einzige Foto, das sie von ihrem Sternenkind hatte, wieder aufbereiten und digitalisieren lassen. Es ist bereits mehrere Jahrzehnte alt und eines der wenigen Erinnerungsstücke, "das erste und das letzte Bild" ihres geliebten Kindes..
Die Stiftung erreicht man über: https://www.dein-sternenkind.eu/