Herr Reichhart, kürzlich haben Sie im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung benannt, wer in den Landkreis Günzburg flüchtet: Primär beantragen junge alleinreisende Männer aus dem Mittleren und Nahen Osten Asyl. Anfang des Jahres hätten Sie das nicht so direkt gesagt.
LANDRAT HANS REICHHART: Weil es bisher nicht so war. Anfang 2023 kamen noch verstärkt Menschen aus der Ukraine zu uns, inzwischen gar keine mehr, sondern wieder aus dem klassischen Asylbereich. In den vergangenen Monaten waren es junge Männer aus Syrien, Ghana, Gambia aber auch der Türkei, die hier im Landkreis angekommen sind. Ganz aktuell sind es verstärkt türkische Familien.

Warum denn aus der Türkei?
REICHHART: Das ist eine berechtigte Frage. Meine Vermutung ist, dass einige nach dem Erdbeben in diesem Jahr visafrei eingereist sind und nun bleiben möchten. Ich tue mir auch schwer, eine schlüssige Erklärung zu finden. Klar ist aber: Wir suchen uns nicht aus, wer kommt.
Die Asylbewerber werden vom Freistaat zugewiesen und die bayerischen Landkreise und kreisfreien Städte sind verpflichtet, die Menschen aufzunehmen.
REICHHART: Richtig. Haben wir keine Unterkunft, kommt der Bus trotzdem jede Woche. Aktuell sind es ungefähr 20 bis 40 Menschen, für die wir wöchentlich ein Bett organisieren müssen. Wir nehmen im Landkreis knapp ein Prozent der Asylbewerber in Bayern auf. Und wir stoßen nicht nur an die Grenzen, sondern das Limit ist schon überschritten.
Was bedeutet das konkret?
REICHHART: Das wirkt sich in vielen Bereichen aus. Es geht nur noch darum, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Von Integration spricht schon gar keiner mehr. Wir haben knapp 2800 Geflüchtete und Asylbewerber im Landkreis, sowohl aus der Ukraine, als auch aus den anderen Herkunftsländern, das sind mehr als zwei Prozent der Landkreisbevölkerung. So wie es ist, darf es nicht weitergehen. Man muss sich gedanklich darauf einstellen, dass wir Turnhallen oder Schullandheime belegen müssen. In den Nachbarlandkreisen ist das bereits der Fall. Auch die Grenze, was eine Gesellschaft aushalten kann, ist erreicht.

Woran merken Sie das im Landkreis Günzburg?
REICHHART: Die Stimmung ist mehr als angespannt, das merken wir vor allem immer dann, wenn ein neues Gebäude in einer Kommune belegt wird, dann kocht die Stimmung hoch. Und auch die Hilfsbereitschaft geht extrem zurück, wir haben kaum noch Helferkreise in der Region. Die Menschen haben so gut wie keine Akzeptanz mehr für diese Masse an Migration. Einige Kommunen sind stark belastet, dort mieten wir auch nichts mehr an. Andere sind noch unter der Quote.
Zum Beispiel Thannhausen, Landensberg oder Grundremmingen. Warum? Ist es nicht gerechter, wenn alle ihren Teil leisten müssen?
REICHHART: Ich kann in einer 500-Einwohner-Gemeinde kein Haus mitten im Dorf für 50 Asylbewerber anmieten. Wir müssen schauen, was wo verträglich ist. Deswegen wollen wir auch das Containerdorf im Areal Pro errichten. Zum einen, weil Bubesheim noch keine Geflüchteten aufgenommen hat, aber auch, weil wir auf dieser Fläche Wasser- und Abwasseranschlüsse haben.
Ansonsten ist im Gewerbegebiet am Waldrand aber auch nicht viel geboten. Haben Sie nicht Sorge, dass die Menschen dort komplett abgeschnitten von der Gesellschaft sind und gleichzeitig die Stimmung in den Unterkünften kippt?
REICHHART: Es geht nicht um die Integration, sondern dass wir ein Bett für die Menschen bereitstellen können. 2800 Menschen auf einem Wohnungsmarkt, der eh schon angespannt ist, unterzubringen, ist ein riesiger Druck. Am Anfang haben wir selektiver ausgewählt und geschaut, wer wo zusammenleben könnte. Das ist nicht mehr möglich. Die Menschen haben es geschafft, tausende Kilometer nach Deutschland zu reisen. Wer aus einem Kriegsland flüchtet, muss doch erst einmal froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Sie sind, wie viele in der CDU/CSU, für die Einführung eines Sachleistungsprinzips. Das heißt, die Neuankömmlinge sollen statt Geld eine Bezahlkarte erhalten, mit der nur noch bestimmt Waren eingekauft werden können. Was soll das bringen?
REICHHART: Das würde verhindern, dass Geldleistungen zum Teil in die Heimatländer zurückgeschickt werden. Die Karte würde wie eine Art Prepaidkarte funktionieren und wäre für verschiedene Sachleistungen und Warengruppen freigeschaltet. Allerdings ohne die Abhebefunktion in den Supermärkten. Das könnte den Anreiz, nach Deutschland zu kommen, verringern.
Man könnte aber auch die Menschen schneller in eine Arbeit bringen, da hätte doch die Landkreisbevölkerung etwas davon. Bauhöfe, Pflegeeinrichtungen und viele weitere Betriebe suchen oft nach Unterstützung.
REICHHART: Arbeit ist der beste Faktor für eine Integration. An sich bin ich auf jeden Fall dafür, dass Asylbewerber etwa gemeinnützige Arbeit leisten. Wenn ich aber eine verpflichtende Tätigkeit einführe, muss das jemand überwachen. Das ist bei 20 bis 40 Menschen pro Woche schier unmöglich. Bei den Ukrainern sind wir, was die Erwerbstätigkeit angeht, über dem deutschen Schnitt.
Wie viel bekommt denn beispielsweise ein 20-Jähriger aus Syrien, der hier im Landkreis aus dem Bus steigt? Und was kostet das den Landkreis?
REICHHART: Er erhält monatlich zwischen 300 und 400 Euro in bar. Das gibt der Bund mit dem Asylbewerberleistungsgesetz vor, genauso wie die Unterbringung. Das zahlt der Freistaat, nicht der Landkreis. Für uns als Kreisverwaltungsbehörde fallen Verwaltungskosten und der Personaleinsatz an. Gleichzeitig sind aber auch die Kommunen in ihren Schulen und Kindergärten stark belastet. Aber es geht nicht um Geld, sondern um die Unterstützung. Der Bund müsste die Flüchtlingszahlen deutlich senken. Aber in Berlin werden Phantomdiskussionen geführt, statt endlich gezielte Maßnahmen zu ergreifen.
Wie müssten diese Ihrer Meinung nach aussehen?
REICHHART: Stärkere Grenzkontrollen wären wichtig. Wir haben gesehen, was für ein Drama es war, bis die Innenministerin sich durchgerungen hat, endlich stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz zu ermöglichen. Das ist ja das Hauptproblem. Die Menschen reisen durch sichere Länder, um am Ende in Deutschland zu bleiben. Nach meinem Kenntnisstand ließe es sich in Österreich oder der Schweiz auch gut leben. Auch die Umstellung auf die Prepaidkarte wäre eine gute Maßnahme. Aber manchmal glaube ich, die Politiker in Berlin leben in einer anderen Welt.
Diesen Vorwurf an die Ampel hört man derzeit öfter aus Bayern. Wie könnte man das ändern? Was wäre Ihr Wunsch?
REICHHART: Ja, weil es wirklich unterschiedliche Lebenswirklichkeiten sind. In Berlin wurde verlernt, sachlich zu streiten, damit meine ich die politische inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen. Mir fehlt es, ernsthaft über die Zukunft zu sprechen. Und ich merke, es geht nur noch um das Tagesgeschäft und es fehlt die Klammer, die alles zusammenhält.
Zur Person
Hans Reichhart (41 Jahre) ist seit Mai 2020 Landrat im Kreis Günzburg. Zuvor war der CSU-Politiker Mitglied des Landtags und im Kabinett Söder Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr.