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London: Die Ewigkeit ist zu Ende: Trauer um die Queen Elizabeth II.

London

Die Ewigkeit ist zu Ende: Trauer um die Queen Elizabeth II.

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    Königin Elizabeth II. im April dieses Jahres zwischen ihren Fellponys Bybeck Nightingale (rechts) und Bybeck Katie.
    Königin Elizabeth II. im April dieses Jahres zwischen ihren Fellponys Bybeck Nightingale (rechts) und Bybeck Katie. Foto: Foto: Henry Dallal Photography, Royal Windsor Horse Show, dpa

    Wo beginnen? Dieser Nachruf auf Königin Elizabeth II. wurde, wie üblich bei betagten und bedeutenden Persönlichkeiten, schon zu ihren Lebzeiten geschrieben. Nur war es unmöglich, sich das Unaussprechliche und Undenkbare vorzustellen. Zu besonders erschien die Situation, zu beispiellos der Fall: Die Queen, Zeitzeugin eines Jahrhunderts und die am längsten amtierende Monarchin der Welt, war doch immer da. Begleitete wie ein Familienmitglied das Leben von so gut wie jedem Briten, überstand ein halbes Dutzend Päpste und sah 15 Premierminister kommen und die meisten wieder gehen – von Winston Churchill bis zur heutigen Regierungschefin Liz Truss. Auf eine völlig irrationale Weise gab es für viele Menschen nie die Option, dass Königin Elizabeth II. sterben könnte. Am Donnerstag ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben.

    Britisches Volk in Trauer vereint

    Und fassungslos stehen das britische Volk sowie royale Anhänger aus buchstäblich aller Herren Länder in Trauer vereint. Die ewige Monarchin war mit ihren farbenfrohen Kostümen und leuchtenden Hüten das Aushängeschild der Nation – zwar ohne offensichtliche Macht in der Tagespolitik, aber – oder genau deshalb – mit größter Bedeutung. Sie bildete den britischen Staatskern. In Deutschland begründete sich die Popularität des Königshauses vor allem in der Lust am Klatsch, in der Exotik und der Folklore. Derweil trat die Monarchin für die Insel auch als politische Akteurin auf, repräsentierte und sorgte für diplomatische Erfolge, wenn sie Regierungschefs und wichtigen Persönlichkeiten die Tür zu ihren Palast-Gemächern öffnete oder ihnen als Großbritanniens erfolgreichstes Exportprodukt einen Besuch abstattete.

    Sie stand als Staatsoberhaupt nicht nur dem Vereinigten Königreich vor, sondern auch 15 weiteren Ländern des Commonwealth, darunter Australien, Neuseeland und Kanada. Und sie wurde in sieben Jahrzehnten zum institutionellen Gedächtnis Großbritanniens. Die Welt konnte sich verändern, die Queen winkte. Wie groß ihr indirekter Einfluss auf die Politik tatsächlich war, dürfte zum Verdruss vieler Monarchiegegner wohl erst in rund 100 Jahren nach der Freigabe der privaten Papiere bekannt werden. Die Unnahbare zog die schweren Palastvorhänge stets nur einen Spalt weit auf, um das Rätselhafte ihrer Person und die Magie der Monarchie zu bewahren. Emotionales war ihr zudem fremd. Nur wenige Male rang sie in der Öffentlichkeit mit den Tränen. Als sie im April letzten Jahres allein und in tiefer Trauer Abschied von ihrem Ehemann, Prinz Philip, nahm, sagte sie im Anschluss an die aufgrund von Corona-Restriktionen klein gehaltene Abschiedszeremonie, es herrsche jetzt eine Leere um sie, „a void“. Ihre wichtigste Stütze, fast 74 Ehejahre an ihrer Seite, war plötzlich nicht mehr da. Sie litt unter dem Verlust – und ging nach einer zweiwöchigen Trauerzeit dennoch wieder arbeiten. „Lass es uns angehen“, so lautete das Motto in der ältesten Generation der Windsors, obwohl es ihr körperlich seit Monaten schon schlecht ging.

    Queen war moralisches Vorbild

    Zeit ihres Lebens übte Elizabeth II. mit stoischer Ruhe, viel Symbolik und strenger Disziplin ihren Dienst am Volk aus und in den Augen ihrer Untertanen stand sie als Symbol für Tugenden wie Hingabe, Pflichtbewusstsein und Standhaftigkeit. Sie war moralisches Vorbild und musste in einer Gesellschaft, die in ihrer Neigung zum Konservativen mit tiefsitzenden Klassenunterschieden kämpft, als Verbindungselement zwischen Oberschicht und Arbeiterklasse dienen. Gleichwohl überstand sie die schlimmsten Skandale und verlieh der Monarchie auch eine für die heutige Zeit gefühlte Relevanz. Königin Elizabeth II. schwebte über allem, im Wunschdenken zahlreicher Briten und Palastfans auf der ganzen Welt auch über der Zeit. 2015 überholte sie Queen Victoria mit der längsten Regentschaft. Während aber ihre Ururgroßmutter das goldene Zeitalter Britanniens geprägt hat, ist unter der Herrschaft Elizabeths II. das Empire zerfallen, die Macht und der Einfluss des einstigen Weltreichs sanken stetig. Kritiker behaupten, dass nicht viel bleiben wird von Elizabeths Ära.

    Außer das Commonwealth, das sie mit aufgebaut und zusammengehalten hat. Ihm galt ihre Priorität. „Elizabeth II. hat es geschafft, die schlechten Erfahrungen und all die Verbrechen, die im Empire stattgefunden haben, in etwas Positives zu verwandeln – aus einer negativen Kolonialgeschichte ist so etwas Gutes entstanden“, sagte die royale Historikerin Karina Urbach. Doch ob sie wie Victoria nach ihrem Tod ein neues Zeitalter prägen wird, wie es sich schon Winston Churchill erhoffte, wird bezweifelt. „Sie spielt nicht in derselben Liga wie Elizabeth I. oder Victoria, schon allein, weil sie keine vergleichbare politische Macht hat“, befand Urbach. „Immer und immer wieder, leise und bescheiden, hat die Königin uns allen gezeigt, dass wir zuversichtlich in die Zukunft gehen können – ohne die Dinge zu verraten, die uns wichtig sind“, schrieb Prinz William in einem Vorwort zu einer Biografie. Doch nur auf Druck der Gesellschaft und mit Hilfe der Enkel verlieh sie ihrer Institution nach und nach einen moderneren Anstrich. Die Royals, die das herrschaftliche Theater voller Prunk, Pracht und Pomp auf beispiellose Weise zelebrieren, verkörpern in all ihrer Traditionsverbundenheit das alte Britannien, dem noch immer viele auf der Insel insgeheim nachtrauern – trotz des Kolonialismus mit seinen gerne verdrängten Schattenseiten.

    Krönung am 2. Juni 1953

    Elizabeth Alexandra Mary Windsor, so ihr voller Name, hat in ihren 70 Dienstjahren große Umwälzungen erfahren, die Suez-Krise miterlebt und den Kalten Krieg, den wirtschaftlichen Kollaps in Großbritannien, die technischen Neuerungen, den blutigen Unabhängigkeitskampf der nordirischen Untergrundorganisation IRA und das Brexit-Votum, das Europa erschütterte. Am 6. Februar 1952 wurde sie nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters König George VI. über Nacht zur Königin. Weil sie gerade abgeschnitten von der Zivilisation in Afrika auf einer Safari weilte, erfuhr Lilibet, wie sie als Mädchen von Familie und Freunden genannt wurde, als eine der letzten Menschen von ihrer plötzlichen Regentschaft. Sie war 25 Jahre alt. Und das vergleichsweise unbeschwerte Leben mit ihrem frisch angetrauten Mann schlagartig vorüber. Am 2. Juni 1953 fand Elizabeths Krönung in der Westminster Abbey statt, sie wurde live im Fernsehen übertragen – ein Novum. Und seitdem geriet ihr das höfische Korsett zumindest in der Außendarstellung nie zu eng. Geprägt vom Sparzwang der Kriegs- und Nachkriegszeit, pflegte Ihre Majestät, die weniger für ihre Intellektualität als für ihren Pragmatismus bekannt ist, stets das Image als bodenständige und bescheidene Frau. Auf dem royalen Frühstückstisch etwa standen Tupperdosen mit Cornflakes und Haferflocken, Sachen wegzuwerfen blieb ihr verhasst. Am liebsten präsentierte sie sich in Gummistiefeln in der Natur, umgeben von Tieren. „Sie mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen – und zwar in dieser Reihenfolge“, schrieb einmal Biograf Graham Turner.

    Selbst im hohen Alter war sie noch Schirmherrin von mehr als 600 Wohltätigkeitsorganisationen, das Ehrenamt lag ihr am Herzen. Die tief religiöse Monarchin stand zudem als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche vor und war Chefin der Streitkräfte. Jeden Morgen ging sie, wenn sie denn zu Hause im Buckingham Palace weilte, nach dem Aufstehen ihre Korrespondenz durch, beantwortete Mitteilungen, wobei nur die per Post geschickten Briefe auf eine persönliche Antwort der Queen hoffen durften. Häufig aber hatte sie Termine, weihte Bahnstrecken ein oder besuchte Schulen und Krankenhäuser: sich zeigen, lächeln, Smalltalk halten. Im Privaten kümmerte sie sich um ihre geliebten Corgis, die sie lange selbst züchtete, und Pferde. Ihr wurde ein guter Humor nachgesagt.

    Im Auftrag der Diplomatie reiste Ihre Majestät bis zum Ausbruch der Pandemie durch die Welt. So besuchte sie allein die Bundesrepublik bei fünf Staatsvisiten: 1965, 1978, 1992, 2004 und 2015, als die Deutschen mit ihrer Bewunderung für die britische Monarchin für Verwunderung bei der britischen Bevölkerung sorgten. Die Tage wurden als Erfolg verbucht wie bereits 50 Jahre zuvor, als mit der Queen zum ersten Mal, seitdem ihr Urgroßvater Edward VII. 1909 in Berlin gewesen war, wieder ein britisches Staatsoberhaupt anreiste. Die Monarchin erfüllte viele der Hoffnungen: Sie nahm nach den beiden Kriegen die deutsch-britischen Freundschaftsbande wieder auf und verknüpfte sie, zwar vorsichtig, aber nachhaltig. Das gelang allen Politikern in den Jahren zuvor nicht oder zumindest nicht auf ähnlich erfolgreiche Weise. Immer hielt sie sich an das Versprechen, das sie an ihrem 21. Geburtstag 1947 ihren Landsleuten gegeben hatte: „Mein ganzes Leben, sei es kurz oder lang, werde ich in Euren Dienst stellen.“

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