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BAD KISSINGEN: Als der Landkreis Bad Kissingen Nabel der Sportwelt war

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Als der Landkreis Bad Kissingen Nabel der Sportwelt war

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    Begeisterungsfähig: Ecuadors Fans hat es 2006 in Bad Kissingen gefallen, es waren aber nicht allzu viele da.
    Begeisterungsfähig: Ecuadors Fans hat es 2006 in Bad Kissingen gefallen, es waren aber nicht allzu viele da. Foto: Foto: Siegfried Farkas

    Im Sommer 2006 war der Landkreis Bad Kissingen für einen Augenblick der Nabel der Sportwelt. Die Sportwelt hat das vielleicht so nicht bemerkt. Es lässt sich aber mathematisch beweisen.

    Die Fußball-Weltmeisterschaft vereinte die Mannschaften von 32 Nationen in Deutschland (damals 82 Millionen Einwohner). Vier Mannschaften schlugen ihre Zelte in Unterfranken (damals 1,34 Millionen Einwohner) auf. Und zwei dieser vier Mannschaften logierten im Landkreis Bad Kissingen (damals 109 000 Einwohner) – das Team Ecuadors in Bad Kissingen, Kroatien in Bad Brückenau. Eine höhere Dichte an WM-Teilnehmern konnte kein anderer Landkreis in Deutschland vorweisen.

    Bad Kissingens damaliger Oberbürgermeister Karl Heinz Laudenbach erhoffte sich vor allem Außenwirkung von der Gastgeberrolle für das Team und die Funktionäre Ecuadors um Verbandspräsident Luis Chiriboga. Und hinterher jubilierte er, die Medienpräsenz sei so groß gewesen, „das können Sie gar nicht bezahlen“. Die Stadt hatte Losglück gehabt. Ecuador spielte in der viel beachteten deutschen Gruppe.

    Sportlich schlugen sich die Südamerikaner bei ihrer zweiten WM-Teilnahme wacker. Gegen Polen gewannen sie 2:0, gegen Costa Rica gar 3:0. Nur Gastgeber Deutschland ließen die Ecuadorianer im entscheidenden Spiel um den Gruppensieg mit einer B-Elf bei zwei Treffern von Miroslav Klose und einem von Lukas Podolski höflich den Vortritt. Im Achtelfinale ging die Rechnung dann nicht ganz auf. Nach einem 0:1 gegen England durch ein Freistoßtor David Beckhams reisten die Ecuadorianer zurück an den Äquator.

    Die Erwartungen waren dennoch erfüllt. Nicht nur die der Fans daheim. Sondern auch die der neuen Fans in Bad Kissingen. Die Stadt hatte ein paar Wochen lang mit ihren Gästen gefiebert und in dieser Zeit ein unbeschwertes Fest gefeiert.

    Den langfristigen Ertrag für den Standort Bad Kissingen allerdings schätzten schon damals nicht alle gleich ein. Während das Rathaus nicht müde wurde vorzurechnen, wie viele Menschen die Gastgeberrolle auf Kissingen aufmerksam mache, bezweifelten Skeptiker die Tragweite des Effekts.

    Thomas Lutz, damals Organisationsleiter der Stadt für das Projekt, gehört zu den Zufriedenen. Die Resonanz sei sehr gut gewesen, sagt er im Rückblick. „Die Mannschaft war ein sehr guter Partner.“ Und für den Sport in der Stadt sei bis heute etwas übrig geblieben. „Das Flutlicht am A-Platz ist dem Projekt zu verdanken“, erzählt Lutz. Die Umkleiden seien auch besser geworden.

    Von heute aus gesehen, haben auch die Zweifler recht. Man kann nicht behaupten, dass die Rechnung mit dem Nabel der Sportwelt der deutschen Öffentlichkeit in Fleisch und Blut übergegangen wäre. Auch wegen der politischen Entwicklung in der Stadt wurden Pläne, Kissingen zur Sportstadt auszubauen, nicht weiterverfolgt. Schon während der WM hatte sich der erhoffte Ansturm spanisch sprechender Gäste in Grenzen gehalten.

    Dazu kam: Mit einem anderen ehrgeizigen Projekt jener Tage, Bad Kissingen als Stadt des Sports zu positionieren, der Deutsch-Chinesischen Fußball-Akademie, erlitt Laudenbach Schiffbruch. Zudem störten während der WM und kurz danach einige Nebengeräusche. Die Fifa kritisierte die Stadt und die eigens für das Ereignis gegründete Bad Kissingen 2006 AG wegen des überteuerten Verkaufs von WM-Eintrittskarten aus dem Kontingent Ecuadors. Auch eine überzeugende Kosten-Nutzen-Rechnung gab es nie.

    Die offiziellen Kontakte schliefen nach der WM schnell ein. Punktuell werden jedoch bis heute private Verbindungen gepflegt. Thomas Lutz, zum Beispiel, war erst kürzlich wieder in Ecuador, Freunde besuchen. Ein kleines Hilfsprojekt mit einer Klinik verfolgt er nach wie vor: „Wir schicken da immer wieder mal Hilfsgüter hin.“ Auch eine Lehrkraft hat er schon mal hinvermittelt.

    Noch Jahre nach der WM 2006 stand in Bad Kissingen die Art und Weise, wie es gelungen war, Quartier für die Ecuadorianer zu werden, immer wieder unter Verdacht. Es sei ein schickes Auto als Entscheidungshilfe im Spiel gewesen, heißt es. Doch beweisen kann das bis heute keiner. Ob es Leistungen über private Sponsoren gab, vermag auch Lutz nicht zu beurteilen. Für die offizielle Ebene aber legt er die Hand ins Feuer: „Ich kann definitiv sagen, da ist nichts gelaufen.“

    Den Galionsfiguren der Verbindung von Ecuadors Fußball mit Bad Kissingen war nach dem Sommermärchen nicht nur Glück beschieden. Laudenbach wurde 2014 wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt, die er inzwischen verbüßt hat. Mit der WM hatte das allerdings nichts zu tun. Luis Chiriboga trat im März von seinem Amt als Präsident des ecuadorianischen Fußballverbands zurück. Er steht unter Hausarrest. Sein Name fiel im Fifa-Korruptionsskandal. Der Verdacht: Geldwäsche.

    Der Leitz-Ordner über den Aufenthalt der kroatischen Fußball-Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2006 in Bad Brückenau quillt fast über, als ihn Titus Tesar auf den Tisch legt. Ausgeschnittene Zeitungsartikel, komplette Exemplare von kroatischen Zeitungen und ein gelbes Post-it sind da zu sehen. Es klebt an einem Bild, auf dem die damalige Chefin des Dorint-Hotels, Anke Lock, und Kurdirektorin Andrea Schallenkammer fröhlich lachend vor einem Smart zu sehen sind, der im typisch rot-weiß karierten kroatischen Muster beklebt ist. Kurz davor die Zeitungsseiten vom Empfang in der Innenstadt Anfang Juni, als über 3000 Brückenauer der Mannschaft ein herzliches Willkommen bereiteten.

    Andrea Schallenkammer und ihr Stellvertreter Tesar erinnern sich: „Wir haben das Motto zu Gast bei Freunden wirklich gelebt.“ Ein Trikot des Teams mit allen Unterschriften hängt in ihrem Büro, auch die Sprachkassetten, um wenigstens auf Kroatisch begrüßen zu können, hat sie noch.

    Herzliche Gastfreundschaft lebten die Angestellten im Staatsbad und Dorint-Hotel, wo Mannschaft und kroatische Delegation im Fürstenhof übernachteten. Auch die Bürger in der Stadt, die den wunderbaren Sommer 2006 und die rund drei Wochen, in denen das kroatische Team hier war, in guter Erinnerung haben. Die Mannschaft fühlte sich offenbar wohl, zumindest bis zum unglücklichen Ausscheiden in der Vorrunde, das nach dem 2:2 gegen Australien in einem turbulenten letzten Gruppenspiel (damals schoss auch der heutige Trainer der Frankfurter Eintracht, Nico Kovac, ein Tor) besiegelt war.

    Meist war die Stimmung bei den Spielern im wunderbaren Ambiente des Staatsbades gelöst, wo man die Fußballer mit ihren Freundinnen und Frauen mal auf der Hotelterrasse in der Sonne liegen sah, beim Joggen durch den Park erlebte oder als ganz normale Rock-Musik-Fans, als die Band Deep Purple während der WM im Brückenauer Kurpark ein umjubeltes Konzert spielte. Doch ein wenig stellt sich die Frage, ob ein Teil der Gäste auch wirklich Freunde waren. Nämlich der Teil, der zum Funktionärsstab rund um den damaligen Generalsekretär des kroatischen Fußballverbandes, Zorislav Srebric, gehörte.

    Zur Erinnerung an die WM 2006 gehört in Bad Brückenau auch unweigerlich die Insolvenz der Kroatien zu Gast GmbH noch während des Turniers. Die Firma wurde mithilfe von Stadt und Landkreis extra gegründet, um die im Vorfeld prognostizierten mehreren Tausend kroatischen Fans zu bewirten und ihnen ein Programm zu bieten mit Live-Konzerten oder Public Viewing. Das Konzept scheiterte, die Fans kamen nicht, die Insolvenz war die Folge.

    „Gunst der Stunde genutzt“

    Der damalige ehrenamtliche Geschäftsführer der GmbH, Hans-Jörg Heidelmeier, hat zwiegespaltene Gefühle, wenn er an die WM denkt. Aufgeräumt sitzt der erfolgreiche Geschäftsmann im Ledersessel in seinem Büro, heute kann er ohne große Bitterkeit über die Zeit 2006 reden. Eines wird immer bleiben: Es ist ausschließlich Hans-Jörg Heidelmeier zu verdanken, dass Bad Brückenau überhaupt in den Fokus als WM-Teilnehmer-Ort kam und schließlich den Zuschlag erhielt. Als Vorsitzender des FC Bad Brückenau diskutierte der leidenschaftliche Fußballer im Winter 2005 mit dem damals in Bad Brückenau ansässigen Wirt Ivo Knezovic. Eigentlich wollte man nur eine Bundesliga-Mannschaft mal zu einem Freundschaftsspiel in die Badestadt locken, dann aber erklärte Knezovic, er habe Kontakte zum Verband. Heidelmeier war skeptisch, doch der Kontakt kam zustande, man bekam die Möglichkeit, gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Thomas Ullmann, Titus Tesar und Anke Lock den Standort in Zagreb zu präsentieren. „Wir haben einen Film gedreht und sind da runter gefahren“, erinnert sich Heidelmeier. Schließlich kam Generalsekretär Srebric nach Deutschland, besichtigte erst Bad Brückenau und ließ sich dann von Heidelmeier noch zu anderen möglichen Standorten kutschieren.

    „Wir sind irgendwie abends in Leverkusen bei einem Bundesligaspiel gelandet, er hat da zwei Spieler beobachtet. Aber ich habe gemerkt, er hatte angebissen, er fand das Ambiente im Staatsbad toll und wir haben die Gunst der Stunde genutzt.“

    Leider war es das letzte Mal. Ivo Knezovic' Prognosen, wie viele kroatische Fans nach Brückenau kommen würden, waren völlig übertrieben. Was nicht nur an seiner Fantasie lag – bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal waren tatsächlich mehrere Tausend Fans rund um den kroatischen Teamstandort und fuhren von dort zu den Spielen –, sondern vor allem an der mangelhaften Kommunikation des Verbandes. „Die haben nicht mit offenen Karten gespielt, die wollten Ruhe, haben das aber nie offen gesagt“, erzählt Heidelmeier.

    „Was, wenn der Gast nicht mitspielt?“

    Während des Aufenthaltes gab es nur ein öffentliches Training auf dem von Helmut Berger in Profi-Qualität in Schuss gebrachten Fußballplatz am Schulzentrum. Zum letzten Freundschaftsspiel vor der WM gegen Spanien jetteten die Kroaten lieber nach Genf, als dieses in der Region Frankfurt zu spielen, um den Fans hier etwas zu bieten.

    Als Heidelmeier dann herausfand, dass vom Verband den Fans Direktflüge von Zagreb aus zu den Spielorten Berlin, Nürnberg und Stuttgart mit Eintrittskarte und einer Übernachtung angeboten wurden, war klar, dass sich in die Badestadt kaum ein Anhänger verirren würde. „Die Brückenauer haben sich gar nichts zuschulden kommen lassen, was soll man denn machen, wenn der Gast einfach nicht mitspielt?“, so Heidelmeier.

    Würde er es wieder machen, zum Beispiel bei einer möglichen Europameisterschaft 2024 in Deutschland? „Nicht unter den Voraussetzungen wie damals. Wir hätten das große Rad nicht drehen müssen.“

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