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HAMMELBURG: Arnold Samuels: „Solche Mahnmale muss man sehen können“

HAMMELBURG

Arnold Samuels: „Solche Mahnmale muss man sehen können“

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    Schwieriges Gedenken: Arnold Samuels am Seelhausplatz.
    Schwieriges Gedenken: Arnold Samuels am Seelhausplatz. Foto: Foto: Maximilian Trompeter

    Arnold Samuels ist gebürtiger Hammelburger und Enkel von Samuel Sichel, dem Namenspatron des Platzes am Parkdeck gegenüber des Friedhofs. Samuels lebte hier bis er und seine jüdische Familie 1937 vor den Gräueltaten der Nazis flüchten konnten. Seiner alten Heimatstadt stattet Samuels trotzdem alle paar Jahre einen Besuch ab – im Schlepptau zum wiederholten Male sein Neffe und dessen Tochter. Der Alt-Hammelburger nahm auch auf Einladung des Arbeitskreises „Letzte Spuren bewahren“ an der Stadtratssitzung am Montag teil. Die Debatte zum neuen Mahnmal für die hiesige jüdische Gemeinde verfolgte er natürlich mit gespitzten Ohren. Wir verabredeten uns mit dem rüstigen Rentner in dessen Hotel und am Seelhausplatz, wo voraussichtlich der neue Findling platziert werden soll. Dort zeigt Samuels seinem Neffen das runde Fenster der alten Synagoge: „Im Fenster war ein Davidsternmosaik. Das haben die Nazis schnell entfernen lassen.“

    Frage: Herr Samuels, hier soll auch das geplante Mahnmal der Stadt Hammelburg aufgestellt werden. Wie finden Sie den Seelhausplatz?

    Arnold Samuels: Ziemlich ungepflegt – außerdem kommt hier ja keiner vorbei. Zwei junge Frauen mit ihren Babys habe ich hier mal sitzen sehen – und ich war schon öfter hier. Am Marktplatz oder am Samuel-Sichel-Platz fände ich den Stein besser aufgehoben. Hier ist es ja, wie wenn man ein Buch kauft und es gleich ins Regal stellt. Solche Mahnmale muss man sehen können.

    Stehen Sie in irgendeiner Weise Pate für das neue Mahnmal?

    Samuels: Nein, davon weiß ich zumindest nichts. Ich hoffe nur, dass sie die Namen meiner Verwandten nicht vergessen. Schön wäre auch, wenn es nicht zehn Jahre dauern würde, dass ich mir das Monument vielleicht auch noch selbst anschauen kann.

    Wie wichtig finden Sie solche Mahnmale und Aktionen?

    Samuels: Die Leute dürfen nicht vergessen – das ist das Wichtigste. Geschichtsunterricht in den Schulen ist noch wichtiger als solche Denkmäler. Die Kinder müssen Bescheid wissen, was passiert ist. Ich persönlich habe mich auch immer dafür eingesetzt, habe viele Vorträge gehalten – hier im Hammelburger Gymnasium, wenn ich zu Besuch war. Oder in Schulen in meiner neuen Heimat, den USA.

    Glauben Sie die Leute in Hammelburg und Deutschland wissen genug über die Geschichte und den Holocaust?

    Samuels: In Deutschland schon eher wie in Amerika. Hier wird mehr darüber geredet.

    In Deutschland wird heute noch diskutiert, ob der normale Bürger mitbekommen hat, wie es den Juden ergangen ist. Glauben Sie, dass Ihre Nachbarn Bescheid wussten?

    Samuels: Nein. Den Leuten wurde gesagt, wir kommen in Arbeitslager um fürs Vaterland zu arbeiten. Dass Menschen dort in Gaskammern gesteckt wurden, wussten sie meiner Meinung nicht. Das wussten nur die SS-Leute und die Hohen in der Partei. Das war genauso geheim wie das Basteln an der Atombombe.

    Wie bleiben Sie in den USA informiert über die Geschehnisse rund um Hammelburg?

    Samuels: Ich stehe in E-Mail-Kontakt mit den Leuten vom Arbeitskreis „Letzte Spuren bewahren“, Dietmar Katzer und Michael Mence zum Beispiel. Einige bekommen zu Weihnachten Kuchen und eine Karte von mir geschickt. Über 20 Jahre lange Freundschaften bestehen da.

    Samuel Sichel war ihr Großvater. Sind Sie stolz auf den Platz, der nach ihm benannt wurde?

    Samuels: Das kann man schon sagen. Er hat es aber auch verdient. Er war einer der bekanntesten Menschen Hammelburgs. Durch seine Getreidefirma kam er auch viel herum. Außerdem war er bei der Feuerwehr und hat die Armen unterstützt, wo er nur konnte. Ein guter Mann.

    Nun zu Ihnen: Was hat sich für Sie nach der Machtergreifung Hitlers 1933 geändert? Hat man sofort davon etwas gespürt?

    Samuels: Über Nacht war alles anders. 1933 war ich zehn – politisch habe ich natürlich noch nichts verstanden. Genauso wenig, dass ich nicht mehr mit meinen besten Freunden spielen durfte. Ich kann mich noch erinnern, wie wir vorher am Rathausbrunnen Räuber und Gendarme gespielt und mit Wasser rumgespritzt haben. Damals hat es niemanden interessiert, ob man Jude oder Christ ist.

    1937 sind Sie dann aus Deutschland geflüchtet. An was können Sie sich aus diesen Tagen noch erinnern?

    Samuels: Ich müsste so 14 Jahre alt gewesen sein – also eigentlich an alles. Mein Vater ist schon 1936 in die USA. Ab da waren wir in Hamburg. Dort konnten wir ungestörter leben, die Nazis waren in Hamburg nicht so mächtig, und man konnte untertauchen. In Kleinstädten wie Hammelburg war es schlimmer, man konnte sich nicht verstecken.

    Von Hamburg aus ging es dann mit dem Schiff nach New York. Haben Sie als 14-Jähriger verstanden, warum sie fliehen mussten?

    Samuels: Einigermaßen schon. Meine Mutter hat auf dem Schiff dann auch mit mir und meinen Brüdern das erste Mal so richtig darüber gesprochen. Sie fühlte sich wohl endlich sicher und konnte uns alles erklären.

    Wie ging es in den USA weiter?

    Samuels: Ich musste Englisch lernen und ging in New York zur Schule. 1943 ging ich zur US Army – freiwillig.

    Sie wollten helfen, Deutschland zu befreien?

    Samuels: Auch, aber vor allem wollte ich meiner neuen Heimat damit danken.

    Wo waren Sie in Deutschland stationiert?

    Samuels: Ich war unter anderem bei der Befreiung vom KZ Dachau im April 1945 dabei. Vorher war ich in Bad Brückenau. Als Hammelburg kapitulierte, bin ich schnell hergekommen. Dort sah ich am Marktplatz meinen besten Freund aus Kindertagen, Markus Hofstätter, auf seinem Motorrad. Wir lagen uns in den Armen und haben geweint. Mit ihm habe ich übrigens auch heute noch Kontakt.

    Fühlen Sie sich heute auch noch als Deutscher?

    Samuels: Das vielleicht nicht, aber es muss noch was da sein, sonst würde ich ja nicht so gerne immer wieder zurückkommen. Die Sprache erhalte ich mir mit ein Paar Freunden, die auch aus Deutschland stammen. Wir sitzen zusammen, sprechen Deutsch und trinken ein Paar Bier.

    Sie kommen öfter hierher. Wie haben sich die Deutschen über die Zeit hinweg geändert?

    Samuels: Sie rauchen weniger (lacht). Zigarettenautomaten sieht man auch kaum noch. Das hat sich definitiv verändert.

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