Fred Wölfl ist blind. Er ist nach einer schweren Kindheit geistig behindert. Und er ist eine Seele von Mensch. Dass der 62-Jährige seine lebhafte Fröhlichkeit entfalten kann und ihn in Hammelburg viele kennen, verdankt er seiner Offenheit - und einem Zufall.
Fred Wölfls Lebensgeschichte würde Stoff für eine Verfilmung bieten: Eine Hauptrolle seiner Familiensaga voller Glück und Nächstenliebe spielt dabei die Hammelburger Familie Maul. Sie schenkte ihm vor über 30 Jahren ein neues Zuhause. Wie intensiv der Zusammenhalt ist, wird bei dem Gespräch am heimischen Gartentisch spürbar.
Hammelburger Ehepaar: "Das soll kein Rührstück werden"
Eigentlich wollen Maria und Karl-Heinz Maul bei dieser Geschichte nicht im Mittelpunkt stehen. Doch jemand hat das Hammelburger Ehepaar für die Main-Post-Aktion "Zeichen setzen!" vorgeschlagen. Die Mauls baten um Bedenkzeit. Ihre Botschaft ist deutlich: "Das soll kein Rührstück werden!"
Schließlich sagen sie der Begegnung zu. Denn die Familie habe eine Botschaft an die Gesellschaft, sagt Karl-Heinz Maul: "Menschen mit Behinderungen gehören mitten ins Leben!"
"Menschen mit Behinderungen gehören mitten ins Leben!"
Karl-Heinz Maul, pensionierter Mittelschullehrer aus Hammelburg
Würde man das Leben von Fred Wölfl verfilmen, gäbe es eine Schlüsselszene, in den 1970er Jahren im Würzburger Blindeninstitut. Bis zum 14. Lebensjahr lebt der Junge in einem Blindenaltersheim in Hamburg, zurückgelassen von seiner Mutter. Durch eine Neustrukturierung der Behindertenarbeit in Bayern kommt er nach Würzburg und wird mit 14 Jahren eingeschult. Maria Maul arbeitet hier zu dieser Zeit im Wohnheim.
Keine Ferienbetreuung für Fred und ganz allein im Wohnheim
Als die Herbstferien starten, werden alle Bewohnerinnen und Bewohner von ihren Angehörigen abgeholt. Nur Fred bleibt übrig - alleine. Auch an den Wochenenden kann der blinde Junge nie nach Hause fahren, weil er keinen Kontakt zu Angehörigen hat.
Das Blindeninstitut ist noch im Aufbau und kann keine Ferienbetreuung anbieten. Fred hätte die Tage in einer anderen Einrichtung verbringen müssen. Mit Einverständnis des Institutes nimmt die junge Maria Maul ihn kurzerhand zu sich nach Hause. Es ist der Beginn einer emotionalen Bindung.
Nach Hirnhautentzündung lange keine Förderung, dann spät eingeschult
"Dabei war der Schüler anfangs gar nicht so einfach zu handhaben gewesen", erinnert sich die 69-jährige Hammelburgerin. Seine Einschränkungen gehen wohl auf eine Hirnhautentzündung zurück. Eine spezielle Förderung fehlte seinerzeit, auch eine Schulpflicht gibt es für Menschen mit Behinderung in Bayern erst seit 1969.
Seit seinem siebten Lebensjahr hatte der Junge in ein Wohnheim für blinde Senioren vor sich hin kümmern müssen, erzählt Maria Maul. Nach seiner Einschulung mit 14 Jahren sei an strukturiertes Lernen dann nicht mehr zu denken gewesen.

Die glückliche Wende in Freds Leben brachte erst der Familienanschluss in Hammelburg: Maria Mauls Eltern nahmen das blinde Kind wohlwollend auf, Fred genoss die Abwechslung vom Heimalltag in Würzburg. Und als Maria Maul ihren Mann Karl-Heinz kennenlernte, heiratete der Mittelschullehrer ihren Schützling gewissermaßen mit.
Den Anstoß zum Familienanschluss gaben die drei Töchter
1992 zieht Fred Wölfl schließlich zur Betreuung für immer bei den Mauls ein. Für einfache Arbeiten wechselt er in die Werkstatt der Lebenshilfe Hammelburg. "Den Anstoß dazu gaben eigentlich unsere Töchter", denkt Ergotherapeutin Maria Maul zurück. Ihre Kinder hatten wissen wollen, warum sie Fred nur an den Wochenenden erleben durften.
Inzwischen sind Maria und Karl-Heinz Maul im Ruhestand und rund um die Uhr für Fred da. Nur als sich das Paar zum 40. Hochzeitstag vor zwei Jahren eine Auszeit auf Reisen gönnte, kam Fred für 14 Tage in die Kurzeitpflege. Mit dem Resümee, "dass er das nächste Mal besser wieder mitreisen möchte", erzählt Maria Maul schmunzelnd.

"Er braucht seinen Rhythmus", sagt Maria Maul. Als während Corona der regelmäßige Besuch der Werkstatt nicht möglich war, organisierte die Familie zu Hause eine Ersatzarbeit, die ihm vertraut war. Mittlerweile ist auch Fred im Rentenalter, doch vormittags als "Home-Office-Arbeiter" weiter tätig - bis zur ersehnten Mittagspause.
Jeden Tag auf dem Rad, zweimal wöchentlich im Fitness-Studio
Danach geht es nach Möglichkeit täglich raus, unter Menschen. Als Zufahrt zur Welt dient ein Tandem, auf dem Fred Wölfl und Karl-Heinz Maul hintereinander sitzen und gemeinsam in die Pedale treten. Um unterwegs zu sein, investierte der pensionierte Mittelschullehrer öfters in neue, technisch fortschrittlichere Räder. Inzwischen ermöglicht ein E-Motor dem Duo einen größeren Radius - samt Mehrtagestouren und Ausflügen wie zuletzt in den Bergen Korsikas an Pfingsten. "Unterwegs finden wir immer Ansprache", sagt Karl-Heinz Maul.

Ob auf dem Weg zur Pflege des eigenen kleinen Weinbergs über Hammelburg, beim Milchholen in Untereschenbach, Besorgungen in der Stadt oder in der Stammkneipe am Viehmarkt: Fred Wölfl kommt stets mit anderen ins Gespräch. Der 62-Jährige erkennt viele Menschen an ihrer Stimme. Und im Fitnessstudio, in dem er heute noch zweimal in der Woche mit Karl-Heinz Maul trainiert, begrüßt er Mitarbeiterin Thea jedes Mal mit einem "wunderbaren schönen Tag".
Für ein Wohnheim in der Stadtmitte eingesetzt
Fred sei stets voll bei der Sache und mache alles mit, sagt Maria Maul. Klar ist dem Ehepaar, dass nicht alle Menschen mit Behinderungen so mitmachen könnten. "Aber 60 Prozent wären dazu in der Lage", überschlägt Karl-Heinz Maul. Ein Grund, warum er sich während seiner 20 Jahre
für den Bau eines .Die Idee dahinter: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen stärker mitmischen im innerstädtischen Leben. Aber dazu fehle es bei der Betreuung angesichts dünner Personaldecke oft an Zeit, außerdem an Ehrenamtlichen, sagt der 71-Jährige. Sein Fazit? "Die Inklusion ist stecken geblieben."
Mutter von Fred in Oberbayern ausfindig gemacht
Das Ehepaar aber lässt das nicht ruhen. Es hat Freds Mutter in Oberbayern ausfindig gemacht, die dort lange in prekären Verhältnissen lebte. Inzwischen wohnt die 82-Jährige in einem Pflegeheim, die Mauls haben für sie eine Pflegevollmacht übernommen.
Die Aktion "Zeichen setzen!"Die Aktion "Zeichen setzen!" zeichnet seit über 20 Jahren beispielhafte ehrenamtliche soziale Initiativen aus. Eine Jury wählt unter den Bewerbungen aus. Immer im Spätherbst werden dann vier Preise – dotiert mit 500 bis 3000 Euro – verliehen.Initiativen können sich entweder selbst bewerben - oder sie werden von Dritten vorgeschlagen. Jede und jeder kann Personen oder Gruppen nennen, die Wichtiges zum Gemeinwohl beitragen. Eingereicht werden können Projekte und Initiativen aus Unterfranken und dem benachbarten Main-Tauber-Kreis.Bewerbungen sind bis einschließlich 30. September 2024 möglich. Bitte schreiben Sie an:Main-Post, Aktion "Zeichen setzen!", Berner Straße 2, 97084 Würzburg, E-Mail: zeichensetzen@mainpost.deOder: Lernwerk Volkersberg, Volkersberg 1, 97769 Bad Brückenau, E-Mail: zeichensetzen@volkersberg.deInformationen rund um die Aktion, die Bewerbung, die Kriterien sowie erschienene Beiträge finden Sie unter www.mainpost.de/zeichensetzen und www.lernwerk.volkersberg.de.MP