Draußen vor dem Fenster des Wohnpflegeheims Waldfenster taucht die Dämmerung die Rhön-Hügel und abgeernteten Äcker in winterliches Einheits-Grau. Nach dem Tod ihrer Mutter vor einigen Jahren, die sie bis zum Schluss gepflegt hatte, fühlte Brigitte Fehr in sich eine innere Leere. Da kam ihr die Initiative von Michael Schlereth gerade recht.
Der Caritas-Seelsorger aus Waldfenster hatte nämlich vor zwei Jahren eine Idee: Privatpersonen verschenken eine Stunde pro Woche ihrer Zeit einem anderen hilfsbedürftigen Menschen. Angeregt worden sei er zu dieser Sache von einer ähnlichen Aktion von Ehrenamtlichen in Volkach und Würzburg, sagt Diakon Schlereth. Das Würzburger und Volkacher Projekt gewann jüngst den ersten Förderpreis bei der gemeinsamen Aktion "Zeichen setzen!" der Landvolkshochschule Klaus von Flüe und der Zeitungsgruppe MAIN-POST. In Waldfenster verbreitete sich die Idee über Flyer, Kirchenblätter und Mundpropaganda die Vorstellung rasch, so dass im November 2001 das erste große Arbeitstreffen stattfand, an dem genau ein Dutzend engagierter Leute teilnahm.
Jetzt hatten sie zwar Personen, die ihre Zeit an jemand anders verschenken wollten, doch noch niemanden, der die Zeit auch geschenkt bekommen wollte, sagt Schlereth. Nach und nach fanden sich die Ziel-Personen. Diakon Schlereth und seine engagierte Truppe, zu der nur zwei Männer gehören, konnte hierbei auf den Hilfebedarf bei der Diakonie und der Caritas zurückgreifen.
Heute kann der Seelsorger einfach auf eine Liste von 16 Menschen bauen. Diese stehen bereit für den Dienst am Nächsten. Und jeder hat da so seinen Spezialbereich. Der eine macht gerne Einkäufe, der andere übernimmt Behördengänge oder kleinere Haushaltsdienste. Wieder andere sind einfach bloß da und vertreiben die Einsamkeit.
So jemand ist Brigitte Fehr. Einmal in der Woche kommt sie ins Wohnpflegeheim Waldfenster und unternimmt mit einem der 24 behinderten Menschen, die hier ihre Heimat gefunden haben, einen Spaziergang. Und so wird sie jedes Mal von der Heimbewohnerin Anna Maria Dörr stürmisch begrüßt. "Sie freuen sich einfach unglaublich, wenn's nach draußen geht", sagt Brigitte Fehr, während ihr die Behinderte über den Kopf streicht. Es sei immer eine willkommene Abwechslung, sagt Fehr weiter. Viel werde auf den gemeinsamen Spaziergängen von früher gesprochen. Im Übrigen, gesteht die 56-jährige Lauterin, sei das mit der einen Stunde pro Woche nicht so ganz wörtlich zu nehmen. Manchmal seien es schon drei.
Dass jemand von "Zeit verschenken" seine Hilfe im Pflegeheim anbietet, ist nur die eine Variante. Oft stehen auch Besuche in der Privatwohnung von Menschen auf dem Programm, die sich einsam fühlen. Da hätten seine Leute schon manchmal mit den Bedenken von Angehörigen zu kämpfen, denen es offenbar ein schlechtes Gewissen bereite, wenn jemand von außen sich um ein hilfsbedürftiges Familienmitglied kümmere.
"Kosten entstehen überhaupt keine", sagt Initiator Michael Schlereth, der eine Handvoll Info-Material bereithält. Die gesamte Aktion laufe ehrenamtlich. Spenden könne er aber schon gebrauchen. Und der Projektleiter sieht in der Tatsache, dass es so eine Aktion wie die von ihm ins Leben gerufene überhaupt braucht, ein Symptom der Zeit: "Die Nachbarschaftshilfe geht immer mehr zurück. Viele Dinge im sozialen Bereich werden einfach nicht mehr bezahlt."
Ganz alleine kann Schlereth die Sache freilich nicht stemmen: Organisation, Schriftverkehr und Öffentlichkeitsarbeit macht Alexandra Groten. Auch sie übernimmt das rein ehrenamtlich.
Mit von der Partie bei dem Projekt "Zeit verschenken" sind alle zwölf Pfarreien der Pfarreiengemeinschaft Burkardroth. Großen Wert legt Michael Schlereth darauf, dass die ganze Aktion sich überkonfessionell versteht. Die Macher treffen sich alle zwei Monate. Nächster Termin ist der 8. Januar um 20 Uhr im Pfarrheim Waldfenster.
Wer bei "Zeit verschenken" mit- machen möchte, kann sich an Paula Kupfer aus Waldfenster Tel. (0 97 34) 77 54 oder Willi Kessler aus Stangenroth Tel. (0 97 34) 10 98 wenden.