Vor einem Jahr hat Dr. Astrid Laue die Seiten gewechselt. Viele Jahre hat sie als Klinikärztin gearbeitet, bevor sie im Frühjahr 2022 eine internistische Hausarztpraxis am Marienplatz eröffnet hat. „Wir sind sehr enthusiastisch, aber auch ziemlich blauäugig gestartet“, zieht sie Bilanz. Sie habe sich darauf konzentrieren wollen, Menschen zu versorgen. Sie wollte nah am Patienten sein und stärker ihre eigene ärztliche Handschrift einbringen. Außerdem hoffte sie, ihre eigenen Ansprüche besser erfüllen zu können, die sie an eine gute Behandlung stellt.
Inzwischen hat sie erfahren müssen, dass es neben den vielen schönen Seiten auch Negatives gibt, mit dem sie sich als Hausarzt auseinandersetzen muss und das sie an ihre Belastungsgrenzen bringt. „Wir sind immer wieder mit Problemen konfrontiert“, berichtet sie. Etwa mit einem Teil von Patienten, die eine in ihren Augen enorm große Anspruchshaltung haben und die ihre Ansprüche in der Praxis dann auch aggressiv vertreten.
Gerade die Praxismitarbeiterinnen werden wiederholt von diesem Klientel angegangen und zur Zielscheibe verbaler Attacken. In Einzelfällen eskaliert die Situation, dass sogar schon die Polizei in die Praxis gerufen werden musste. Zudem berichtet Laue von einem körperlichen Übergriff vor wenigen Wochen auf einen Bad Kissinger Hausarztkollegen.
Anspruchsdenken, Aggression in Praxen
Die Gründe für solche Situationen sind ihrer Meinung nach vielschichtig. Zum einen gebe es Patienten, die eine Kundenmentalität haben und erwarten, dass der Arzt sie nach ihren Wünschen bedient. Erfüllt der Arzt die Erwartungshaltung nicht – etwa weil eine bestimmte Behandlung medizinisch nicht sinnvoll ist oder er ein gewünschtes Medikament aus sachlichen Gründen nicht verschreiben kann – wird verständnislos und aggressiv reagiert. „Wir können nicht sinnlos Diagnostik betreiben oder Medikamente verordnen“, sagt sie.
Die Ärzte sind gehalten, sich an Vorgaben der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) und des Gesetzgebers zu halten. Zudem müssen sie bei der Diagnostik und bei Verordnungen auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handeln und mit den Versichertengeldern verantwortungsvoll umgehen. Dafür fehlt manchen Patienten oft das Wissen und das Verständnis. „Die Diskussionsfreudigkeit mancher ist nervenraubend“, klagt Laue.
Unterschiede zwischen stationärer und ambulanter Behandlung
Ebenfalls problematisch für Patienten ist laut Laue, dass die Leistungen, auf die sie Anspruch haben, oft nicht transparent zu erkennen sind. Teilweise gibt es zwischen der stationären Behandlung in Kliniken, und der anschließenden beim Hausarzt größere Unterschiede. „Krankenhäuser entlassen Patienten mit speziellen Medikamenten und ich kann das manchmal nicht weiter verordnen“, erklärt sie. Oft spielen hier finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle. Ärzte unterliegen strengen Budget-Regeln, die strikt überwacht werden. Laue kritisiert, dass die Budgetregeln teilweise eine sinnvolle medizinische Behandlung verhindern: Auch wenn zum Beispiel ein Medikament medizinisch angeraten sei, würden Ärzte zu anderen Mitteln greifen, weil ihnen droht, in Regress genommen zu werden. „Die Uneinheitlichkeit beschränkt den Arzt und der Patient versteht es nicht“, sagt die Ärztin.
Als weiteren Kritikpunkt sieht sie eine Situation wie auf einem Verschiebebahnhof zwischen Kliniken, Fach- und Hausärzten. Überspitzt formuliert: Jede Seite hat sich nach Budgets zu richten und schiebt die Verantwortung und damit den Patienten an die nächste Stelle weiter, um bei sich Kosten zu sparen.
Und zuletzt: Steigende bürokratische Anforderungen führen dazu, dass dem Arzt weniger Zeit für die Behandlung bleibt. Aktuell erledigt Laue ihre Büroaufgaben in Überstunden nach Praxisschluss. Das ist jedoch nicht für alle Kollegen praktikabel: „Inzwischen wird sogar die Schließung der Arztpraxen am Mittwoch zugunsten tätigkeitsferner Aufgaben diskutiert“, weiß sie.
KVB: Leistungen voll vergüten
KVB-Pressesprecher Axel Heise bestätigt, dass die Aggressivität gegenüber Praxismitarbeitern zugenommen hat. Die strikte Budgetierung sieht der Verband kritisch. Es sei für Haus- und Fachärzte ein Problem, dass die Budgets zum Quartalsende gesenkt werden und sie nicht jede Leistung voll vergütet bekommen. „Wir fordern für alle Fachgruppen, dass der Arzt 100-Prozent das ausgezahlt bekommt, was er auch leistet“, betont er.
Trotz mancher Probleme ist Laue dennoch froh, die Praxis eröffnet zu haben. „Ich bin sehr froh. Wir haben sehr viele dankbare und verständnisvolle Patienten und Angehörige“, sagt sie.
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