Am Mittwoch traf sich Tanja Brähler mit bester Freundin und Mama zum Frühstück. Anders als sonst hatte die 45-Jährige aus Großenlüder (Landkreis Fulda) unter der Woche frei. Das liegt daran, dass ihr Arbeitgeber , die My-Way-Betty-Ford-Klinik, die 35-Stunden-Woche eingeführt hat. Aber wie kann die Klinik sich das leisten?
Seit Juni 2020 in der Klinik angestellt
Tanja Brähler arbeitet in der Entzugs- und Suchtklinik für Privatpatienten und Selbstzahler seit Juni 2020. Als Assistentin der Verwaltung ist sie für Qualitätsmanagement, Dienstpläne, Versicherungsangelegenheiten und in Vertretung auch fürs Aufnahmetelefon zuständig.
Bisher leistete die Osthessin ihre Aufgaben in einer 40-Stunden-Woche ab. Was bedeutete, dass sie stets Urlaub nehmen muss, wollte sie mal unter der Woche frei haben. Die kleinen zu erledigenden Dinge des Alltags, wie Arztbesuche oder Behördengänge, fielen gerne mal hinten runter.
Weniger arbeiten bei gleichem Lohn
Zum 1. November hat nun Brählers Arbeitgeber die 35-Stunden-Woche eingeführt – ohne Lohneinbußen. Verwaltungsdirektor Sven Marquardt stellte es den Vollzeitkräften unter den 50 bis 60 Mitarbeitern frei, ob sie lieber einen halben freien Tag pro Woche, einen Tag in zwei Wochen oder eine Stunde weniger pro Arbeitstag nehmen wollten.
Schon jetzt kann er anhand der Dienstpläne sagen: Mehr als Dreiviertel nutzen das-Einer-von zehn-Tagen-frei-Modell.
Teilzeitkräfte haben aufgestockt
So wie an diesem Mittwoch Tanja Brähler. Sie weiß aber auch von einem Kollegen aus dem therapeutischen Bereich, der seine beiden kleinen Kinder nun zum Kindergarten bringen kann.
Einige Teilzeitkräfte haben auch aufgestockt. Denn weniger eingeforderte Arbeitsstunden bei gleichem Lohn bedeuten auch mehr auf dem Konto, wenn man genauso viel wie bisher oder sogar mehr arbeitet.
Klinik will Mitarbeiter halten
Aber warum zeigt sich die Betty-Ford-Klinik ihren Angestellten gegenüber so großzügig? Für Sven Marquardt geht es vorrangig darum, die Mitarbeiter zu halten. „Je mehr sich die Arbeitsbedingungen verbessern, desto mehr erholte Mitarbeiter habe ich. Das sorgt auch für mehr Qualität am Patienten“, so der Verwaltungsdirektor.
In der Betty-Ford-Klinik existieren verschiedene Arbeitsmodelle. Während Abteilungen wie die Verwaltung den klassischen Achtstundentag (zum Beispiel 7.30 bis 16 Uhr oder 8 bis 17 Uhr inklusive einer halben oder eine Stunde Stunde Pause) praktiziert, arbeiten die Schwestern und auch Ärzte in Bereitschaft im Schichtdienst. Laut Marquardt gibt es aber auch Ärzte und Therapeuten, die nur tagsüber da sind.
Die meisten nehmen einen Tag in zwei Wochen frei
Während erste und letztere Gruppe jetzt meist einzelne Tage freimachen oder weniger Stunden pro Tag schaffen, kommen Schichtarbeiter weniger Tage am Stück.
Gefüllt werden die Lücken im Dienstplan durch Teilzeitarbeiter, die aufgestockt haben. Es sollen auch noch neue Mitarbeiter hinzukommen, zum Beispiel im Servicebereich für den Speisesaal. „Es gibt keinen Angestellten mehr im Haus, der 40 Stunden pro Woche arbeitet“, sagt Sven Marquardt ein wenig mit Stolz.
Betty-Ford-Klinik auf stabilem Ausbaukurs
Weniger arbeiten bei vollem Lohnausgleich – das muss ein Arbeitgeber sich erstmal leisten können. Gerade im umkämpften Pflege- und Gesundheitsmarkt wird sehr auf die Kosten geachtet.
„Es war eine sehr schwierige Entscheidung“, sagt Marquardt. „Aber wir wollen ein guter Arbeitgeber sein.“ Wenn die Stellen nicht voll besetzt seien, könne man keine Patienten zufriedenstellend behandeln. „Ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen baut sich auf zufriedenem Personal auf.“
Der Verwaltungsdirektor macht deutlich, dass die Betty-Ford-Klinik im Staatsbad eine große Stabilität erreicht hat. Das zeigt auch der stetige Ausbau.
Viele Um- und Anbauten
2014/15 wurden alle Zimmer renoviert, später auch die Flure und die inneren Aufenthaltsbereiche umgestaltet. 2017 baute die Klinik erstmals an; im Jahr darauf wurde das Schwesternzimmer neu gebaut. 2021/22 folgte der Ausbau des Dachgeschosses und anschließend die Umgestaltung des Speisesaal.
Aktuell entsteht ein Anbau für zwei Büros und zwei Patientenzimmer. Aus 30 Patientenzimmern vor der Renovierung sind dann nach Abschluss der Arbeiten 49 geworden.
Gute Zukunftsaussichten
Sven Marquardt geht davon aus, dass es für die Privatklinik auch in den nächsten Jahren gut aussieht. Die 35-Stunden-Woche sei ein Baustein dafür.
Und wenn sie – was keiner im Haus sich wünscht – nicht funktioniert. Dann will der Verwaltungsdirektor nicht zum alten Modell zurückkehren. „Dann muss man nachjustieren, umstrukturieren, Abläufe ändern – und Leute einstellen.“
Keine Diskussion mehr um 40-Stunden-Woche
Auch Tanja Brähler hat das neue Arbeitsgefühl kurz vor ihrem erstmal freien Mittwoch verinnerlicht. „Die Diskussion um die 40-Stunden-Woche kommt bei uns gar nicht mehr auf. Die Vollzeitstelle hat 35 Stunden. Punkt.“
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