Da staunt das altehrwürdige Kurtheater, wenn in seiner Plüsch-Sessel-Atmosphäre statt gediegener Theaterunterhaltung plötzlich eine schrille Swing-Love Parade von der Bühne ins Publikum überschwappt. Mit einem Mix der Golden Twenties über die Klassiker des Swing im amerikanischen Sektor der Nachkriegszeit bis in die Tanzpaläste der 70er Jahre hat Sharon Brauner eine pralle Show Berliner Lebensgefühl mit Herz, Charme und Schnauze zusammengestellt und hat sich das Beste, was die Berliner Szene zu bieten hat, an die Seite geholt.
Da sind die Könner des „Capital Dance Orchestra“. Als Ensemble haben sie für jedes Genre die gewünschte Färbung parat, als Einzelkönner kriegt jeder seinen eigenen Jazz Gig und weiß zu überzeugen. Sharon Brauner selbst, Ur-Berliner Sängerin und Schauspielerin sprüht vor Energie. Mit ihrer rauchig erotischen Stimme zwischen Chanson und Jazz und ihrem kessen Auftreten verkörpert sie Berliner Nachtleben. An ihrer Seite Meta Hüper: Auf den ersten Blick Vamp mit langen Locken, noch längeren Beinen, enganliegendem Kleid mit sündhaftem Ausschnitt. Weit gefehlt: Sie ist ein Multitalent, singt und swingt einerseits „Ich bin die fesche Lola“, ist aber auch ausgebildete Geigerin, brilliert mit Klezmer Melodien auf ihrer Violine und holt dann von irgendwo her eine Säge, nimmt ihren Geigenbogen und entlockt der Säge herzzerreißend Marlene Dietrichs unvergessenen Schlager „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“.
In diesem Tempo kann’s einfach nicht weitergehen, und für die Erholungspausen sorgt ein weiteres Berliner Urgestein der Kabarett- und Travestieszene: Ades Zabel alias „Edith Schröder“. Als „Kloofrau“ in unterschiedlichsten Lokalen – der Unterwelt wie der High Society – verbindet sie ein Jahrhundert Berliner Leben. Ihre witzigen Einlagen beschreiben die Zeitumstände Berlins anhand der prägenden Ereignisse, von den Zwanzigern über die Weltwirtschaftskrise: „Nu is allet zusammenjebrochen“ und das, was nach 1933 nicht nur Berlin bewegte, als die „Kloofrau“ angesichts der zerbombten Berliner Häuser meinte „..und ick dachte, der Krieg findet uffm Schlachtfeld statt“.
Gesungene Sittengeschichte
Dazu passt dann natürlich Lilli Marleen, das Sharon Brauner und Meta Hüper als Duett mit ganz besonderem Charme geradezu zelebrieren, dann kommen das Nachkriegswirtschaftswunder, die Jahrzehnte der Teilung. Ades Zabel beschreibt in seinen Auftritten das Schicksal der Berliner, und so werden die Chansons tatsächlich eine gesungene Berliner Sittengeschichte. Erst Hot Jazz vom Orchester und dann Meta Hüper: „Nur nicht aus Liebe weinen“… oder Sharon Brauner : „Irgendwo auf der Welt…“ getreu dem Motto: „Tempo ist Berliner Rhythmus“ oder „Ost oder West, Hauptsache Berlin“.
Die Show sprühte nur so vor Einfällen, kein Lied wie das andere. „Weltstadt mit Laubenkolonie“ heißt es da in der Ansage, und dann folgt mal eben eine Erinnerung an Harald Juhnke : „Ein leichter Schwips und kein Termin…“.
Einfach köstlich, was der Abend so alles bringt und dann schon wieder ein Szenenwechsel: schummriges Licht, gedämpfte Musik: Ein Star der internationalen Burlesque Szene schwebt mit weit wehendem Tuch auf die Bühne, das gleitet dann anmutig von den schmalen Schultern und darunter – das Publikum hält den Atem an – fast nichts. Begonnen als Balletttänzerin der Dresdner Semperoper , inzwischen europäische Spitzenklasse als Ballerina. Eleganz in Sachen Erotik: Lola La Tease. Ja, anmutig! Das allerdings muss sich erst mal sacken lassen: Wer sonst, als das Capital Dance Orchestra schafft das.
Mit einem Soul-Medley wird das Publikum aber nicht etwa abgekühlt, es kommt noch mehr auf Touren: Meta Hüper und Sharon Brauner überbieten sich: „In dieser Stadt kenn ich mich aus“… oder: „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin…“. Die Love Parade zieht vorüber und das politische Berlin wird auf die Schippe genommen: Berlin, arm, aber sexy! Die Stimmung steigt, Berliner Schwung zieht ins Kurtheater. „Ich brauch nur Berlin“ wird zum Motto des Abends, rhythmisches Klatschen ist Standard, und am Ende steht der ganze Saal, wenn es heißt: „Du bist ne geile Sau, Berlin, viel zu geil, um fortzuziehen … “


