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Bad Kissingen/Schweinfurt: "Der Schmerz geht nie weg": Wie der Verein AGUS Suizidtrauernde unterstützt

Bad Kissingen/Schweinfurt

"Der Schmerz geht nie weg": Wie der Verein AGUS Suizidtrauernde unterstützt

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    Sie engagieren sich bei Angehörige um Suizid: Gabi M. (links) und Gabi T.
    Sie engagieren sich bei Angehörige um Suizid: Gabi M. (links) und Gabi T. Foto: Hannes Helferich

    Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 10.000 Menschen durch Suizid. Zum Vergleich: Bei Unfällen im Straßenverkehr kamen im Jahr 2021 laut Statistischem Bundesamt 2569 Menschen ums Leben. Suizid kommt in allen sozialen Schichten, in allen Berufsgruppen und auch in allen Lebensaltern vor – also auch viele junge Menschen können an einen Punkt kommen, an dem sie nicht mehr weiter wissen. Für die Angehörigen ändert sich nach einem Suizid von einer Sekunde auf die andere alles, nichts ist mehr wie es war, "du verlierst den Boden unter den Füßen", sagt Gabi T.

    Gespräche helfen beim Weg aus der Schockstarre

    Die Schweinfurterin weiß, wovon sie spricht: Der Jüngste ihrer drei Kinder hat sich 2010 das Leben genommen. Mit 20 Jahren. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen, das Unfassbare, das nicht Begreifbare hat Gabi T. in eine Schockstarre versetzt. Ohne die Gespräche mit einer mit ihr befreundeten Trauerbegleiterin und auch ohne AGUS wäre sie daraus nicht herausgekommen.

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    Foto: Main-Post

    AGUS steht für Angehörige um Suizid, wurde 1989 in Bayreuth von einer ebenfalls betroffenen Lehrerin ins Leben gerufen. Seit 1995 ist AGUS ein gemeinnütziger Verein mit 85 Selbsthilfegruppen in Deutschland. Getragen wird die Organisation für Suizid-Trauernde von Ehrenamtlichen, die meist alle einen lieben, ihnen nahestehenden Menschen verloren haben. Mit ihrer Über-Lebenserfahrung nach einem Suizid geben sie betroffenen Menschen Halt. Sie zeigen Perspektiven auf, wenn das eigene Leben unwiederbringlich zerstört scheint.

    Angebot von AGUS ist Stütze und Begleitung zurück ins Leben

    In Unterfranken gibt es drei AGUS-Gruppen, in Aschaffenburg, Würzburg und für die Region Main-Rhön in Bad Kissingen mit Gabi M. als erste Ansprechpartnerin. Auch der ältere ihrer beiden Söhne hat sich das Leben genommen, auch er im Jahr 2010. Er wurde 21 Jahre alt. Zu einem Gespräch sind die beiden Mütter gerne bereit, um AGUS noch ein wenig bekannter und damit andere Betroffene aufmerksam zu machen – auf dieses so wichtige Angebot der gegenseitigen Stütze und Begleitung zurück ins Leben.

    Kaum jemand, der oder die die Selbsttötung eines ihm oder ihr nahestehenden Menschen erlebt hat, kann ermessen, welch unendlicher Schmerz, welch tiefe Trauer die Hinterbliebenen belasten. Das ist auch dem Reporter nach diesen zwei eindrücklichen Gesprächsstunden klar. Insofern sind diese ehrenamtlichen Begleiter zu bewundern, zumal ihr eigener "Fall", mag er auch noch so weit zurückliegen, unweigerlich wieder hochkommt.

    "Der Schmerz geht nie weg", bestätigt Gabi T. – und Gabi M. räumt ein, dass ihr die Gruppengespräche mitunter "schwerfallen, weil ich alles wieder durchlebe". Sie setzt ihre Arbeit aber fort, weil sie weiß, wie wichtig zuverlässiges Zuhören, gegenseitiger Trost und das Zulassen von Gefühlen ist, um ins Leben zurückzufinden, "das ja weitergeht". AGUS hat beiden Frauen geholfen, jetzt helfen beide Frauen AGUS. Die eine als Gruppensprecherin, die andere mit Öffentlichkeitsarbeit.

    AGUS-Gruppentreffen sind einmal im Monat

    Die AGUS-Gruppe Bad Kissingen trifft sich einmal im Monat im Katholischen Gemeindezentrum der Kurstadt. Coronabedingt war Pause, jetzt aber sind die Treffs wieder möglich. Vor dem ersten Gespräch in der Gruppe ist ein vorheriger telefonischer Kontakt sinnvoll. Kommen kann jede und jeder, solange er oder sie will. Mal sitzen sechs, dann auch 15 Betroffene bei den offenen Treffs beieinander. Sie sind kostenlos, Diskretion ist selbstverständlich.

    "Wir wollen uns gegenseitig unterstützen und ein Stück unseres Wegs gemeinsam gehen", beschreibt Gabi M. die "gute Ergänzung zu einer Therapie". Soll heißen: Eine manchmal notwendige medizinisch-therapeutische oder seelsorgerische Hilfe ersetzen die Gruppengespräche bei AGUS nicht. Aber sie helfen, dem unendlichen Schmerz, dem Gefühl der Einsamkeit, der Hilfslosigkeit behutsam Herr zu werden.

    Es gibt nicht "den Suizid", jeder Todesfall ist anders

    Eine andere Möglichkeit zum Austausch sind die angebotenen Foren. Es gibt Chats für Eltern, für betroffene Geschwister, für den Verlust des Partners. Gabi T. hat das Eltern-Forum vor allem in den ersten Monaten gerettet. Vor allem nachts, wenn sie wieder nicht schlafen konnte, war immer ein Ansprechpartner online oder sie konnte im Chat lesen, dass sie mit ihren – teils widersprüchlichen – Gefühlen nicht alleine war.

    Beide Söhne hatten Depressionen, beide Mütter haben die Probleme, das Leiden ihrer Kinder natürlich bemerkt. Sie haben vieles unternommen, um ihren Kindern aus dem Tunnel zu helfen. Hausarzt, Psychiater, Therapien, Gespräche, immer wieder Gespräche. Gabi T. sagt heute, dass sie "getan hat, was ich tun konnte". Es gibt nicht "den Suizid", jeder Todesfall ist anders. Neben der Depression als häufigem Anlass sind psychische Erkrankungen oder Alkohol ein Grund, immer wieder spielt Liebeskummer, oft Scham eine Rolle. Manchmal erfolgt der Suizid ohne vorher erkennbare Hinweise auf die Gefährdung.

    Trotz dieser großen Unterschiede bei einem Tod durch Suizid befinden sich die Hinterbliebenen in sehr ähnlichen Situationen. Der Schmerz des Verlustes geht einher mit dem Verlassensein, mit Schuldgefühlen, mit Schuldzuweisungen.

    Viele Betroffene danken später für die Hilfe

    Die Frage nach dem Warum ist ein Ringen um Verständnis für etwas, das kaum nachvollziehbar ist. Der Suizid kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Die Trauer danach ist fast unerträglich. AGUS und seine Mitarbeiter, die das zum Teil auch durchgemacht haben, versuchen, den schweren Schicksalsschlag besser zu ertragen.

    Dieser Austausch unter Betroffenen, die im wahrsten Sinne des Wortes mitfühlen können, ist eine wesentliche Hilfe bei der Verarbeitung eines Suizides. Viele Betroffene geben später Gabi M. eine Rückmeldung, danken für die Hilfe, andere entscheiden sich für eine Mitgliedschaft, die dazu beiträgt, dass AGUS weiterbestehen und somit anderen Betroffenen aus der tiefen Ohnmacht, Verzweiflung, ja aus der Wut heraus helfen kann.

    AGUS ist zu erreichen unter: bad-kissingen.agus-selbsthilfe.de, wuerzburg.agus-selbsthilfe.de und aschaffenburg.agus-selbsthilfe.de

    In der Regel berichtet diese Redaktion nicht über Selbsttötungen, außer die Umstände erlangen Bedeutung in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Gedanken quälen, sich das Leben zu nehmen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Telefonnummer: 0800/1110111 oder 0800/1110222 erreichen Sie Berater, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen.

    Zeichen setzen - So bewerben Sie sichVier Förderpreise sind 2022 im Rahmen der Aktion Zeichen setzen ausgeschrieben. Die Main-Post GmbH und das Lernwerk Volkersberg würdigen mit dieser Aktion bürgerschaftliches Engagement. Diese ist auch in Zeiten der Corona-Krise besonders gefordert: Viele Menschen haben einen größeren Bedarf an Hilfe, zugleich machen Abstandsgebote und Maskenpflicht diese Hilfe und den Kontakt besonders schwierig. Die Corona-Krise zeigt auch die Chancen digitaler Ehrenamtsarbeit. Videokonferenzen etwa eröffnen neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe für Menschen mit Einschränkungen oder Behinderung, im ländlichen Raum oder mit Familienverantwortung.Den ersten Preis, 3000 Euro, stiftet seit 2004 die Fürstlich Castell'sche Bank. Zu gewinnen sind auch Sonderpreise der Main-Post mit 1000 und des Lernwerk Volkersberg mit 500 Euro. Das Evangelische Dekanat Würzburg ist mit einem Förderpreis von 1000 Euro beteiligt. Über die Preisträger entscheidet eine Jury Ende Oktober.Die Initiativen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Es sind soziale dabei wie Besuchsdienste und Hausaufgabenhilfen und Tafeln, aber auch kulturelle Aktionen und Engagement, das hilft, Gemeinden auf dem Land als Lebensräume zu erhalten.Informationen rund um die Aktion, die Bewerbung, die Kriterien sowie erschienene Beiträge finden Sie unter www.mainpost.de/zeichensetzen www.lernwerk.volkersberg.deQuelle: MP

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