Landgasthöfe sind auf dem Rückzug. Anders in Obererthal. Dort feiert der Gasthof Zum Stern 200-jähriges Bestehen. An immer gleicher Stelle der breiten Dorfstraße und in fünfter Generation unter der Wirtsfamilie Brust. Wie es aussieht, ist mit der gepflegten Gastlichkeit lange noch nicht Schluss sein.
Dabei ist das runde Jubiläum nicht aus der Luft gegriffen. Die Kirchenmatrikel geben seit Jahrhunderten Auskunft über die Einwohner eines Dorfes. Der Name Brust taucht seit 1778 im Zusammenhang mit dem Gebäude in der Obererthaler Straße auf. Den entscheidenden Eintrag gibt es 1813. Zu diesem Datum ist ein Lorenz Brust dokumentiert, erstmals als „Gastwirt und Bauer“.
In diesem Branchenmix ging es viele arbeitsreiche Jahre dahin. Erst in den 1980er Jahren fasste die Familie Brust eine weitreichende Entscheidung: Entweder ganz Wirtshaus, oder gar nicht?, lautete die Frage. Die Wahl fiel auf die Gastronomie. Das wiederholt modernisierte Lokal hat große Anziehungskraft in der Region. Ohne den Saal mit seinen 150 Sitzplätzen wäre Hammelburg um einen gefragten Veranstaltungsort ärmer. „Vom Dorf alleine könnten wir nicht Leben“, räumt Rudolf Brust ein. Die breit angelegte Strategie des Familienunternehmens geht auf.
„Vom Dorf alleine könnten wir nicht leben.“
Rudolf Brust, jetzt Hausmeister
Dabei war es ein bisweilen entbehrungsreicher Weg: „Die Leute hatten ja kein Geld“, erinnert sich Senior Rudolf Brust an frühere Ausgeh-Gewohnheiten. Er half seinen Eltern im Ausschank und in der Landwirtschaft. So stellte er als Jugendlicher die Kegel für eine Freiluftkegelbahn auf. 1961 heiratete er seine Ingrid.
Weit davor waren die Zeiten noch härter, wie seine kleine Dokumentensammlung zeigt. Etwa, als 1929 Gastwirte noch eine Biersteuer direkt an die Gemeinde zahlen mussten. Ausgeschenkt wurde seinerzeit noch in der Küche des landwirtschaftlichen Betriebes.
Ausflugsort war Obererthal nie. Selbst, als es in den 30er Jahren ein eigenes Schwimmbad hatte. Doch zur Kirchweih war es häufig voll im Dorf. Dazu lockten eine Schießbude und eine Schiffsschaukel. Lecker zubereitete Tauben warten eine Spezialität, zu der Geschäftspartner von weiter her anreisten. An diesem Ruf knüpfen heute die Hähnchen auch zum Mitnehmen an.
Ansonsten gab es einst eine karge Speisekarte. Noch nach einem Umbau 1952 wurde das Eis zum Kühlen des Bieres von der Brauerei Salch in Hammelburg geliefert. Alle paar Tage musste nachgefüllt werden. Das Bier kam mit dem Pferdewagen. Die Gäste in den drei Fremdenzimmern wuschen sich noch mit Wasserkanne und Blechschüssel. Kalt, versteht sich.
„Wir haben unser ganzes Leben lang umgebaut“, schmunzelt Rudolf Brust. 1974 wurde das Gasthaus erneuert. 1990 folgte der Bau des Gästehauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite Ein 1969 errichteter Stall wich 1996 dem großen Saal. Damit zog die Familie Konsequenzen aus den sinkenden Erlösen in der Landwirtschaft.
„Wir wissen, was wir unseren Eltern zu verdanken haben“, sagt Sohn Manfred Brust, auf den der Betrieb inzwischen überschrieben ist. Er lernte Koch, bestand die Meisterprüfung und ist glücklich über seine Frau Marita. Sie kam aus dem Allgäu und fügt sich wunderbar in das Familienunternehmen ein
Der Landwirtschaft trauert Rudolf Brust nicht nach. „Ich hatte einen Dreischicht-Tag“, erinnert sich der 74-Jährige an das Wirken unter seinen Eltern. Tagsüber arbeitete er als Kraftfahrzeugmechaniker, dann kamen die Felder an die Reihe und abends kümmerte er sich um Gäste. „Manchmal habe ich gar nicht geschlafen“, erinnert er sich heute. Seine Frau spricht von einem 18- bis 20-Stunden-Tag, den es zu meistern galt.
Früher holten die Leute auch noch Bier im Krug nach Hause. Vor dem Aufkommen der Getränkemärkte lieferten Brusts Depotbier im Dorf aus. Reichlich gingen Zigarren und Zigaretten über die Theke.
„Gegessen haben die Leute selten“, erinnert sich Ingrid Brust (69) an die Nachfrage in den sechziger Jahren. Manche brachten gar selbst etwas mit. Straßenarbeiter bestellten mittags schon mal ein oder zwei Bier und orderten Wasser nach, um die Suppe aus der Küche zu verlängern. „Besser wurde es erst, als die Bauerrente kam“, erzählt Rudolf Brust.
„Wir wissen, was wir unseren Eltern zu verdanken haben“
Manfred Brust Gastwirt
Finanziell ist die Ortsbevölkerung inzwischen reicher, in Sachen Geselligkeit nicht unbedingt. Bis in die 90er Jahre platzen die Räume noch bei diversen Tänzen aus den Nähten. Der Rentnerstammtisch jeden Tag um 9 Uhr gibt es seit etlichen Jahren nicht mehr. Immerhin: Frauen dürfen inzwischen auch mal alleine in die Wirtschaft. „Als ich jung war, galt das als unsittlich“, beschreibt Ingrid Brust einen Wandel.
25 Teilzeitkräften aus der Umgebung gibt das Gasthaus Brust Arbeit. Die Eltern seien bei der Instandhaltung der Anlagen unverzichtbar. Und dem Spaß an Lebensmitteln aus heimischer Produktion sind auch zwei Hobbies der Wirtsfamilie. Sie schenken selbstgebrannten Schnaps und seit 2004 Wein aus dem eigenen Weinberg aus.
Auch die nächste Generation scheint für diese Gastlichkeit offen. Tochter Lisa (15) hilft schon mal mit und auch mit Julian (11) steht möglicherweise ein potenzieller Nachfolger in den Startlöchern.
Gefeiert wird das Jubiläum am Sonntag, 21. Juli, mit Einweihung der erneut renovierten Gasträume, Unterhaltungsmusik der Bläserklasse Untererthal, Obererthal und Diebach sowie ab 16.30 Uhr den Rhöner Rucksackmusikanten.