In diesen Tagen, wo das einst stolzeste Haus in der Kissinger Hotellandschaft nur noch ein Haufen Schutt ist, wird den Kissingern von Neuem bewusst, was sie verloren haben, als Freistaat und Steigenberger Gruppe entschieden, ihren Pachtvertrag aufzulösen. Zwei Menschen erlebten den tiefen Einschnitt besonders nah mit. Siegfried Steinbach, der frühere Betriebsratsvorsitzende des Steigenberger Kurhaushotels und die damalige Direktorin des Hauses, Birgit Borchert. Ein Blick zurück aus zwei Perspektiven.
„Wie eine Bombe“
Es ist Mai 2010, als eine Welt zertrümmert wird. Im Büro von Siegfried Steinbach im Kurhaushotel klingelt das Telefon. Matthias Heck, Finanzvorstand der Steigenberger Hotelgruppe, teilt dem Kissinger Betriebsratsvorsitzenden mit, dass der Konzern den Pachtvertrag mit dem Freistaat auflösen wird. „Das war für mich wie eine Bombe. Es kam total überraschend, dass mit Steigenberger und dem Freistaat zwei absolut verlässliche Partner den Vertrag aufgelöst haben“, sagt Steinbach heute.
„Wir als Betriebsrat haben sofort versucht, die Politik einzuschalten“, erzählt er. Aber ohne Erfolg. Gleich, wer sich einsetzte, ob Oberbürgermeister Kay Blankenburg (SPD), der Landtagsabgeordnete Robert Kiesel (CSU) oder dessen Kollegin Sabine Dittmar (SPD). Am Ende waren die Differenzen zwischen dem Konzern und dem Freistaat über Investitionen im Brandschutz größer. Zum 31. Oktober 2010 wurde der Pachtvertrag nach 51 Jahren vorzeitig beendet. 70 Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz. Der Beherbergungsbetrieb an Kissingens vornehmster Adresse wurde nach 271 Jahren eingestellt.
Steinbach kam mit 32 zum Steigenberger Kurhaushotel. 32 Jahre arbeitete er für das Hotel, leitete den Bereich Einkauf, war Betriebsratsvorsitzender in Kissingen und stellvertretender Vorsitzender des Gesamtkonzern-Betriebsrats. 2010 saß er mit am Verhandlungstisch, als die Steigenberger AG mit Vertretern des bayerischen Finanzministeriums einen Sozialplan für die Beschäftigten aushandelte. „Es war ein guter Sozialplan“, meint Steinbach. „Aber er hat einen Arbeitsplatz in keiner Weise ersetzt. Ältere Mitarbeiter über 50 Jahre hatten danach Probleme eine neue Stelle zu finden.“ Einzelfälle seien bis heute nicht untergekommen.
Der Pachtvertrag von Steigenberger mit dem Freistaat lief eigentlich bis 2025. Beide Seiten haben immer wieder investiert: In den 50-er Jahren wurde das Kurhaushotel saniert und modernisiert, in den 80-ern das Restaurant erneuert, die Zimmer hergerichtet und der Neumann-Flügel renoviert. Der Brandschutz wurde allerdings immer auf die lange Bank geschoben, kritisiert Steinbach. Ein Privateigentümer hätte vielleicht früher gehandelt als der Staat, als die Ertüchtigung noch günstiger zu haben war. 2010 war laut Steinbach von sechs bis sieben Millionen Euro Kosten die Rede – vielleicht 16 Millionen Euro, falls unvorhergesehene Arbeiten angefallen wären. Aktuell setzt der Freistaat für Abriss und baufertige Übergabe des Grundstücks sowie die Sanierung des Kurhausbads mit 35 Millionen Euro an.
„Es ist schwer zu beurteilen, ob die Schließung gerechtfertigt war“, sagt Steinbach und: „Nach meinem Dafürhalten hat die Schließung den Freistaat mehr Geld gekostet.“ Abgesehen von den aktuellen Investitionen hat der Freistaat 2010 die Sozialplankosten für die Beschäftigten übernommen. Außerdem wurde eine Abfindung an den Konzern gezahlt. Das Finanzministerium teilt dazu mit, „dass sämtliche aus dem früherem Pachtvertragsverhältnis resultierenden, wechselseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten bereits seit längerem vollständig ausgeglichen sind.“ Zur Höhe der Zahlungen schweigt das Ministerium.
„Für die Mitarbeiter war das Hotel Zuhause.“, sagt Steinbach am Bauzaun. Heute macht ihm der Anblick nichts mehr aus. Anfangs aber war die Trauer groß. Sie hat jetzt der Hoffnung Platz gemacht, dass ein neuer Investor gefunden wird, der an der Stelle ein neues Luxushotel baut.
Immer noch wütend
Birgit Borchert ist wütend. Immer noch. So hätte es damals, 2010, nicht kommen müssen, meint die ehemalige Direktorin. Sie musste ihre Leute nach Hause schicken und Gäste abweisen. „Manche von ihnen sind seit 40 Jahren nach Bad Kissingen gekommen. Das war schwierig für mich“, sagt sie. In ein paar Tagen kommt sie wieder in die Stadt und konfrontiert sich mit den Trümmern des einstigen Luxushotels. Dann will sie für sich abschließen. Birgit Borchert leitete das Hotel von 2003 bis 2010. Seit März 2011 ist sie Direktorin des InterCityHotels Celle, das zur Steigenberger Hotel Group gehört.
Die Konzepte für eine Renovierung waren schon ausgearbeitet. Im November sollte es losgehen. Doch dann wurde der Pachtvertrag des Hotels aufgelöst. „Es hätten Investitionen getätigt werden müssen“, sagt Birgit Borchert. „Wir wollten renovieren und sanieren und die Brandschutz-Maßstäbe anpassen.“ Für sie hätte es mehr Sinn gemacht, das Hotel für diese Arbeiten nur kurzzeitig dicht zu machen. „Es war ein Fehler, das Hotel zu schließen.“
Der Stadt habe die Schließung wirtschaftlich geschadet. „Meine Gäste haben in Bad Kissingen eingekauft – und nicht wenig.“ Zudem müsse die Stadt durch die Schließung einen Imageverlust verkraften. „Viele Gäste sind extra für den Sommer- und den Winterzauber angereist. Die kommen jetzt nicht mehr.“
Was Kissingen brauche, sei „ein sehr gutes 4-Sterne-Hotel“. Und das möglichst schnell. „Die Verantwortlichen müssen sich einigen und anfangen. Das Ganze darf jetzt nicht vor sich hindümpeln.“ Das neue Hotel dürfe nicht hypermodern sein. „Es sollte sich harmonisch ins Stadtbild einfügen“. Birgit Borchert sieht die Chance, mit einem neuen Haus jüngere Gäste anzusprechen: „40- bis 50-Jährige, die sich für Konzerte und die Therme interessieren. Bad Kissingen hat so viel zu bieten.“