Sie kleben sich an Straßen fest, blockieren Flughäfen oder werfen Kartoffelbrei auf Kunstwerke: Die Klimaaktivisten- und aktivistinnen der "Letzten Generation" sorgen deutschlandweit für Aufsehen. Manche Politikerinnen und Politiker setzen die Organisation auf eine Stufe mit Terroristen, andere zeigen Verständnis für die Aktionen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell geht noch einen Schritt weiter: Er unterstützt die Organisation finanziell - und sorgt damit für Diskussionen.
"Seit 30 Jahren wird Klimaschutz in Deutschland verhindert", erklärt der 70-Jährige sein Handeln auf Nachfrage der Redaktion. Auch die Demonstration Hunderttausender Menschen im Rahmen von Fridays vor Future habe an dieser Haltung nichts geändert. Im Gegenteil: Statt einer Abkehr von den fossilen Energien gebe es seit dem Ukrainekrieg eine Kehrtwende zurück zu Kohle und LNG-Gas.

Aus blanker Ohnmacht vor dieser Politik würde die "Letzte Generation" auf die Straße gehen. Wert legt Fell, der selbst Träger des Bundesverdienstordens ist, drauf, dass er keine Aktionen unterstütze, sondern lediglich die als gemeinnützige anerkannte Bildungsarbeit der Organisation. Seinen Beitrag beziffert er auf mehrere Hundert Euro.

Fell ist im Bereich des Klimaschutzes bei Weitem kein Unbekannter: 2013 ist der Hammelburger von Bündnis 90/Grüne nach 15 Jahren im Bundestag aus dem Parlament ausgeschieden. In Berlin kämpft er als Präsident des internationalen Netzwerks "Energy Watch Group" weiterhin für erneuerbare Energien.
Hans-Josef Fell sieht Protest "auf dem Boden der Verfassung"
Anders als viele ihrer Kritiker sieht er den Protest der "Letzten Generation" auf dem Boden der Verfassung. Er verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes: "Die Lebensgrundlagen müssen vom Staat geschützt werden", so Fell mit Bezug auf die Richter. Ein Verfassungsrichter in Rheinland-Pfalz habe in der Diskussion um die "Letzte Generation" sinngemäß darauf hingewiesen, dass bei einem Notstand, wie es der Klimawandel sei, Aktionen zu rechtfertigen wären, wenn er nur auf diese Weise abgewendet werden könne.

Die Lage sieht Fell dramatisch: Sogar UN-Generalsekretär António Guterres habe angesichts der Entwicklung von einem bevorstehenden "Suizid der Weltbevölkerung" gesprochen, wenn sich die Klimapolitik nicht rasch ändere. "Das ist nicht erst in 100 Jahren, sondern vielleicht schon 2050", fürchtet Fell einen Entzug von Lebensgrundlagen. "Als Opa von sieben Enkeln, die dann im heiratsfähigen Alter sind, geht mir das schon nahe."
Wunsch nach mehr zivilem Ungehorsam
Da seien Behinderungen im Berufsverkehr eine vergleichsweise geringe Sorge, um eine breite Debatte anzustoßen. Alleine die Flut im Ahrtal habe viele Menschenleben und 30 Milliarden Euro Sachschaden gefordert. "Haben wir in 30 Jahren auch das Sinntal?", fragt Fell rhetorisch.

Für Fortschritte beim Klimaschutz wünscht sich Fell für die kommenden Monate sogar noch mehr zivilen Ungehorsam. Denn: "Solcher Protest hat in der Weltgeschichte schon viel bewegt", sagt Fell. Der streitbare Verfechter regenerativer Energien zieht Parallelen zur der Wende in der DDR, Martin Luther King und Nelson Mandela.
Trotz ihrer Blockaden sieht Fell die Zustimmung für die "Letzte Generation" steigen. Sogar 2000 Kulturschaffende hätten dafür eine Erklärung unter dem Motto "Klimaschutz ist kein Verbrechen" unterschrieben. Was es bei der Energiepolitik jetzt bräuchte, ist nach Ansicht Fells ein Notstandsplan, um beispielsweise die Windenergie schnell voranzubringen.
Hans-Josef FellBeharrlich hat sich der gelernte Physiklehrer Hans-Josef Fell bereits in den 1990er Jahren als Hammelburger Stadtrat für Erneuerbare Energien eingesetzt. Dem Bundestag gehörte er von 1998 bis 2013 an. Als Energiepolitischer Sprecher der Grünen (1998 bis 2005) gilt er als Urheber des Energieeinspeisegesetzes (EEG). In seinem Hammelburger Haus lebt der Solarstrompionier seit Jahren vor, wie viele Haushalte nach seiner Einschätzung autark von der öffentlichen Stromversorgung werden könnten. Fell gewann zahlreiche Preise, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und seit 2019 Ehrenbürger der Stadt Hammelburg. dübi