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Hammelburg: Hans-Josef Fell zu Bauernprotesten und Agrardiesel: "Die Landwirte sind mitverantwortlich für das Dilemma"

Hammelburg

Hans-Josef Fell zu Bauernprotesten und Agrardiesel: "Die Landwirte sind mitverantwortlich für das Dilemma"

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    Seit Jahrzehnten ein Verfechter erneuerbarer Energien: der Hammelburger Hans-Josef Fell.
    Seit Jahrzehnten ein Verfechter erneuerbarer Energien: der Hammelburger Hans-Josef Fell. Foto: Josef Lamber (Archivbild)

    Die bundesweiten Proteste der Landwirtinnen und Landwirte sind weiter in aller Munde. Der Grünen-Politiker, frühere Bundestagsabgeordnete und Energie-Experte Hans-Josef Fell verfolgt sie aufmerksam. Beim Thema Klimaschutz wünscht sich Fell mehr zivilen Ungehorsam, die Aktionen der "Letzten Generation" unterstützte er. Im Interview sagt der 72-jährige Energie-Experte aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen), was ihn jetzt an den Demonstrationen der Bauernschaft stört.

    Frage: Herr Fell, was bewegt Sie in der Diskussion um die Besteuerung von Agrardiesel?     

    Hans-Josef Fell: Mich bewegt, dass vor allem der Bauernverband und über 90 Prozent der Bauern Chancen nicht ergriffen haben, die eröffnet wurden, um vom Erdöldiesel wegzukommen. Ich selbst habe seit dem Jahr 2000 mit der rot-grünen Regierung daran gearbeitet, dass wir Alternativen bekommen. Zusammen mit großen Herstellern wurden unter anderem Pflanzenöltraktoren entwickelt. Die Industrie hat gute Entwicklungsarbeit geleistet. Die Landwirtschaft hat sich aber zu großen Teilen geweigert, dies aufzugreifen.

    Bauernprotest an der Bundesstraße B19 mit Straßenblockade am Autobahnkreuz Würzburg/Estenfeld.
    Bauernprotest an der Bundesstraße B19 mit Straßenblockade am Autobahnkreuz Würzburg/Estenfeld. Foto: René Ruprecht

    Woran lag dies?

    Fell: Grund war der Run auf die Agrardiesel-Subventionen. Das hat die Unwirtschaftlichkeit der Umstellung zementiert. Als Folge hat die Landwirtschaft in dieser Frage keinen Beitrag zum Klimaschutz gebracht. Die Landwirte sind nicht nur Opfer der Klimaveränderung mit Dürren, Ernteausfällen und Starkregen bis hin zu Hagel. Landwirte sind auch klimaschädigende Täter. Sie haben mit wenig Ausnahmen die Umstellung auf klimaschützende Kraftstoffe vom eigenen Acker nicht vollzogen. Dabei haben wir 2002 alle Biokraftstoffe steuerfrei gestellt. Unter Kanzlerin Merkel wurde 2007 erneut der fossile Agrardiesel steuerfrei gestellt, aber die Biokraftstoffe wurden voll besteuert - ohne Gegenwehr des Bauernverbands.

    Mit welchen Folgen aus Ihrer Sicht?

    Fell: Das war das falsche Signal, um der Landwirtschaft eine Grundlage für die Umstellung zu geben. Das Beharren der Landwirte auf dem fossilen Diesel hat schlimme Folgen für die Wirtschaft, weil die Preise für Agrarprodukte zu 30 Prozent am Erdölpreis hängen. Unter anderem auch deshalb sind die Lebensmittelpreise so in die Höhe geschossen.

    Die Weltlage hat sich ja weiter verschlechtert.

    Fell: Der fossile Diesel hat enorme geopolitische Implikationen. Wir sehen gerade die Zuspitzung in Nahost. Sollten die Iraner die Straße von Hormus sperren, könnte sich der Erdölpreis verdoppeln oder verdreifachen. Dann ist der Agrardiesel trotz Steuerbefreiung drei mal so teuer wie heute. Ruft Bauernpräsident Rukwied dann dazu auf, mit den Schleppern zum Protestieren nach Teheran zu fahren? Das ist jetzt zwar zugespitzt, aber es beleuchtet worum es auch geht. 1973 hat die arabisch dominierte OPEC ja schon einmal den Ölhahn zugedreht und versucht, uns wegen der Auseinandersetzung um Israel und Palästina zu erpressen. Das zu ignorieren und zu fordern, der Steuerzahler soll den fossilen Agrardiesel so billig wie möglich machen, ist schon deshalb nicht akzeptabel.

    "Dafür sollten die Landwirte in Berlin protestieren: Macht uns die Biokraftstoffe steuerfrei und bringt uns steuerfreien Strom für die Landmaschinen!"

    Hans-Josef Fell zum Kern der Demonstrationen

    Landwirte können die Umstellung auf alternative Kraftstoffe aber kaum alleine schaffen.

    Fell: Natürlich braucht es Umstellungshilfen, aber die gab es schon. Nicht nur von Rot-Grün. Die bayerische Landesregierung hatte in den vergangenen zehn Jahren ein gutes Programm zur Umstellung der Traktoren angeboten. Die Landwirte haben es aber mit Bick auf die Agrardiesel-Subventionen nicht angenommen. Insofern muss man Landwirten den Spiegel vorhalten. Sie sind mitverantwortlich für das Dilemma.

    Nach viel Theorie ein Blick in die Praxis: Wie viel fossilen Agrardiesel können Biokraftstoffe ersetzen?

    Fell: Weitgehend vollständig. Wenn man es richtig macht, ist die Produktion von Pflanzenölen keine Lebensmittelkonkurrenz. Der Raps etwa liefert Pflanzenöl, und auf dem gleichen Acker einen eiweißreichen Presskuchen, der als tierische und menschliche Nahrung taugt. Die Landwirte können die Öle vom Acker ernten, auspressen und in den eigenen Tank schütten. Das ist phänomenal anders, weil Landwirte dann nicht in der Abhängigkeit von Energiekonzernen sind. Eine berechtigte Kritik ist ja, dass Bauern etwas erzeugen und an die Industrie geben, die dann hohe Gewinne einstreicht. Davon wären sie dann beim eigenen Energiebedarf erlöst.

    Ein Traktor-Konvoi tuckert am 10. Januar 2024 durch die Würzburger Innenstadt.
    Ein Traktor-Konvoi tuckert am 10. Januar 2024 durch die Würzburger Innenstadt. Foto: Patty Varasano

    Die Umstellung bei den Treibstoffen hat aber auch einen Preis.

    Fell: Es gibt ja Biodiesel, reines Pflanzenöl, Bioethanol oder mit Wasserstoff aufhydriertes Pflanzenöl (HVO) sowie Biogas und als neue Perspektive die Solaranlage auf dem Acker mit Strom für Landmaschinen. Beim Treibstoff werden die Vorteile der heimischen Produktion durchschlagen. Gerade, wenn man sie nicht besteuert, wie es aber aktuell nicht der der Fall ist. Dafür sollten die Landwirte in Berlin protestieren: Macht uns die Biokraftstoffe steuerfrei und bringt uns steuerfreien Strom für die Landmaschinen.

    Kleine Betriebe haben aber nur wenig Luft für Investitionen. Erst recht bei den unklaren Perspektiven.

    Fell: Wir müssen vor allem über die größeren Betriebe diskutieren. Die haben genügend Kapital. Die Wegnahme der Vergünstigung bei der Agrardieselsteuer macht gerade ein bis drei Prozent des Jahresgewinnes aus. Dafür mache ich doch keinen Popanz mit den Traktoren in Berlin. Das ist unehrlich.

    Wann könnte die Landwirtschaft auf Biokraftstoffe umgestellt haben?

    Fell: Dazu erst einmal das Ergebnis eines landwirtschaftlichen Versuches der bayerischen Staatsgüter: Alle Traktoren können mit den agrarischen Treibstoffen vom Pflanzenöl bis zum Strom mit einem positiven betriebswirtschaftlichen Ergebnis eingesetzt werden. Je nach Betriebsgröße und Anstrengung könnte das, eventuell mit direkten Zuschüssen, drei bis sechs Jahre dauern. Besser wäre die Frage: Wie lange können wir uns die Erdölabhängigkeit von geopolitisch unsicheren und demokratisch fragwürdigen Regimen noch leisten?

    Ein positiver Ausblick zum Schluss?

    Fell: Jetzt müsste gehandelt werden. 20 Jahre ist schon von der Umstellung die Rede. Soll das jetzt noch einmal so lange dauern? Die elektrischen Antriebe sind zwar noch in den Anfängen, aber auch sie werden sich bei den Landmaschinen durchsetzen. Das ist eine klare Ansage an Politik und Bauernverbände, hier mitzuziehen. Wenn wir das nicht machen, machen es die Chinesen und Amerikaner. Wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir auch die Landmaschinenindustrie, so wie vor zehn Jahren die Solarindustrie.

    Hans-Josef FellDer 72-jährige Hammelburger hat sich schon in den 1990er-Jahren als Stadtrat für erneuerbare Energien eingesetzt. Dem Bundestag gehörte der Physiklehrer und Grünen-Politiker von 1998 bis 2013 an. Als Energiepolitischer Sprecher der Grünen bis 2005 gilt er als Urheber des Energieeinspeisegesetzes (EEG).In seinem Hammelburger Haus lebt der Solarstrompionier seit Jahren vor, wie Haushalte autark von der öffentlichen Stromversorgung werden könnten. Fell gewann zahlreiche Preise, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und seit 2019 Ehrenbürger der Stadt Hammelburg.Quelle: dübi

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