Ich bin dann mal weg!, Sagte Hape Kerkeling und pilgerte nach Santiago de Compostela. Wir wollen zwar nicht so weit gehen, aber eine besinnliche Wanderung sollte es schon werden. Schließlich wollen wir ein Stück des Fränkischen Marienweges gehen. Drei Tage lang mal weg sein von den Anforderungen des Alltags . . . Die Stätten des Christentums sollen ja oft auf alten energetischen Kraftorten erbaut sein. Mal sehen, vielleicht verspüren wir ja davon etwas.
Am Gartentörchen in Ramsthal verlassen wir die Zivilisation und gehen in Richtung Terzenbrunn. Die Natur bietet gerade jetzt ein wunderschönes Farbenspektakel, das geradezu berauschend einlädt zu einem langsameren Lebenstempo. Und zu einer genaueren Wahrnehmung der Umgebung. Die berühmte „tiefe Stille der Natur“ (Theodor Fontane) umfängt uns vom ersten Schritt an auf unserer Wanderung.
„Oh“, sagt Elke, als wir an der Mülldeponie und am Steinbruch vorbeilaufen in Richtung Wittelsbacher Turm. Überwältigt von den Dimensionen dieses Eingriffs in die Natur fragt die Münchnerin danach, was mit diesen Löchern in Zukunft geschehen soll. Und schon entspinnt sich eine rege Diskussion über die Grundsätze menschlichen Verhaltens in seiner Umwelt. Die „tiefe Stille“ wird von nun an ständig durchbrochen von unseren Gesprächen, wie es sich eben für zwei Frauen gehört, die einen regen geistigen Austausch betreiben. Manche nennen es auch gackern. Oder palavern. Die Tiere des Waldes wissen jedenfalls schon rechtzeitig, dass wir uns nähern. „Oh, schau ...!“ „Guck mal da!“, so weisen wir uns gegenseitig auf Farben, Formen und Ausblicke hin. Und auf den Himmel! Der Himmel, strahlend blau, lässt alles leuchten.
Gegen Mittag haben wir flotten Fußes Bad Kissingen erreicht, nach einer kurzen Rast gehen wir weiter zum Bismarckturm. Erst jetzt entdecken wir das Wanderzeichen des Marienweges, eine stilisierte Madonna in Rot mit einem blau gewandeten Jesuskind.
Elke, die selbst schon den Jakobsweg gegangen ist, erzählt, dass man dort komplett ohne Karte pilgern kann, es sind an allen Wegkreuzungen Pfeile angebracht. Und wir? Weil wir eine Abkürzung durch den Wald in Richtung Haard nehmen wollen, verlaufen uns und landen an den Ausläufern irgendeines unbekannten Dorfes. Ein freundlicher älterer Herr lehnt sich aus dem Fenster und sagt, dass wir in Winkels gelandet seien. Er fügt hinzu, dass auf einer Landkarte der Norden immer oben wäre So unbeholfen wirkte wohl unser Hantieren mit der Karte. Er schickt uns in Richtung Nordost nach Nüdlingen. Mistsuttenduft oder Odelgestank begleitet am Ackerweg unseren Missmut. Sogar ein Stück an der Straße müssen wir entlanggehen! Wie laut das ist! Schrecklich, diese Autos . . . .
Gut ausgeschilderter Wanderweg
Nach der Nüdlinger Ümpfigstraße finden wir wieder auf unseren Weg. Unsere Füße und Beine zeigen inzwischen erste Ermüdungserscheinungen. Es zieht sich jetzt schwer bis nach Windheim. Den Freunden des Schweinfurter Hauses muss an dieser Stelle ein Lob ausgesprochen werden, denn ihr Wanderweg, den wir ein Stück entlanggehen, ist vorbildlich ausgeschildert. Er führt durch ein zauberhaftes Stück Wald. Die Erschöpfung bringt nun ein langsameres Tempo mit sich und zeitweise auch wieder die tiefe Stille.
Der schmale Pfad, auf dem wir nur hintereinander gehen können, fängt uns in seiner Naturschönheit ein. Wir entdecken jetzt feinere Schönheiten, Pilze, unzählige Variationen von Moos, Blätter mit filigranen Äderungen. Bis es wieder beginnt: „Oh, schau mal“ und „Guck mal da!“
Erste Übernachtung
In Windheim haben wir eine Unterkunft übers Internet gefunden. Wie praktisch. Kurz vor Einbruch der Dämmerung schleppen wir uns in unser erstes Ziel. Wie schön! Schuhe aus, Dusche, Hunger! In Windheim heißt das Wirtshaus Zur Traube und der Wirt wie der Erzengel Raphael. Zum guten dunklen Bier gibt es Wurschtbrot. Sonst nix. Doch, man kann kleine Tütchen Chips kaufen. Wie die Geier stürzen wir uns auf Beides. Dann haben wir Muse, das unbeschreibliche Ambiente dieser Dorfwirtschaft zu entdecken, die hinsichtlich ihrer Brennerzeugnisse einen guten Ruf zu genießen scheint.
Am nächsten Morgen sind wir erstaunlich fit. Keine müden Knochen mehr, die kleinen Blasen an den Füßen sind kaum zu spüren. Und mit der Wanderkarte gehen wir erstaunlich gekonnt um. Das Einschätzen von Entfernungen und Höhenunterschieden gelingt uns viel besser. Man sollte wirklich mindestens einmal im Jahr seine Gäste durch die heimische Landschaft führen, das öffnet die Augen wieder für die zauberhafte Schönheit, die im Alltag oft untergeht.
Und wie abwechslungsreich die Natur ist! Wie sinnreich die Denkmäler christlicher Volkskunst hineingebaut sind! Wie schön doch dieses kleine Städtchen Münnerstadt!
Auf dem Weg hinüber nach Mürscht erleben wir besondere spirituelle Momente. Eine Eule, Vogel der Weisheit, und ein Delphin, das Tier der besonderen Sensibilität, überraschen uns aus Holz geschnitzt am Michelsberg. Ein alter Hain und diese uralten Bäume mit den tiefen Furchen – wie heißen sie nochmal? – verweisen auf heilige Orte aus vergangenen Zeiten. Flurnamen wie beispielsweise Teufelsboden oder Seelenholz lassen Ahnungen von früher entstehen.
Und erst die Häuser der Stadt! In Münnerstadt stehen zeitlose Schönheit und würdevolle Trauer ganz nah beieinander. Unser Mittagessen ist jedoch nur traurig: zu viel Essig, verkochte Nudeln. Ein Hauch von Italien ist zu spüren in der Stadtpfarrkirche, dort steht ein Geldautomat am Altar, der für einen Euro zehn Minuten lang den Riemenschneideraltar beleuchtet. Trotzdem steht das Kunstwerk zu weit hinten, um gebührend betrachtet werden zu können. Dafür finden wir an der Außenmauer zwei freundliche Engel, kleine Details aus dem bezaubernden Ensemble rund um die Kirche.
Holzofenbrot mit Bergkäse
Der Platz strahlt eine solch freundliche Geborgenheit aus, dass wir gar nicht weiter wollen. Wir beschließen, auf dem Rückweg hier noch einmal vorbeizugehen und das neu gestaltete Museum im Deutschordensschloss zu besuchen. Dann könnten wir den langen Weg von Großwenkheim nach Ramsthal verkürzen, indem wir ein Stück mit dem Zug fahren – und wir sparen uns auch den Teil der Strecke, der inzwischen von der A 71 zerschnitten wird. Wie gesagt, in der freien Natur hört man die Autos unangenehm laut. Probierts es, dann spürts es.
Wir wandern weiter nach Maria Bildhausen und bekommen dort in Form eines Holzofenbrotes mit Bergkäse die beste Mahlzeit unserer Tour vorgesetzt. Und wieder ein gutes dunkles Bier! Unabhängig voneinander schicken wir beide ein Wunschgebet an die Jungfrau Maria, sie möge allen Gastwirten das unbedingte Streben nach höchster Qualität ins Herz pflanzen.
Energetische Kräfte der besonderen Art verspüre ich in der zweiten Nacht, denn da schneidet die Straßenlaterne das Bett entzwei, das Fenster, wenn es geöffnet ist (Luft!Luft!), lässt so viel Straßenlärm herein, wie man ihn an einer Dorfstraße nicht vermuten würde. Schlechtes Chi, würde der Feng-Shui-erprobte Chinese sagen!
Ich kann nicht schlafen, die Beine tun weh . . . Aber am nächsten Morgen ist alles wieder gut – nach einem freundlichen Frühstück und wieder draußen beim Wandern. Wir nehmen einen Weg zurück nach Münnerstadt, der über eine lange Strecke am Wanningsbach entlangführt. Jetzt weiß ich auch, wo das Tierheim Wanningsmühle liegt. Noch nie sind wir irgendwo auf der Welt so freudig von einer Katze begrüßt worden. Nein, wir können sie leider nicht mitnehmen.
Der Weg führt uns durch feuchten Wiesengrund an Dörfern vorbei, diesig hängt der Herbst in der Luft. Wir diskutieren, ob die starke fränkische Marienverehrung positiv zu werten sei oder nicht. Eine von uns meint, dass damit weiterhin konservative Weiblichkeitsmuster tradiert würden, die die Frau auf Gehorsam, Sanftmut und Mutterschaft festlegten. Die andere vertritt die Position, dass die Figur der Maria doch eigentlich der Leuchtpunkt dieses ganzen monotheistischen Männergefüges sei. Über dieser Frage vergehen die Kilometer.
Hilfsbereite Kinder
Vielleicht hat Maria unsere Gebete erhört, denn wir finden in Münnerstadt ein Café mit wunderbaren Kuchen. Mmmh . . . Und dann noch das neu gestaltete Museum, über das man einen eigenen Bericht schreiben müsste. Müde kommen wir am Bahnhof an, außergewöhnlich viele hilfsbereite Kinder und Jugendliche treffen wir dort. Vielleicht liegt es an dem Ganztagesgymnasium, das einen sehr guten Ruf hat. Oder daran, dass wir so müde und hilfsbedürftig wirken?
Eigentlich fühlen wir uns eher gestärkt nach über 60 Kilometern Wanderung, ein klein wenig stolz, wie gut wir die Strecke gemeistert haben, und ziemlich hungrig auf ein deftiges Essen, das wohl daheim am Besten schmeckt: Kartoffelbrei mit Sauerkraut.
Kaum angekommen, klingelt ununterbrochen das Telefon. Hätte ich doch nur für einen Tag länger gesagt: Ich bin dann mal eben weg.
Daten & Fakten
Fränkischer Marienweg Seit dem Sommer 2002 führt der Fränkische Marienweg auf insgesamt vier Routen 794 Kilometer durch Rhön, Spessart und Odenwald, Fränkisches Weinland, Haßberge und Steigerwald. Rund 50 Wallfahrtsorte liegen auf dem Weg, zahlreiche Bildstöcke, Kreuze und Kapellen geben Zeugnis von der Volksfrömmigkeit. Die Wegmarkierung, ein klassisches Marienmotiv in stilisierter Form in den Farben Rot und Blau, ist nicht immer zu finden. Der Initiator, Pfarrer Josef Treutlein, hat einige Bücher veröffentlicht: Zusammen mit Johannes Martin den Bildband Fränkischer Marienweg, der über die 50 Wallfahrtsorte informiert. Ein modern gestaltetes kleines Rosenkranzbüchlein „Von Perle zu Perle, Unterwegs auf dem Fränkischen Marienweg“ spricht meditative Themen an. Im Taschenformat ist der Wanderführer „Wandern und Radeln auf dem Fränkischen Marienweg“ erhältlich. Er beinhaltet Kartenmaterial im Maßstab 1:75 000. Es gibt außerdem zahlreiche Wanderkarten, auf dem die Wegmarkierungen jedoch (noch) nicht vermerkt sind. Weitere Informationen gibt es unter www.fraenkischer-marienweg.de und beim Verein der Freunde und Förderer des Fränkischen Marienwegs, Tel. (09 31) 2 17 62.