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Bad Kissingen: Im Rollstuhl durch Bad Kissingen: Selbsttest mit Hindernissen

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Im Rollstuhl durch Bad Kissingen: Selbsttest mit Hindernissen

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    Die 11. Jahrgangsstufe des Jack-Steinberger-Gymnasiums testete die Kurstadt auf Barrierefreiheit.
    Die 11. Jahrgangsstufe des Jack-Steinberger-Gymnasiums testete die Kurstadt auf Barrierefreiheit. Foto: Maria Lisa Schiavone

    Alleine in den Bus steigen oder schnell mal die öffentliche Toilette im Rosengarten aufsuchen – für Menschen mit körperlichen Behinderungen ist das nicht so einfach. Wie schwierig und anstrengend es ist, sich im Rollstuhl fortzubewegen, haben die Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe des Jack-Steinberger-Gymnasiums am vergangenen Donnerstag selbst getestet. Zusammen mit Andreas Knüttel, dem ehrenamtlichen Schwerbehindertenbeauftragten von Bad Brückenau, ging es für die Gymnasiasten in den Rollstühlen eines ortsansässigen Sanitätshaus in die Bad Kissinger Innenstadt.

    Für die Elftklässler war das alles andere als ein Spaziergang. "Man muss die ganze Zeit rollen, abbremsen, Gas geben und aufpassen, wo man drüber fährt. Im Gulli kann der Reifen schon mal steckenbleiben", sagt Niklas Siebert.

    Von der körperlichen Anstrengung ganz zu schweigen: "Man merkt das in den Armen und bei Bordsteinen muss das Gewicht mit viel Kraft nach hinten verlagert werden, sonst kommt man nicht hoch", ergänzt der 18-Jährige. Ähnlich ging es auch Leonie Jelinek beim Überqueren der Straße: "Mit der Hand zu bremsen und gleichzeitig zu lenken ist schwierig, weil die Straße zum Bordstein hin leicht abfällt."

    In der Kissinger Fußgängerzone fällt es den Schülern des Jack-Steinberger-Gymnasiums einfacher zu fahren.
    In der Kissinger Fußgängerzone fällt es den Schülern des Jack-Steinberger-Gymnasiums einfacher zu fahren. Foto: Maria Lisa Schiavone

    Alte Architektur ist nicht barrierefrei

    Bordsteine sind ein Problem. Sind sie zu hoch, kommen die Rollstühle erst gar nicht über die Kante. "Da kann auch keiner den Rollstuhl mit einem Angehörigen rückwärts hochwuchten, da muss man dann außen rum auf der Straße fahren", sagt Knüttel.

    Alles über vier Zentimeter ist mit einfachen Rollstühlen nicht machbar. Andreas Knüttel macht da eine klare Ansage in die Runde: "Absteigen und drüber laufen." Alles andere ist zu gefährlich. 

    Gerade alte Gebäude und die alte Stadtarchitektur behindern Menschen in ihrer Mobilität, erklärt Knüttel bei der Tour durch die Innenstadt. Da gibt es zum Beispiel Läden, die nur über Stufen oder steile Rampen betretbar sind. "So baute man oft in den 80-er und 90-er Jahren", sagt Knüttel. Bei solchen Bauten sind Menschen im Rollstuhl immer auf Hilfe angewiesen. Wie gefährlich das sein kann, zeigt der Rampen-Test vor einem Ladengeschäft. "Bitte lass mich nicht fallen", sagt die Schülerin im Rollstuhl zu ihrem Mitschüler. 

    Selbstbestimmte Mobilität sieht anders aus. Solche Rampen würde man heute wohl nicht mehr bauen. Wie mühsam das ist, haben die Schüler des Jack-Steinberger Gymnasiums selber getestet.
    Selbstbestimmte Mobilität sieht anders aus. Solche Rampen würde man heute wohl nicht mehr bauen. Wie mühsam das ist, haben die Schüler des Jack-Steinberger Gymnasiums selber getestet. Foto: Maria Lisa Schiavone

    Solche Rampen sind gefährlich und erfordern viel Kraft. Heute dürfen Rampen im öffentlichen Raum aber eine sechsprozentige Steigung nicht überschreiten, sagt Knüttel. "Alles was keine Stufen hat und weniger als sechs Prozent Steigung ist wünschenswert. Denn es geht ja nicht nur um den Rollstuhl, sondern auch um den Kinderwagen, Rollator, die Hüfte, das Knie und den Rücken." 

    Projekt-Seminar des Jack-Steinberger-Gymnasiums

    Die Idee zur Rollstuhl-Testfahrt mit Andreas Knüttel hatte Lehrerin Stefanie Fronczek: "Ich wusste, dass Andreas Knüttel in Bad Brückenau eine ganz ähnliche Aktion mit dem Stadtrat gemacht hat." Der hatte im Mai mit dem dortigen Stadtrat eine solche Tour gemacht. Die Aktion passte ideal in das Projekt-Seminar "Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung" der Oberstufe, das Fronczek leitet. 

    Busfahrt wird zur Tagesaufgabe

    Einfach mal den Bus nehmen, das ist für Rollstuhlfahrende nicht drin. Für sie ist Bus fahren umständlich, zeitaufwendig und anstrengend. "Mit dem öffentlichen Bus von Bad Brückenau nach Bad Kissingen, das ist eine Tagesaufgabe", sagt Knüttel. Schlechte Verbindungen, mehrmaliges Umsteigen und überfüllte Busse, "das macht keinen Spaß". 

    Das zeigt sich schon beim Einsteigen in den Bus. "Auf der Rampe hatte ich Angst runterzufallen, weil man nicht so gut lenken kann - und dann musste ich drinnen auch noch drehen. Alleine wäre es schon schwierig gewesen", sagt die 18-jährige Evantia Michon. 

    Ohne Hilfe geht es doch nicht: Um in den Bus zu gelangen, bekommt Schülerin Evantia Michon Unterstützung von Mitschüler Jakob Zierz. 
    Ohne Hilfe geht es doch nicht: Um in den Bus zu gelangen, bekommt Schülerin Evantia Michon Unterstützung von Mitschüler Jakob Zierz.  Foto: Maria Lisa Schiavone

    Barrierefreiheit im Kissinger Rosengarten?

    "Jeder hat ein Recht zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, niemand darf dran gehindert werden", sagte Reha-Techniker Matthias Albert bei der Vorstellung der verschiedenen Modelle. Doch die Realität ist ernüchternd. Im Rosengarten versucht Jakob Zierz alleine die öffentliche Toilette zu benutzen: Rampe hochfahren, die Tür mit einer Hand öffnen, während die andere den Rollstuhl kontrolliert. Schon das ist ein Kraftakt.

    Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, fangen die Herausforderungen schon vor dem Straßenverkehr an, erklärt Reha-Techniker Matthias Albert. Denn nicht jeder Rollstuhl ist gleich. Das Standardmodell der Krankenkassen kostet rund 300 Euro – ist aber schwer und nicht so beweglich und lenkbar wie ein Aktivrollstuhl, der bis zu 2500 Euro kostet. Bewegungsfreiheit, Komfort und Selbstbestimmtheit sind teuer und die Krankenkassen nicht sofort zahlungswillig, erklären Albert und Knüttel im Vorfeld. 

    Fazit auf Webseite des Jack-Steinberger-Gymnasiums

    Trotz der zahlreichen Altbauten in der Stadt ist Bad Kissingen, was den Ausbau von Barrierefreiheit angeht, heute schon "gut dabei", vor allem in Sachen Neubau, sagt Knüttel. Die Schülerinnen und Schüler dokumentieren und bewerten ihre Erfahrungen in einem Artikel, der demnächst auf der Webseite des Jack-Steinberger-Gymnasiums veröffentlicht wird. Wie ihr Fazit ausfallen wird, verraten einige Schüler jetzt schon im Gespräch mit dieser Redaktion. 

    Für Niklas Siebert war es vor allem eins: anstrengend. "Bergab fahren ist anstrengend, bergauf fahren ist anstrengend. Respekt an die Rollstuhlfahrer."

    "Bergab fahren ist anstrengend, bergauf fahren ist anstrengend. Respekt an die Rollstuhlfahrer."

    Elftklässler Niklas Siebert

    "Kissingen ist schon sehr weit mit der Barrierefreiheit. Aber es gibt noch Problemstellen, wie hohe Bordsteine oder der Zugang zur Toiletten im Rosengarten", findet Selina Schaub. "Das war schon sehr anspruchsvoll die Rampe zu den Toiletten alleine hochzurollen."

    Was der Schülerin noch aufgefallen ist: "Dass Personen unterschiedlich auf einen reagieren. Es gab Menschen, die einen abstoßend und herablassend angeschaut haben, aber auch Leute die voll fürsorglich waren und gefragt haben, ob alles okay ist."

    Diese Beobachtung teilt auch Mitschülerin Christina Schmidt: "Es war unangenehm, wie die Leute einen angeschaut haben. Als wäre es das Schlimmste auf der Welt. Ich finde es aber auch schön, dass manche stehengeblieben sind und zugehört haben, was Andreas gesagt hat. Respekt an die Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind und all das alleine schaffen."

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