(as) Während der Fastenzeit ist das bunte, vierflügelige Hochaltarbild in der Katholischen Stadtpfarrkirche eingeklappt. Das verleiht der Apsis einen meditativen Charakter. Das Auge wird nicht abgelenkt und das Gehörte gewinnt an Bedeutung, so wie beim beeindruckenden Orgelkonzert von Kantor Dieter Blum am Sonntagabend.
Der gebürtige Obereschenbacher ist ein Virtuose und brillanter Techniker. Er versteht, die Klaist-Orgel farbig zu registrieren. Faszinierend, wie er durch kleine veränderte Akzentuierungen Altbekanntes neu belebt. Das Programm war eine Mischung geschätzter und unbekannter Orgelwerke. Blum spielte sich durch die barocke, romantische und moderne Orgelliteratur vom 16. bis zum 21. Jahrhundert.
Das Konzert eröffnet Blum mit zwei Werken von Dietrich Buxtehude (1637-1707). Die Choralbearbeitung von Samuel Scheidt (1587-1654) „Da Jesus an dem Kreuze stund“ könnte man im Gottesdienst nur an Karfreitag spielen, aber da muss die Orgel schweigen. Das ist schade, denn das Werk birgt einen kleinen Kosmos. Es beginnt harmonisch und liedhaft. Flötenstimmen singen die Melodie, die langsam immer mehr Rhythmus aufnimmt. Jazzig und keck klingen im Mittelteil die begleitende linke Hand und die Pedale. Düstere Register wählt Blum für den Schlusssatz, der wuchtig und apokalyptisch ausklingt.
Unglaublich leichthändig und leichtfüßig spielt Blum die „Toccata und Fuge d-Moll“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Er spielt schlicht und wahrhaftig. Tänzerisch gestaltet er die Fuge. Erst im abschließenden Rezitativ beginnt das Niederdrückende, das in einem fatalen Schlussakkord in Moll endet. Gut, dass Bach auch einfache Choralstücke in seinem Orgelbüchlein verewigt hat. Sie wirken nach der Toccata wie ein Sonntagsspaziergang und besänftigen das aufgewühlte Ohr.
Die „Sonate Nr. 1 d-Moll op. 74“ von Rudolf Bibl (1832-1902) hat einen orchestralen Charakter. Schöne Legatobogen im zweiten Satz erzählen von der Lebenslust der Romantiker. Der dritte Satz erfordert viel Werkkenntnis. Unbegründet war übrigens Blums eingangs geäußerte Befürchtung, dass die Zuhörer die gemäßigt moderne „Sonate Nr. 2“ von Paul Hindemith (1895-1963) ablehnen könnten. Der lebhafte Anfang erinnert an die Stummfilmzeit, als die Bilder laufen lernten. Die Orgel klingt wie ein begleitendes Klavier: mechanische, abgehackte Töne purzeln fast übereinander. Der komplexe Mittelsatz versprüht Abgeklärtheit, und der Schlusssatz hat etwas Kapriziöses.
Das letzte Werk ist eine Improvisation von Dieter Blum. Basslastig beginnt der Kantor mit hupenartig klingendem Pedalspiel. Dann erkennt der Kirchengänger ganz entfernt die Melodie von „Christi Mutter stand mit Schmerzen“ und staunt, wie sich der Organist mit einem an die Pink-Panther-Melodie erinnernden Rhythmus wieder herausschleicht. Über einen gleichbleibenden Grundton kehrt die Liedmelodie in hellen Flötenstimmen zurück, erklingt mystisch versponnen und verschwindet wieder in rasanten Rhythmusspielen. Ornamental verziert er das Lied mit sprudelnden Triolen und lässt die Improvisation zum Schluss behutsam ausklingen. Eine beglückende Stille macht sich breit, bevor die viel zu wenigen, rund 60 Zuhörer, stehend applaudieren.