Gleich ist sie rum, die Faschingszeit – und die Fastenzeit beginnt. Gerade in Franken gehört zu einer ordentlichen Faschingsparty der Schoppen, oder auch zwei oder drei. Deshalb haben Kathrin (54) und Michael Kilian (54) gerade viel zu tun: Die Winzerfamilie aus Güntersleben hat erst bei der Oldie Night in Münnerstadt ihre Lieferung abgegeben, die Weinkneipe Angerwein in Mürscht braucht Nachschub, der Aero Club Bad Neustadt und Getränke Dünisch in Münnerstadt auch. Was eigentlich ein Heimspiel ist, denn Kathrin Kilian kommt aus Münnerstadt.
Ein bisschen Anarchie
Als sie vor 27 Jahren ihren Michl heiratete, wusste sie noch nicht, dass sie künftig die Arbeit im Weinberg und die Weine lieben würde. Sie wusste auch noch nicht, dass die Weine Preise abräumen würden. Und sie wusste nicht, dass ihr Mann Michael Kilian auch noch ein preisgekrönter Whisky-Brenner werden würde.
Doch sie hätte es ahnen können. Denn der Michl, wie ihn alle nennen, besteht aus Kreativität gepaart mit Biss und Optimismus – „und ä bissle Anarchie“, das sagt er in breitem Fränkisch.
Eine Beinamputation warf ihn nicht aus dem Gleichgewicht
Eine Geschichte über einen Mann, den selbst eine Beinamputation weder von der schweren Weinbergsarbeit noch an der Teilnahme von Extremwettläufen abhält. Und der das pure Glück dabei erlebt, frühmorgens den ersten Whisky-Brand anzusetzen – während draußen an der Brennerei die Fasane vorbeilaufen.
Hineingeboren wurde Michael Kilian 1970 in eine Landwirtsfamilie in Güntersleben bei Würzburg. Die Eltern hatten eine Bullen- und Schweinemast, der Junge machte zunächst eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz in Oerlenbach, anschließend heuerte er bei der Bundesbahn an – und machte 1995 die Winzerausbildung. Er übernahm den Hof und konzentrierte sich auf die Reben.

In diese Zeit fällt das erste Treffen mit Kathrin, damals noch Kathrin Anger aus Münnerstadt. Die beiden verliebten sich, Kathrin zog nach Güntersleben – und mit Michl an einem Strang. So bauten sie das Weinhaus Kilian aus, zogen ihre Töchter Klara und Ellen groß. „Gegen die drei Frauen im Haus helfen mir die drei Rüden Bacchus, Camillo und Herr Grabowski“, sagt Michael Kilian lachend und streicht den riesigen Hunden – ein Broholmer, ein Broholmer-Mix und ein Schäferhund – über die großen Schädel.
Michael Kilians Leben nach dem Unfall
Im Jahr 2003 dann der Unfall: Michael Kilian stand hinter seinem Hänger, belud ihn gerade, die Sonne schien ihm ins Gesicht – und leider auch einem Autofahrer, der die Situation durch die Blendung nicht erkannte. Er fuhr auf den Hänger auf, Michaels Bein war zwischen Hänger und Stoßstange eingeklemmt. Das Bein war nicht mehr zu retten, es musste amputiert werden.

Was dem Betrachter nachhaltig auffällt: Michael Kilian ist ein durch und durch positiv gestimmter Mensch, er lacht viel, reißt Witze, kann ganze Runden unterhalten. „So ist er einfach“, sagt Kathrin Kilian. Und mit seiner grundpositiven Einstellung und vereinter Hilfe – die Mädchen waren damals noch klein – ging es für die Familie auch nach der Katastrophe weiter.
Die Prothese, die einen Unterschenkel ersetzt, ist ein Teil von ihm geworden. So sehr, dass er wiederholt beim Braveheartbattle, einem sehr anstrengenden Hindernislauf, teilnahm, als der noch in Münnerstadt ausgetragen wurde.

Auch im Weinbau ging es weiter. Silvaner, Müller-Thurgau, Bacchus, Kerner, Domina, Riesling, Dornfelder, Alte Rebe – die Trink- und Kabinettweine der Familie räumen mittlerweile Preise ab. „Unser Angeber-Wein ist der Eiswein im Bocksbeutel.“ Kein Wunder: Denn der erhielt auf der Frankfurter International Trophy unter 2500 Weinen aus der ganzen Welt das „Große Gold“ als am besten bewerteter Wein der Trophy.
2022 wurden Bacchus, Kerner und Silvaner mit Gold ausgezeichnet, die Domina Spätlese holte 2019 und 2023 Silber.

2003 ließ sich Michl Kilian zum „Gästeführer Weinerlebnis“ ausbilden, was heißt, dass er mit Menschen in den Weinberg und in den Weinkeller geht und sein Wissen rund um die Traube und deren Kultur in Franken teilt. „In Franken wurden um 1600 herum rund 40.000 Hektar für den Weinbau genutzt, auch im Münnerstädter Maital sind heute noch die Weinbergsmauern erkennbar“, erzählt er.
In Münnerstadt wurde ziemlich viel Wein getrunken
Damals wurde der Wein in „Fuder“ gemessen, ein Fuder waren rund 1000 Liter. „Da das Wasser verunreinigt sein könnte, tranken die Menschen Wein – in Mürscht sogar ziemlich viel“, erklärt er. Denn: Die Weinbauern mussten den Zehnt, also ein Zehntel ihres Ertrags, an die Stadt abgeben. „Und das waren in Münnerstadt dann ordentliche 120 Fuder.“

In Sachen Wein sind die Kilians also schon längst Profis. Was nun? „Da hab ich mir gedachd, du könnst ja amol en Whisky probier.“
Michl Kilian machte die Ausbildung zum Brenner und besorgte sich 2014 eine Brennanlage nebst Brennrecht und fuchste sich ins neue Themenfeld ein: Statt um die Rebe ging es um Getreide, Enzyme, Spelze, Stärke und Zucker, die richtige Temperatur, das richtige Malz und den Rauch von Wacholder oder Buchenholz. „Vielleicht“, witzelt er, „war ich zu oft beim Bravenheartbattle oder beim Wettkampf Tough Guy und habe zu oft den Film Highlander gesehen“, sein Herz brannte jetzt auch für den Whisky.
„Beim ersten Whisky war ich völlig unerfahren, auch sensorisch“, sagt er. Heißt: Er musste auch erst lernen, wie ein guter oder ein sehr guter Whisky schmecken muss.

Und der wird nur so gut wie das Fass, in dem er Jahre lang reifen kann. „80 Prozent der Aromen kommen vom Fass“, erklärt er. So probierte er aus: Whisky im Rotweinfass, im Weißweinfass oder im Bourbon Barrel, also im gebrauchten Bourbon Fass. „Eigentlich“, sagt er, „ist es ein Hobby mit ein bisschen Arbeit. Und ein bisschen Anarchie und Meditation, denn das Herumprobieren entspannt mich sehr.“

Dass diese Form der Entspannung nun auch medaillengekrönt ist, macht die Familie glücklich. „Kilian's Whiskys“ haben mittlerweile Bronze und Silber beim 2025 World Whisky Award geholt. Und 2020 gab es Gold bei „Bayern Brand“ für den Double Oak. Michael Kilian erhielt sogar Preise für einen Whisky, den er komplett vergessen hat: Das Fässchen lag ganz hinten im Fasslager. Als die Familie durch Zufall darauf stieß, durfte der Single Malt schon satte sieben Jahre vor sich hin reifen.
Mit Erfolg: Als sie diesen Whisky, den „Lost Barrel (Verlorenes Fass) Single Malt Whisky No 1“ bei der Frankfurt International Trophy einreichten, holte dieses Single Malt Whisky 2024 Gold und war bester seiner Kategorie.
Im Logo ist das „L“ eine Prothese
Mit welchem Witz Kilian an die Sache herangeht, zeigt, wie er mit seinem Handicap umgeht: Im Logo der Whiskys ist das L in Kilian durch eine Bein- und Fußprothese ersetzt. Also unverwechselbar wie der Brenner selbst.
Was steht als Nächstes an, Michl Kilian? „Was ich mir vorstellen könnte: Obstbrände aus alten oder regionalen Sorten. Zum Beispiel mit dem Mürschter Apfel, einer regionalen Sorte.“ Ach ja, „Gästeführer Streuobstwiese“ ist er ja auch noch. „Hier in Güntersleben haben wir so schon den Säubirnli-Schnaps gebrannt. Säubirnli sind wilde Birnen, die die Schweine früher in den Ackerhecken fanden und gefressen haben. Der Schnaps ist heute eine unverwechselbare, regionale Delikatesse – so was würde Mürscht auch guttun.“ Na dann!

