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BAD KISSINGEN: Psychotherapeut Galuska: „Wachen wir doch mal auf!“

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Psychotherapeut Galuska: „Wachen wir doch mal auf!“

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    Der Ärztliche Direktor der Heiligenfeld Kliniken, Dr. Joachim Galuska
    Der Ärztliche Direktor der Heiligenfeld Kliniken, Dr. Joachim Galuska Foto: Akademie Heiligenfeld

    Im Jahr 2010 starteten über 20 leitende Ärzte der Psychosomatik die Initiative „Aufruf zur psychosozialen Lage in Deutschland“. Die Resonanz sei hoch gewesen, sagt Dr. Joachim Galuska: Rund 4200 Fachleute hatten sie befürwortet. Jetzt ruft der Geschäftsführer und Gesellschafter der Heiligenfeld Kliniken und der Akademie Heiligenfeld in Bad Kissingen mit Kollegen erneut auf. Vor sechs Jahren wurde die Aufmerksamkeit auf die Missstände in der Gesellschaft gelenkt – nun auf das Besondere des Lebens. Aktuell lautet der „Weckruf“ der Mediziner: „Aufruf zum Leben“ beziehungsweise „Es ist Zeit!“ Der Appell hat 24 Erstunterzeichner, 1600 Personen sind diesem Aufruf bereits gefolgt, sagt Joachim Galuska.

    Frage: Herr Galuska, warum ist es nach sechs Jahren Zeit für einen weiteren Aufruf?

    Joachim Galuska: Vor sechs Jahren haben wir, leitende Ärzte der Psychosomatik, festgestellt, dass das Ausmaß an psychosozialer Belastung in der Bevölkerung enorm hoch ist. Unsere Analysen haben ergeben, dass dies in allen Sektoren der Gesellschaft und in allen Altersgruppen der Fall war und über die Jahre sogar noch zugenommen hat. Erkannt haben wir dies aufgrund des Behandlungsdrucks in unseren jeweiligen Kliniken. Auch die Versorgungsangebote bei den niedergelassenen Kollegen sind in die Höhe geschnellt. Ein weiterer Punkt waren die vielen Krankschreibungen und vorzeitigen Verrentungen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil.

    Welche konkreten Schlüsse haben Sie und die anderen Ärzte gezogen?

    Galuska: Wir haben erkannt, dass die hohe psychosoziale Belastung selbst durch ein gutes Versorgungssystem gar nicht mehr aufzufangen ist. Wir müssten uns vielmehr gesamtgesellschaftlich Gedanken machen, woran das liegt: Wie wir miteinander umgehen. Wie wir mit uns selbst umgehen. Und wie wir mit unserer Seele umgehen. Deshalb haben wir wieder einen Aufruf gestartet.

    Hat der Aufruf von damals zu wenig bewirkt?

    Galuska: Der Aufruf von 2010 sollte eine Art Weckruf sein zum Gespräch, zum Dialog in der Gesellschaft. Wir wollten damit kein politisches Signal senden und auch keine Schuldigen suchen. Wir wollten anregen über dieses Thema nachzudenken, damit nicht dauernd seelisches Leid produziert wird. Der Aufruf von 2010 hatte sicherlich eine gewisse Wirkung in der Gesellschaft, vor allem in der Diskussion um das Thema Burnout.

    Der Begriff „Burnout“ ist seither sozusagen gesellschaftsfähig geworden.

    Galuska: Für uns war das ein Erfolg, weil wir gesagt haben: Egal, wie man zu Burnout steht, ob es das als Diagnose gibt oder nicht, über den Begriff bietet sich auch die Möglichkeit über die seelische Belastung von Menschen zu reden – am Arbeitsplatz wie in der Familie.

    Wie sehen Sie den Begriff „Burnout“?

    Galuska: Ich halte Burnout eher für einen Prozess der Erschöpfung. Burnout ist eher ein weicher Begriff dafür. Aber das Bild des Ausbrennens ist populär.

    Nun rufen Sie und Ihre Kollegen zum Leben auf. Warum?

    Galuska: Bei unseren regelmäßigen Treffen reden wir auch über politisch-gesellschaftliche Dinge, die im Zusammenhang mit Psychosomatik stehen. Dabei wurde uns klar: Die Anzahl der Krankheitstage durch eine seelische Erkrankung ist weiter gestiegen, ebenso die Anzahl der vorzeitigen Verrentungen – fast genauso stark wie damals vor unserem Aufruf. Insgesamt hat also die seelische Belastung der Bevölkerung noch weiter zugenommen. Deshalb haben wir uns gesagt: Man redet zwar darüber. Aber der gesellschaftliche Druck und die mangelnde soziale Stützung und Einbettung haben weiterhin ihre negativen Wirkungen. Wir sollten noch einmal Stellung nehmen.

    Mit welcher Zielsetzung?

    Galuska: Wir haben uns entschieden, dieses Mal nicht nur wie damals das Ausmaß des Leidens darzustellen und unsere Betroffenheit darüber auszudrücken. Wir wollen auch ein positives Signal senden. Denn wir haben festgestellt, dass der damalige Aufruf sehr viel negative Rückmeldungen erhielt im Sinne von: Das sieht ja alles ganz furchtbar aus in der Gesellschaft. Das war nicht unberechtigt, aber einseitig. Deshalb sagen wir jetzt. Die Gesellschaft hat zwar weiterhin ein Problem – unsere Seele – aber wir haben auch ein großes Potenzial in uns.

    Inwiefern?

    Galuska: Wir haben große Stärken. Man kann an vielen Stellen sehen, dass sich Dinge bewegen, dass Alternativen entstehen, dass Hoffnung da ist. Es entwickeln sich Resilienz-Modelle. Es gibt Schulen, in denen neue pädagogische Formen umsetzt werden. Es gibt in der Medizin eine Bewegung, die neben der technischen Seite zu mehr Humanisierung führen will. Überall findet man Gutes. Und was ist das Verbindende? Das könnte eine Lebensbejahung sein. Unsere Seele, unser Herz sozusagen. Unsere Seele steht dem Leben freudig und freundlich gegenüber. Sie liebt das Leben. Es macht sicher Sinn, sich einerseits darauf zu besinnen, dass wir Menschen leiden und dass wir etwas dagegen tun müssen. Aber wir tragen auch die Möglichkeiten in uns, glücklich und kreativ zu sein. Wir können Alternativen herstellen. Beides ist in uns angelegt.

    Lässt sich unser Leben so einfach „umpolen“?

    Galuska: Wir leben in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels, der dramatisch ist. Unser Leben ist bestimmt von einer hohen Intensität und Geschwindigkeit. Wir sollten jedoch innehalten und uns darauf besinnen, wer wir sind, was es überhaupt heißt Mensch zu sein, was uns unser Leben bedeutet, was die Evolution in jedem von uns investiert hat – an Millionen von Jahren von Entwicklung, wie hoch komplex so ein Lebewesen wie Sie und ich ist und jeder der existiert. Was machen wir daraus? Leben wir das wirklich? Nehmen wir dieses, wie wir geworden sind, an? Oder verschwenden wir das, indem wir uns zumüllen mit irgendwelchen Informationen oder in dem wir hinter Dingen herlaufen, die uns gar nicht glücklich machen? In dem wir andere Leute schädigen, weil wir für unseren eigenen Vorteil etwas erreichen wollen? Wir sind doch eigentlich ein großes Wunder.

    Der „Aufruf zum Leben“ möchte also eine Bewusstseinsveränderung bewirken, damit wir dieses Wunder wahrnehmen.

    Galuska: Wir brauchen mehr Respekt und Fürsorge für die seelische Dimension unseres Daseins. Unser Leben ist ein enormer Schatz. Allein dieses Wort ruft schon Bilder und Gefühle hervor, die in eine andere Richtung gehen. Ich glaube, in dieser Zeit, in der wir leben, in der unglaublich viel Spannung , Stimulation, Information, Geschwindigkeit, Zerfall, Anregung ist, sollten wir uns darauf besinnen: Was wollen wir eigentlich? Wie wollen wir in die Welt kommen? Wie wollen wir aufwachsen, lernen, arbeiten? Wie wollen wir alt werden? Wie wollen sterben? Mit dem Aufruf will ich dazu anregen, dass wir darüber nachdenken, welche Größe das Leben eigentlich darstellt. Wir sollten das Leben, das uns geschenkt wurde, ernst nehmen und in Würde miteinander leben. Würde heißt, das Leben wertzuschätzen. Im Kleinen wie im Großen.

    Im Kleinen?

    Galuska: Im Kleinen bedeutet das, den Augenblick wert zu schätzen und zu lernen, ihm auch Zeit zu geben. Innehalten. Den Moment vergegenwärtigen. Was passiert gerade? Wie gehen wir gerade miteinander um? In welcher Situation befinde ich mich gerade? So wachen wir vielleicht auf und schätzen diesen Moment. Das kann man immer machen, dieses Aufwachen, etwa auf dem Weg zur Arbeit. Vielleicht entdecke ich eine Blume, die Wolken am Himmel, spüre mich selber, führe ein nettes Gespräch – und mache mir bewusst, dass dies ein wertvoller Moment meines Lebens ist. Oder ich zelebriere am Wochenende bewusst meine Partnerschaft. Meist besteht jedoch unser Leben aus gedankenloser Routine – ohne präsent zu sein in unserer Lebendigkeit.

    Und im Großen?

    Galuska: Im Großen bedeutet das zum Beispiel für mich als Unternehmer: Ich kann mir Gedanken machen, wie ich ein Unternehmen gestalte, dass es ein lebenswerter Ort ist, dass Menschen, die hier arbeiten, auf eine lebensbejahende und freundliche Art und Weise behandelt werden. Oft gehen die Gedanken jedoch in die andere Richtung. Etwa: Wie kann ich am meisten Geld aus der Firma ziehen? Das ist ja der Klassiker, wenn ich das rein marktwirtschaftlich betrachte.

    Der Aufruf zum Leben ist also ein Aufruf für das Schöne im Leben – trotz all der unschönen Dinge um uns herum?

    Galuska: Meine Kollegen und ich, die wir täglich mit Menschen und ihren seelischen Belastungen zu tun haben, möchten dazu aufrufen: Wachen wir doch mal auf für unser Leben! Wir wollen nicht nur sagen: Es ist alles so furchtbar, wir Menschen haben den Kontakt zu unserer Seele verloren. Das ist sicher in vielen Fällen so. Und das ist auch furchtbar. Deshalb müssen wir etwas tun, gesellschaftlich und individuell. Wir wollen vielmehr auch darauf aufmerksam machen: Es ist wundervoll, was in uns ist. Dafür können wir dankbar sein. Wir können jeden Abend ins Bett gehen und mal kurz darüber nachdenken, worüber ich dankbar bin, was ich an diesem Tag Schönes erlebt habe. Und mir etwas vornehmen, damit der nächste Tag ein Tag meines Leben sein wird. Er wird vielleicht auch ein Tag meines Leidens sein. Aber auf beides kann ich schauen. Das ist unser Anliegen.

    Der „Aufruf zum Leben“ steht im Internet unter:

    www.aufruf-zum-leben.de

    Dr. Joachim Galuska

    Der 61-jährige Mediziner ist seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie tätig. Er entwickelte in den 80er Jahren ein eigenständiges Klinikkonzept, das die Ganzheitlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt rückt und die Spiritualität einbezieht. Mit dem Hotelier Fritz Lang setzte er sein Konzept ab 1990 in Bad Kissingen um: Galuska ist Ärztlicher Direktor und Mitbetreiber der Heiligenfeld Kliniken für Psychosomatische Medizin.

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