Von Wildflecken nach Kiew fährt man mit dem Auto 1788 Kilometer, eine knapp 19-stündige Tour. Doch in der Rhön-Kaserne ist die ukrainische Hauptstadt ganz nah.
Der mittlerweile schon drei Jahre andauernde Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird hier immer wieder analysiert. Die Männer und Frauen des 145-köpfigen Gefechtssimulationszentrums Heer üben den Krieg. Nicht mit Panzern und Gewehren, sondern per Mausklick am Rechner.
Training für Großverbände
Auf der Internetseite der Bundeswehr wird die Funktion des Wildfleckener Ausbildungszentrums erklärt: „Die verschiedenen Simulationsmodelle am Computer bieten Großverbänden, national und multinational, die Möglichkeit, realitätsnah, kostengünstig und umweltschonend zu üben.“
Oberst Ralf Broszinski war zweieinhalb Jahre Leiter dieser Einrichtung. Die Position in Wildflecken war ein Höhepunkt und gleichzeitig letzte Funktion seiner fast 44-jährigen Bundeswehrlaufbahn. „Es war etwas ganz Besonderes für mich und ein guter Abschluss“, fasst er seine Zeit in Wildflecken zusammen.

Mehrere Auslandseinsätze
Broszinski trat 1981 beim Pionierbataillon 12 in Volkach in die Bundeswehr ein. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens war er von 1986 bis 1990 stellvertretender Kompaniechef in Hammelburg. Es folgten verschiedene Positionen als Bataillonskommandeur und mehrere Auslandseinsätze im Kosovo, Bosnien und Afghanistan.
Bevor er im September 2022 die Leitung des Gefechtssimulationszentrums in Wildflecken übernahm, war Broszinski drei Jahre lang Kommandeur der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr in Hannover.

„Kriegsverbrecher Putin“
Vor den angetretenen Soldatinnen und Soldaten sowie zahlreichen Gästen aus Militär, Politik und Wirtschaft richtet Oberst Broszinski das Wort an zwei ukrainische Offiziere: „Sie müssen alles dafür tun, dass der Kriegsverbrecher Putin nicht durchkommt. Wir stehen dabei an Ihrer Seite.“
Die Ukrainer nicken zustimmend und wissen genau, wie wichtig dieses Zentrum in Wildflecken für ihren Freiheitskampf ist. Mehr als 3300 Soldaten ihrer Armee wurden bisher in der Rhön-Kaserne ausgebildet. So konnten sie anhand von Computermodellen wertvolle Erkenntnisse über Truppenführung und Taktik gewinnen.

Von Wildflecken an die Front
Viele Ukrainer kamen direkt von der Front nach Wildflecken oder wurden nach der Ausbildung in den Kampf geschickt. „Leider sind einige von ihnen nicht mehr am Leben“, sagt ein Offizier nach dem Appell. Man merkt ihm an, dass ihm der Tod dieser Soldaten nahegeht. Vermutlich hat er einige von ihnen persönlich gekannt. So fühlt sich der Krieg an, auch in Unterfranken.
Übergabe der Fahne
Brigadegeneral Heinz Josef Feldmann tritt ans Mikrofon. Er ist „Kommandeur Zentrale Ausbildungseinrichtungen des Heeres“ und damit auch für die Einrichtung in Wildflecken verantwortlich. „Die Unterstützung der Ukraine hat mit Ihnen ein Gesicht bekommen“, sagt er zum scheidenden Oberst, der seine Karriere am 31. März beendet.

Dann wird die Fahne an den neuen Leiter übergeben: Oberst Christian Gnerlich. Der gebürtige Berchtesgadener ist seit 36 Jahren bei der Bundeswehr und lebt schon seit längerer Zeit in Hammelburg.
Gnerlich studierte Sportwissenschaften und war unter anderem Kommandeur des Panzerbataillons 104 in der Oberpfalz. Während seiner Laufbahn war er auch in Berlin, Leipzig, Ulm und Koblenz stationiert. Außerdem absolvierte er Auslandseinsätze im Kosovo, in Afghanistan und im Baltikum.

Heeresmusikkorps Veitshöchheim
Das Heeresmusikkorps Veitshöchheim unter Leitung von Hauptmann Wolfgang Dietrich spielt das Bayernlied und die Deutsche Nationalhymne. Fast alle singen mit. Das ist Tradition bei der Bundeswehr. Auch eine Geste, mit der die Truppe ihre Kommandeure verabschiedet.

Ein Transport-Panzer erscheint brummend auf dem Appell-Platz, der Oberst und seine Ehefrau steigen ein. Zum letzten Mal fährt Broszinski salutierend an Soldaten und Gästen vorbei.
Gulaschsuppe und Worte des Dankes
In einer sogenannten Leichtbauhalle gibt es anschließend Gulaschsuppe und Getränke. Und eine berührende Rede der beiden ukrainischen Offiziere.

Eine Frau übersetzt: „Die hier ausgebildeten Soldaten schützen das Leben ihrer Kameraden und der Zivilbevölkerung in der Ukraine.“ Sie bedanken sich bei „der Bundesrepublik und dem deutschen Volk für die lebenswichtige Unterstützung“.

Ukrainische Medaille
Dann überreichen sie Oberst Ralf Broszinski zwei Geschenke: die kleine Statue eines ukrainischen Soldaten und eine Medaille ihrer Streitkräfte. Auf der Rückseite steht übersetzt: „Die Grausamkeit wird niemals den Willen der freien Menschen unterdrücken.“ Das ist keine Übung, sondern bittere Realität.
