Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bad Kissingen
Icon Pfeil nach unten
Münnerstadt
Icon Pfeil nach unten

Maßbach: Sabine Dittmar zu Corona und Grippe: "Eine Katastrophe, wenn die Welle so auf uns zukommen sollte"

Maßbach

Sabine Dittmar zu Corona und Grippe: "Eine Katastrophe, wenn die Welle so auf uns zukommen sollte"

    • |
    • |
    Wie geht es weiter mit Corona? Sabine Dittmar, Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, spricht im Interview die Auslastung der Impfzentren und über die möglichen Entwicklungen im Herbst. 
    Wie geht es weiter mit Corona? Sabine Dittmar, Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, spricht im Interview die Auslastung der Impfzentren und über die möglichen Entwicklungen im Herbst.  Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Die Impfzentren sind leer, die Arztpraxen voll - und die Corona-Inzidenzen steigen. Doch die Schutzmaßnahmen werden reduziert. Warum das so ist, wie sie Auslastung der Impfzentren steigern will und welche Befürchtungen sie für die nächsten Monate hat, erklärt die SPD-Politikerin und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen), im Interview. 

    Frage: Die Corona-Welle rollt. Seit Ende Juni sind die Bürgertestungen nicht mehr kostenlos. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass sich nun noch weniger Menschen testen lassen?

    Sabine Dittmar: Nachdem Testergebnisse für 2- oder 3G-Regelungen nicht mehr vorgelegt werden müssen, ist das Testaufkommen bereits deutlich zurückgegangen. Es war eine Frage der Kosten. Wir haben in einem Jahr über 14 Milliarden Euro für die Tests ausgegeben. Der Expertenrat, das Gremium, das die Bundesregierung berät, hat gesagt, dass die anlasslosen Testungen uns in dieser Phase der Pandemie nicht weiterhelfen.

    Sind die Tests nicht sinnvoll?

    Dittmar: Für einen persönlich schon, aber nicht für die Pandemiekontrolle in diesem Stadium der Pandemie. Deswegen haben wir uns darauf beschränkt, nun vor allem vulnerable Gruppen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern zu schützen. Da geht es aber nicht nur um Bewohner und Patienten, sondern auch um das Personal und Besucher. Darüber hinaus werden Tests ja trotzdem vergünstigt angeboten, wenn zum Beispiel bei Veranstaltungen viele Menschen zusammenkommen.

    Die Inzidenzwerte sind bereits hoch, die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Verlieren Sie dadurch nicht noch mehr den Überblick über das Corona-Geschehen?

    Dittmar: Ich schaue mir die Zahlen sehr genau an. Sowohl Hospitalisierungsrate als auch Intensivbettenbelegung steigen leicht an. Daneben haben wir ein Meldesystem, das die Inanspruchnahme der Arztpraxen im Blick hat. Diese Belastung des Gesundheitssystems ist eigentlich der Parameter, um zu sehen, wie man auf die Infektionszahlen reagieren muss. Die bloße Inzidenz würde ich nicht mehr als einzigen Wert herannehmen.

    Die vom Robert Koch-Institut (RKI) gemeldete Sieben-Tage-Inzidenz spielt also keine Rolle mehr?

    Dittmar: Doch, aber zusammen mit den genannten Parametern Hospitalisierung, Intensivbelegung. Wichtig ist es nach wie vor, Infektionen zu vermeiden. Denn jede Infektion – ob leichter oder schwerer Verlauf – kann Long Covid auslösen. Hohe Inzidenzen mit entsprechenden Spätfolgen sind nicht nur für das Gesundheitswesen eine Herausforderung, sondern auch für die Wirtschaft und sozialen Sicherungssysteme. 

    Sie sind also gegen eine Durchseuchung im Sommer?

    Dittmar: Ja, weil wir das Krankheitsbild immer noch zu wenig kennen. Es gibt Menschen mit schwerer Corona-Erkrankung, die danach wieder fit sind und es gibt Menschen, die fast keine Symptome haben und Long Covid entwickeln. Es gibt auch Fälle, die gar nicht wussten, dass sie eine Corona-Infektion hatten und auf einmal diese kognitiven Einschränkungen wie Schlappheit und Müdigkeit haben.

    Passt es dann zusammen, dass die Sommerwelle rollt und gleichzeitig die Maßnahmen heruntergeschraubt werden?

    Dittmar: Ich würde mir wünschen, dass bei den Maßnahmen nicht nur auf Eigenverantwortung gesetzt wird, sondern dass bei einer entsprechenden Infektionsdynamik gestufte Maßnahmen von der Maskenpflicht bis zu Hygienekonzepten rechtssicher angeordnet werden können. Im Moment haben wir aufgrund des Infektionsschutzgesetzes leider nur die Möglichkeit, an Verhaltensweisen zu appellieren. Weitergehende Maßnahmen könnte man nur anordnen, wenn die Welle so heftig wäre, dass eine Region zum Hotspot ausgerufen wird. Im Moment arbeiten wir an einer Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes. Ziel ist es, den Ländern ein rechtssicheres Agieren zu ermöglichen.

    Die Parlamentarische Staatssekretärin und ihr Minister: Sabine Dittmar und Karl Lauterbach (beide SPD).
    Die Parlamentarische Staatssekretärin und ihr Minister: Sabine Dittmar und Karl Lauterbach (beide SPD). Foto: BMG/Thomas Ecke (Archiv)

    Was kann man tun, um sich zu schützen?

    Dittmar: Maske tragen, Abstand halten und den Impfschutz überprüfen. Ich persönlich empfehle auch die vierte Impfung – für Ältere und Bewohner in Pflegeheimen sowieso, aber auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen, zu denen auch Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes gehören.

    Viele Menschen befürchten, dass sich der Herbst 2022 in puncto Infektionsgeschehen und Lockdown nicht von den beiden vorangegangenen Jahren unterscheiden wird. Steuern wir auf einen "Horror-Herbst" zu oder sind wir vorbereitet?

    Dittmar: Das kann ich Ihnen nicht klar beantworten. Sicher ist, dass wir mit allen Mitteln Schul- und Kitaschließungen oder einen kompletten Lockdown verhindern wollen. Da bin ich auch zuversichtlich, da wir in der Bevölkerung bereits eine hohe Grundimmunität und somit einen guten Schutz haben. Aktuell wird in der Fachwelt diskutiert, was mit dem Influenzavirus, also der Grippe, passiert. In Australien erleben wir sehr schwere und auch heftige Verläufe. Erfahrungsgemäß schwappt das auf uns über.

    Also kann neben Corona auch die Grippe zum Problem werden?

    Dittmar: Man weiß nicht, was passiert. Kombiniert sich das? Oder kommt erst Corona und dann die Grippewelle? Und was bedeutet das für unser Gesundheitssystem? Was wir daher in jedem Fall brauchen, sind die Instrumente, um angemessen reagieren zu können. Ich halte es für einen Fehler, diese erst zu schaffen, wenn die Situation eingetreten ist. Ich hätte den Instrumentenkasten gerne vorbereitet. Daran arbeiten wir gerade sehr intensiv.

    Es ist bereits Juli. Wäre nicht ein Instrument gewesen, jetzt vor dem Herbst eine Empfehlung für eine vierte Impfung für alle auszusprechen?

    Dittmar: Impfempfehlungen werden ja nicht von der Politik gegeben, sondern von der Ständigen Impfkommission (Stiko) – und diese betrachtet von ihrer Grundausrichtung nur den individuellen Nutzen, aber nicht das pandemische Geschehen. Das finde ich schwierig. Ich selbst impfe jeden, der eine vierte Impfung will. Aber was ich immer wieder höre, ist, dass sich unsere Impfzentren an die Stiko-Empfehlung halten und beispielsweise 60-Jährige weggeschickt werden.

    Sabine Dittmar kämpft nicht nur als Parlamentarische Staatssekretärin gegen die Pandemie, als Medizinerin impft sie auch gegen Corona.
    Sabine Dittmar kämpft nicht nur als Parlamentarische Staatssekretärin gegen die Pandemie, als Medizinerin impft sie auch gegen Corona. Foto: Marco Heumann (Archiv)

    Trägt so eine Ablehnung am Impfzentrum aber nicht zur weiteren Belastung der Hausärzte bei?

    Dittmar: Es ist ja eigentlich die Aufgabe der Hausärzte zu impfen. Der Hausärzteverband sagt ja auch, dass wir die Impfzentren nicht mehr brauchen, sondern die niedergelassenen Ärzte das alleine bewältigen können.

    Wer das sagt, soll mal probieren, einen Termin beim Hausarzt zu bekommen.

    Dittmar: Ich gebe nur das weiter, was die offizielle Seite sagt. Ich glaube schon, dass wir die Impfzentren brauchen. Und es ist natürlich eine spannende Frage, ob wir nicht deren Aufgabengebiet sogar erweitern sollten, damit sie im Herbst die Grippeimpfung mitanbieten können.

    Sie schlagen vor, dass in den Corona-Impfzentren auch gegen Grippe geimpft werden soll?

    Dittmar: Man darf ja parallel impfen, und ich würde das sehr empfehlen. Es macht Sinn, in einen Arm die Corona-Impfung zu bekommen und in den anderen die Grippe-Impfung. Wir haben bei der Grippe bei den über 60-Jährigen Impfraten von nicht einmal 40 Prozent – das ist eine Katastrophe, wenn die Welle so auf uns zukommen sollte, wie es die südliche Halbkugel erwarten lässt.

    Wären die Impfzentren für solch einen doppelten Impfauftrag überhaupt aufgestellt?

    Dittmar: Wir haben in der Impfverordnung geregelt, dass sie bis zum Jahresende finanziert sind. Kapazitäten werden teilweise zurückgefahren, können aber wieder hochgefahren werden. Wir haben als Bund nur die Finanzierungszusage gemacht, aber wie das vor Ort organisiert wird, ist wieder Ländersache. Die Öffnungszeiten bei aktuell eher geringer Inanspruchnahme herunterzufahren, finde ich sinnvoll, weil das Personal dort ja nicht seine Zeit absitzen muss. Das kostet alles Geld. Aber ich bin überzeugt, dass wir die Infrastruktur ab September wieder verstärkt brauchen. Und dann wäre es doch Quatsch, sich gegen Corona im Impfzentrum impfen zu lassen und dann zum Hausarzt zur Grippe-Impfung zu gehen.

    Sabine DittmarDie 57-jährige Maßbacherin ist Kinderpflegerin und Medizinerin. Ihr Abitur holte sie 1985 auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte Physik, später Humanmedizin. Dittmar betrieb ab 1995 mit ihrem Mann eine Gemeinschaftspraxis in Maßbach. 1981 trat sie in die SPD ein. Neben verschiedenen kommunalpolitischen Funktionen übernahm sie Aufgaben im SPD-Kreisverband Bad Kissingen und ist dort seit 1990 im Kreistag. 2008 wurde sie in den Landtag, 2013 in den Bundestag gewählt und war dort von 2018 bis 2020 gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 8. Dezember 2021 ist Sabine Dittmar Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit.jsc

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden