Bei Elisabeth Benner in der Rappertstraße kommen um den 20. Juli 1944 düstere Erinnerungen hoch, wenn sie sich dieser Tage die Gedenksendungen anschaut. "Das lebt alles noch in mir", sagt sie im Gespräch mit der MAIN-POST. Adam Kaiser, der Vater der damals Siebenjährigen, wurde von den Nazis in Sippenhaft genommen, weil ihr Onkel Jakob Kaiser als führender Gewerkschafter unmittelbar in Berlin eine tragende Rolle übernommen hatte, erinnert sich Schwiegersohn Winfried Benner heute. Dies sei wohl nicht so bekannt, weil er einer der wenigen Widerständler war, der dem Henkerstod entkam.
Mutig stellten sich die Gewerkschafter von Kaiser, Wilhelm Leuschner bis Max Habermann seinerzeit gehen die Diktatur. In ihnen war die Erkenntnis gereift, dass eine waffenstarrende Diktatur nur durch eine bewaffnete Macht angreifbar sei, und so suchten Jakob Kaiser und seine Freunde den Zugang zu führenden Männern der Wehrmacht.
Bald war auch der Kontakt zu Carl Friedrich Goerdeler hergestellt, dem die tragende politische Rolle nach dem Attentat zufallen sollte. Kaiser avancierte im Widerstand zum führende Sprecher der deutschen Gewerkschaften. Zum engsten Kontaktmann und Freund, so geht heute aus den Unterlagen der Familie Benner hervor, entwickelte sich Generaloberst Freiherr Kurt von Hammerstein.
Nach dem gescheiterten Putsch am 20. Juli 1944 überschlagen sich die Ereignisse. Kaiser flüchtet in Berlin vor seinen Henkern in einen Keller von Freunden im Stadtteil Babelsberg, wo er bis zum 10. Mai 1944 haust. Im Radio hört er von der Hinrichtung seiner Weggefährten und Goerdeler. Jakobs Frau Therese und seine Tochter werden in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo sie später befreit werden.
Unglaubliche Angst herrscht auch bei der Familie von Adam Kaiser in Hammelburg. Er wird bereits einen Tag nach dem Putschversuch als Oberzahlmeister an der Front degradiert und von der Geheimen Staatspolizei in das berüchtigte Berliner Gefängnis Moabit eingeliefert.
"Meine Mutter hat über Nacht graue Haare bekommen", erinnert sich Elisabeth Benner heute. Mit deren zehn Jahre älteren Schwester führte die Mutter nach der Einberufung des Mannes den Buchladen Kaiser (heute Bunter Buchladen). Elisabeth Benner erinnert sich auch noch an die entwürdigende Szene, als ihre Mutter von der Gestapo zum Verhör mitgenommen wurde und zum Umziehen nicht den Raum verlassen dürfte.
Um der Familie Repressalien zu ersparen, ringt Jakob Kaiser in seinem Versteck in Babelsberg mit sich selbst, ob er sich stellen soll. Davon raten ihm seine Freunde ab.
Unterdessen ist der Buchladen in Hammelburg Repressalien der Nazis ausgesetzt. "Schulbücher dürften wir keine mehr verkaufen", erinnert sich Elisabeth Benner.
Trotz aller Drohungen um Leib und Leben schweigt Adam Kaiser in Berlin zur Rolle seines Bruders im Widerstand. Dieser Zusammenhalt in der Familie beeindruckt die Tochter: "Das waren starke Männer damals". Auch sie und ihre drei Geschwister bekamen damals mit, dass ihre Familie nicht systemkonform war.
Mit dazu beigetragen haben dürfte der rabiate Umgang mit den Juden. Die Läden neben der Buchhandlung gehörten vor dem Durchbrechen des nationalsozialistischen Rassenwahn jüdischen Mitbürgern. An manche kritische Äußerungen gegen das System in ihrem Elternhaus kann sich Elisabeth Benner noch erinnern, aber immer mit dem Zusatz "Erzählt das nicht weiter". Das meiste habe man ihr als Kind wohl nicht anvertraut.
Ihr Vater hatte letztlich unheimliches Glück. Nach qualvollen Wochen der Einzelhaft befreiten ihn die Russen einen Tag vor seiner beabsichtigten Erschießung am 25. April 1945 bei der Einnahme der Reichshauptstadt durch die Russen. Von den 5000 Häftlingen der politischen Abteilung des Gefängnisses war Adam Kaiser einer der 45 Insassen, die überlebten.
Zu Fuß kehrte Adam Kaiser damals aus Berlin zurück. Nachdem ihn ein Autofahrer bei Obereschenbach erkannt hatte, lief ihm die Familie entgegen. Auf 50 Kilogramm abgemagert war er durch die Leiden in der Haft, als ihn die Familie glücklich in die Arme schließen konnte.
Adam Kaiser wurde später Landrat des Kreises Hammelburg, sein Bruder Jakob erster Minister für innerdeutsche Fragen.