Im vergangenen Jahr war es ein erstes Experiment gewesen: Das Benefizkonzert für den Kissinger Sommer in der „Wagenburg“ am Staffels. Damals hatten Eugen und Ingeborg Münch, die seit vielen Jahren zu den Sponsoren des Festivals gehören, Intendant Alexander Steinbeis den Vorschlag gemacht, ihr neues Haus, das wirklich ausreichend Platz dafür bot, für ein Benefizkonzert zur Verfügung zu stellen. In die musikalische Ausgestaltung wollten sie sich nicht einmischen.
Also: Carte blanche für den Intendanten. Die Veranstaltung in Gestalt eines Wandelkonzerts im Wintergarten auf dem Dach und in der ausgeräumten Tiefgarage des Hauses wurde auf Anhieb zu einem großen Erfolg – musikalisch, aber vor allem auch finanziell. Da war jetzt eine Wiederholung nur konsequent.
Und nötig und geboten. Denn, so Steinbeis bei der Begrüßung, „der Kissinger Sommer ist nicht ausfinanziert“. Zwar stehe die Stadt hinter ihrem Festival, und sie bekomme viel Unterstützung aus Politik, Wirtschaft, vom Förderverein und privaten Sponsoren. „Aber 2025 geht das Festival in sein 39. Jahr. In dieser Zeit haben sich Traditionen entwickelt, aber immer auch neue Erwartungen. Wir dürfen nicht auf der Stelle treten, sondern wir müssen diese Erwartungen der Gäste auf höchstmöglichem Niveau übertreffen.“ Das erfordere Innovationen, was bedeute, Risiken einzugehen, die eine finanzielle Unterfütterung brauchen. Denn man kann nicht voraussagen, wie das Publikum reagiert – schlimmstenfalls mit Fernbleiben.
Testlauf für eine riskante Innovation
In gewisser Weise war das Benefizkonzert – wie schon beim letzten Mal – ein Testlauf für riskante Innovation – auch wenn sich das Risiko wegen des Charakters der Veranstaltung in sehr engen Grenzen hielt. Denn wer kam, kam nur zu einem Teil wegen der Musik. Mindestens genauso wichtig ist der Gedanke des Sponsorings, und da ist man dann auch bereit, ein bisschen mehr auszuhalten. Wobei Alexander Steinbeis allerdings zwei Besetzungen eingeladen hatte, die so noch nie beim Kissinger Sommer zu hören waren, aber deren Programme bei aller Ernsthaftigkeit auch eine gehörige Portion vergnügliche Unterhaltung versprachen. Aber ob sie im Festivalprogramm so gut gezogen hätten?
Los ging’s im Wintergarten auf dem Dach des Hauses mit einem Kontrabass-Quartett. Klar, dass man da erst einmal an vier Tanzbären im Zirkus denkt. Ist ja auch legitim. Aber Dominik Wagner, Felix Leisner, Todor Markević und José Trigo machten sehr schnell deutlich, dass bei allem Vergnügen – auch für sie – es eine spannende Sache sein kann, mit vier viersaitigen, also gleichen Instrumenten, die sich nur im Timbre unterscheiden, differenzierte und mitreißende Musik zu machen. Wobei der Raum mit seinem knallhart reflektierenden Glasdach und dem dämpfenden Kunstrasenboden beste akustische Verhältnisse beisteuerte. Denn die Klänge nivellierten sich nicht und verschwammen nicht, jedes Instrument war in seiner Charakteristik immer klar zu erkennen.
Lustvolle Rhythmisierung
Das war vor allem wichtig für das erste Werk, die Motette „Locus iste“ für vierstimmigen gemischten Chor a cappella von Anton Bruckner . Denn die strukturelle Transparenz, die im Original durch die vier verschieden hohen Stimmregister erzeugt wird, lässt sich mit vier Kontrabässen nicht darstellen. Hier waren es dafür die ganz klar konturierte Themenbehandlung mit der Heraushebung der jeweils führenden Stimme und eine pointierte Rhythmisierung, die das Werk interessant machten. Die lustvolle Rhythmisierung war natürlich der Punktelieferant bei den (bearbeiteten) drei Sätzen aus Astor Piazzollas „Tango Basso“. Bei den scharfen Rhythmen und federnden Synkopen konnten die vier mal so richtig draufhauen, konnten mit den Bögen ihre Instrumente auch perkussiv einsetzen. Tanzen ließ sich auf diese große Energie freilich nicht.
Als Überraschung entpuppte sich das Largo, der zweite Satz aus Antonín Dvořáks 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Natürlich geht einiges verloren, wenn man ein vollsinfonisches Werk auf vier Kontrabässe reduziert. Aber Dominik Wagner, hier als Bearbeiter, gelang es trotzdem, die Heimwehstimmung des in New York sitzenden „Turbo-Tschechen“ Dvořák hör- und erfahrbar zu machen. Und als nach dem melodisch noch etwas unspezifischen Beginn Wagner plötzlich in den hohen Lagen das berühmte Englischhorn-Thema anstimmte, öffnete sich eine weite, sentimentale Klangwelt.
Unterhaltsa, witzig und erstaunlich melancholisch
Die einzige Originalkomposition waren die „Vier Quartette für vier Kontrabässe“ von Detlev Glanert – sehr unterhaltsam, mitunter witzig, und erstaunlich melodisch. Aber ganz so schwer, wie Dominik Wagner behauptete, waren sie dann doch nicht. Und schließlich zwei Songs, die viele der Besucher kannten: „Bohemian Rhapsody“ von Queen/Freddy Mercury und „The Final Countdown“ von Europe/ Joey Tempest, in denen das Quartett die ganzen Stärken der Besetzung ausspielen konnte und man merkte, wie beweglich diese in Ruhe so behäbig wirkenden Instrumente sein können. Als Zugabe gab’s Schuberts „Erlkönig: noch dramatischer und quälender als das Original“.
Liederabend ohne Gesang
Weiter ging’s in der Garage mit einem „Liederabend“. Allerdings: Gesungen hat niemand. Denn das Trio mit Frederic Belli (Posaune), Johannes Fischer (Perkussion) und Nicolas Rimmer (Klavier) beschränkte sich auf seine wahren Fähigkeiten. Und es wurde eine spannende Sache, weil man die Lieder völlig neu hören konnte. Etwa die sechs Lieder aus Claude Debussys „Ariettes oubliées“ und „Fêtes galantes“. Im gesungenen Original sind sie nicht die fesselnden Knaller. Aber hier war es faszinierend, wie sehr Frederic Belli die Texte in seine Posaune übersetzte, auch wie leise er spielen konnte; und wie Johannes Fischer mit einer höchst faszinierenden Klangwelt die konventionelle Klavierstimme interessant machte. Da entstand wirklich Neues.
Nicht unbedingt Neues, aber Anderes entstand bei den Liedern von Kurt Weill . Etwa bei dem köstlichen „Der Abschiedsbrief“, in dem eine sitzengelassene Lebedame ihren Galan in die Wüste schickt: Voller Arroganz, Kränkung und nicht ganz verglühter Sehnsucht – ein wunderbarer Stoff für alle drei Musiker. Man musste den Text nicht kennen, um zu merken, worum es ging.
Oder wie in „Youkali“, dem Sehnsuchtsort der Prostituierten Marie, die eine Welt der Ehrlichkeit sucht. Eine höchst emotionale Interpretation mit spannenden Klangfarben. Und als Kontrast ein paar Lieder von Tom Waits wie „Swordfishtrombone“, Cemetary Polka“ oder „All the world is green“, in denen das Trio wirklich alle Register der klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten ausreizte und mit einem mitreißenden, die Hörerwartungen immer wieder täuschenden Chaos den Sänger mit seiner knorrigen Stimme – fast – vergessen ließ.
Als Zugabe spielten die drei „August Winds“ von Sting , dieses mal mit Johannes Hofmann als leiser Akkordeonist. Das war ein bisschen schade. Denn mit seinem Perkussionsset hätte er einen spannenderen Beitrag liefern können.
Und dann ging’s noch einmal hinauf in den Wintergarten, wo zur Musik des Würzburger Trios „Red Pack“ bei Speis’ und Trank über das Gehörte diskutiert werden konnte – und vielleicht auch noch der eine oder andere zusätzliche Spendenscheck ausgestellt werden konnte.
