Désirée Nick schillernd zu nennen, wäre eine grobe Untertreibung. Sie ist oder war klassisch ausgebildete Tänzerin, Schauspielerin, Sängerin, Bestseller-Autorin, Reality-TV-Ikone mit Dschungelkrone, bislang ältestes Playboy-Model, vor allem aber Diseuse, also kabarettistische Vortragskünstlerin in der Tradition der 1920er Jahre, und zwar die - angeblich - letzte ihrer Art. Sie selbst sagt von sich, sie sei "mehrere Persönlichkeiten". Als selbsterklärtes "IT-Girl der Geriatrie" dreht sie dem allgegenwärtigen Jugendkult eine lange Nase, aber so alt ist sie mit ihren 67 Jahren nun auch wieder nicht.
Wer also ist dieser glitzernde Paradiesvogel, der da mit Federaura und makellosen Beinen die Bühne des Bad Kissinger Kurtheaters betritt? Das wird auch am Ende dieses Abends beim Kissinger Sommer nicht viel klarer sein, und das ist wohl auch beabsichtigt. Es ist ein permanentes Spiel zwischen demonstrativer Künstlichkeit und geschickt suggerierter Publikumsnähe. In Désirée Nick aber wird sich "La Nick" erst zwei Stunden später zurückverwandeln - und dann auch gerne für Selfies zur Verfügung stehen, wie sie zum Schluss ansagt.
Das ist nicht alles immer gleich witzig, auch nicht wirklich spitzzüngig
Bis dahin aber ist sie die versierte Entertainerin, die ihr Publikum mehrheitlich gesetzteren Alters sofort im Griff hat. Die engagierte und kundige Interpretin der wunderbaren Chansons von Friedrich Hollaender (1896-1976) - von "Die hysterische Ziege" über "Die Kleptomanin" bis zu "Oh Mond" (an Klavier und Cembalo, in Frack und SM-Geschirr: Tilmann Albrecht). Und sie ist die Spötterin, die in ihren Zwischentexten gerne und gezielt die Grenzen der Political Correctness und des angeblichen guten Geschmacks überschreitet.

Das ist nicht alles immer gleich witzig, auch nicht wirklich spitzzüngig, sondern meist eher brachial. Da ist von Filzläusen in Hipsterbärten die Rede, von rasierten Intimzonen, die an "Nacktschnecken" oder "Weißwürste" erinnern, und von echten und unechten "Mumus". Ihre nämlich sei so schön, behauptet sie, "die könnte als Vorlage für jede Geschlechtsumwandlung dienen".
Nie einen Kulturpreis gewonnen
Das Konzept könnte lauten: Erst, wenn wir uns über Minderheiten genauso lustig machen, wie über alle anderen auch, sind diese in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Einen Wokeness-Preis wird "die letzte überlebende Diseuse" dafür dennoch wohl kaum bekommen, aber sie hat ja auch sonst noch keinerlei Kulturpreise erhalten, sagt sie, nicht mal das "Tegernseer Pfännchen".
Ihr Publikum schert das wenig, im Gegenteil. La Nick bietet reichlich Pointen, die augenblicklich zünden und dann dennoch nachwirken. Und natürlich echte Hochkultur. Zum Beispiel mit einer anrührenden Version von Hollaenders "Wenn ick mal tot bin".