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Vom Taugenichts zum Reichsgründer

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Vom Taugenichts zum Reichsgründer

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    Mehr als 500 Denkmäler errichtete ihm die Nachwelt, eines davon - übrigens das erste - schon zu Lebzeiten in Bad Kissingen an der Salinenpromenade. In der Oberen Saline hielt er sich häufig auf. Er soll zwischen 1874 und 1893 über 60 Wochen dort gewesen sein.

    Die erste Begegnung mit der Badestadt war aber nicht die schönste. Am 13. Juli 1874 verübte der fanatische Katholik Eduard Kullmann ein Attentat auf den Gast, verletzte ihn aber nur leicht an der rechten Hand. Der Böttchergeselle aus Magdeburg wollte mit seinem Mordanschlag ein Zeichen gegen die anti-katholische Kirchenpolitik setzen.

    Der Kanzler nahm es gelassen, verließ nicht, wie es seine Familie wünschte, die Stadt auf Nimmerwiedersehen, sondern setzte die Trink- und Badekur fort. Wie der Bad Kissinger Peter Ziegler in seinem Lesebuch "Bismarck in der Badewanne" unter Berufung auf zeitgenössische Quellen anmerkt, sei schon die Abendmahlzeit des verhängnisvollen Tages ziemlich heiter verlaufen.

    Was das Geschäft mit sich bringt

    Telegramme von nah und fern seien eingetroffen, die Bürger hätten ein Fackelständchen gebracht, und der Fürst habe sich vom Balkon des Hauses Dr. Diruf am rechten Ufer der Saale (heute Kissinger Hof) mit Ironie geäußert: "Die Sache ist zwar nicht kurgemäß, aber das Geschäft bringt es eben so mit sich."

    Ach ja, die Mordwaffe, ein Vorderlader. Der Kanzler benutzte die Pistole später als Briefbeschwerer auf seinen Schreibtischen, nachdem er sie zum - so Peter Ziegler - "marktgängigen Preis von drei Gulden" erworben hatte. Heute ist sie im Bismarck-Museum in Friedrichsruh zu sehen, vor Diebeshand geschützt in einer verschlossenen Vitrine samt der weißen Handschuhe, die der Kanzler beim Attentat trug.

    Bad Kissingens Stadtarchivar Peter Weidisch hätte sie natürlich gerne in dem vom ihm geleiteten Bismarck-Museum, das unter dem damaligen Oberbürgermeister Christian Zoll zum 100. Todestag 1998 in der Oberen Saline eröffnet wurde. Mit jährlich über 15 000 Besuchern zählt es heute zu den bestbesuchten seiner Art in Deutschland. Und vielleicht landen hier eines Tages doch noch Pistole und Handschuhe, denn wohin sonst, wenn nicht nach Bad Kissingen, gehören sie?

    Purer Zufall

    Friedrichsruh, das bedarf einer Erklärung. Der Ortsteil von Aumühle liegt mitten im Sachsenwald unweit von Hamburg. Hier entspannte sich der Politiker gerne von seinen Amtsgeschäften. 1871 hatte ihm Kaiser Wilhelm I. den etwa 6000 Hektar großen Mischwald geschenkt. Hier verbrachte Bismarck nach seiner Entlassung im Jahr 1890 seine letzten acht Lebensjahre.

    Es ist übrigens purer Zufall, dass einer der ganz großen Deutschen sich in Friedrichsruh niederließ. Es wird erzählt., dass er Schloss Reinbek bei Hamburg kaufen wollte. Zur Versteigerung kam er zu spät, weil ihm auf dem Wege dorthin einer seiner Hunde entlaufen war, und der musste erst wieder eingefangen werden. Bismarck liebte seine Doggen über alles, die sogar ein eigenes Schlafsofa hatten. Auf dem Rückweg entdeckte er das Hotel Frascati im Sachsenwald, erwarb es und ließ es zu einem Schloss umbauen. Darin wohnt noch heute Urenkel Ferdinand mit seiner Familie.

    Als Schüler faul

    Der 1815 in Schönhausen (Brandenburg) geborene spätere Reichskanzler gilt auch noch in einer der neueren Biographien - sie stammt von dem Publizisten Christian Graf von Krockow - als "der überragende Staatsmann des 19. Jahrhunderts". Danach sah es zunächst gar nicht aus. Der Schüler war faul, und der Student hielt sich mehr in Kneipen und auf Fechtböden als in Hörsälen auf. Wenn er Mitstudenten in Göttingen in ihrer Bude besuchte, schoss er zur Begrüßung schon mal in die Decke. Jahre danach verlängerte der Rechtsreferendar einmal seinen Urlaub eigenmächtig und wurde deshalb aus dem preussischen Staatsdienst entlassen. Mit anderen Worten: Knapp 30 Jahre alt, war er eine verkrachte Existenz.

    "Der überragende Staatsmann des 19. Jahrhunderts."

    Christian Graf von Krockow über Otto von Bismarck

    Da entdeckte er die Politik, hielt viel beachtete Reden im preussischen Abgeordnetenhaus, arbeitete dann als Diplomat im Dienste des preussischen Staates in Frankfurt, Petersburg und Paris, bis seine große Stunde schlug. Am 23. 9. 1862 berief ihn König Wilhelm I. zum Ministerpräsidenten, "ein historisches Datum der europäischen Geschichte", so Bismarck-Biograph Christian Graf von Krockow. Kaum im Amt, verwandte der neue Regierungs-Chef vor dem Haushaltsausschuss des Abgeordnetenhauses eine Formulierung, die zu vielen Interpretationen führte: "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut." Der Ministerpräsident wollte damit den Abgeordneten verdeutlichen, dass sie Geld für die dringend notwendige Heeresreform bewilligen müssten. Fortan hatte er den Ruf eines Kriegstreibers.

    Drei Kriege

    In der Tat führten die Preußen während seiner Regierungszeit gleich drei Kriege, einen gegen die Dänen (1864), den zweiten gegen die Österreicher (1866) und den dritten gegen die Franzosen (1870/71). Wie der englische Historiker Alan Palmer in seiner Biografie berichtet, soll sich Bismarck später bittere Selbstvorwürfe gemacht haben. In einem Tischgespräch bekannte er: "Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären 80 000 Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht." Was wäre, wenn? Die uralte, die immer wieder gern an Stammtischen gestellte Frage: Wäre das Reich wirklich entstanden, wenn die Preußen nicht in drei Kriegen gesiegt hätten?

    Das ist unbestritten: Bismarck nutzte kaltblütig den Krieg als politisches Mittel und setzte danach aber seine ganze Kraft dafür ein, den Frieden in Europa zu wahren. Als wieder einmal kriegerische Auseinandersetzungen drohten, erklärte der Kanzler vor dem Reichstag1888: "Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt." Dies wurde zu einem geflügelten Wort, aber dabei wurde der nächste Satz unterschlagen: "Und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt."

    Bismarcks Friedensschlüsse sollten Revanchegelüste verhindern. Das ist ihm nicht immer gelungen. Die Franzosen verwanden nie, dass sie 1871 Elsass-Lothringen an Preußen abtreten mussten.

    Wertvolle Exponate

    Die goldene Feder, mit der Bismarck den Friedensvertrag mit Frankreich unterschrieb, gehört zu den wertvollsten Exponaten der Dauerausstellung "Otto-von-Bismarck und seine Zeit" in der Stiftung in Friedrichsruh, die 1998 zum 100. Todestag vom Deutschen Bundestag eingerichtet wurde. Sie informiert ausführlich und unaufdringlich über die Schritte, die 1871 zur Gründung des Deutschen Reiches durch Bismarck führten.

    Bei einem Besuch betont Stiftungsmitarbeiter Maik Ohnezeit und damit hat er recht: "Wir wollen niemandem eine Meinung aufdrücken. Jeder soll sich ein eigenes Urteil über eine der großen Gestalten unserer Geschichte bilden."

    Keine Frage, der Außenpolitiker Bismarck genießt aus heutiger Sicht weit mehr Anerkennung als der Innenpolitiker, der die katholische Kirche ebenso unnachsichtig bekämpfte wie die Arbeiterbewegung, obwohl seine Sozialgesetzgebung (Alters- und Krankenversicherung) bis heute Maßstäbe gesetzt hat.

    Das Kissinger Diktat

    Sein außenpolitisches Konzept entwarf der Kanzler in Kissingen. Es ging in die Geschichtsbücher als das "Kissinger Diktat" ein, und es belegt ein weiteres Mal: Bei den zahlreichen Abmagerungskuren unter der strengen Aufsicht seines Leibarztes Ernst Schweninger ging die Politik weiter, traf er sich hier mit dem europäischen Hochadel, Politikern und Diplomaten, was den Ruf des Kurbades erheblich förderte.

    In seiner großen Bismarck-Biografie hat der Frankfurter Historiker Lothar Gall 1980 festgestellt: "Was er, im Innern wie in den zwischenstaatlichen Beziehungen, anstrebte, war bis zu seinem Sturz eine Politik des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Mächten und Interessen." Das ist gewiss nicht ohne Konflikte abgegangen, aber richtig bleibt auch: Bismarck sicherte durch Bündnisse und Staatsverträge in Mitteleuropa für einige Jahrzehnte den Frieden.

    Den verspielten, zugespitzt formuliert, seine Nachfolger und besonders der Enkel des ersten deutschen Kaisers, Wilhelm II.. Als er 1888 auf den Thron kam, war von Anfang an klar: Das konnte nicht gut gehen mit dem erfahrenen und hoch verehrten Reichskanzler und dem ungestümen ahnungslosen Kaiser, und so kam es denn auch. Kontroversen in innen- und außenpolitischen Grundsatzfragen zwangen Bismarck 1890 dazu, sein Entlassungsgesuch einzureichen.

    Rotgeweinte Augen

    Er reiste am 29. März vom Lehrter Bahnhof in Berlin ab. Tausende kamen, um ihm die Hand zu schütteln. Es war, als verließe ein Vater seine Kinder. Am Vorabend besuchte der Entlassene das Mausoleum Wilhelms I. in Charlottenburg. Dort legte er Rosen auf das Grab des von ihm verehrten Kaisers nieder. Es wird berichtet, dass der Kanzler mit rotgeweinten Augen nach Hause gekommen sei.

    Von nun an lebte der Reichsgründer in Friedrichsruh. Zu seinem 80. Geburtstag am 1. April 1895 trafen die Geschenke per Bahn gleich in Güterwagen ein. Es sollen derer 35 gewesen sein. Abertausende von Briefen und Telegrammen, unzählige Blumengebinde und Glückwunschdelegationen, singende Schulkindern und hochrufende Studenten überschwemmten den Altersruhesitz. Von dort stichelte der Pensionär über Jahre in den "Hamburger Nachrichten" gegen seine Nachfolger, die aus seiner Sicht sein Erbe zerstörten. "Grummeln aus dem Sachsenwald" - so hieß es damals.

    Bismarck starb am 30. Juli 1898. Er ist in einer Gruftkapelle über seinem letzten Wohnsitz in Friedrichsruh nahe der Bahnstation beigesetzt. So war es sein Wunsch, und die Begründung lautete, damit wolle er "auf immer mit dem Leben verbunden bleiben". Der Grabspruch auf dem Marmor-Sarkophag trägt die Inschrift: "Ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms I."

    Nie eine Beziehung zu Wilhelm II.

    Insofern war es nur konsequent, dass die Familie Bismarcks den Trauerfeierlichkeiten in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin fernblieb. Zu Kaiser Wilhelm II. hatte Bismarck nie eine Beziehung gefunden.

    Viele Biografien und Abhandlungen über Bismarck und seine Zeit, es sind inzwischen über 15 000, heben hervor, dass der aus dem Brandenburgischen stammende Junker dank seiner diplomatischen Kunst zur beherrschenden Figur in Europa wurde. Der junge Bonner Historiker Christoph Studt hat das "Bismarckbild der deutschen Öffentlichkeit (1898-1998)" untersucht. Sein Fazit: Der Reichsgründer bleibt auch weiterhin in der Öffentlichkeit umstritten. Die Historiker sind indessen von einer einseitigen Glorifizierung Bismarcks ebenso weit abgerückt wie von einseitiger Verdammung. Sie haben ihn in seine Zeit gestellt und mit den für seine Zeit gültigen Maßstäben gemessen.

    Literatur:

    Gall, Lothar: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a. M. 1980.

    Krockow, Christian Graf von: Bis- marck, Stuttgart 2002.

    Palmer, Alan: Bismarck, Düsseldorf 1976.

    Studt, Christoph: Das Bismarckbild der deutschen Öffentlichkeit. (1898 bis 1998). Friedrichsruh 1999

    Ziegler, Peter: Bismarck in der Badewanne, Volkach 1979.

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