Am Abend klingelt das Handy bei Abu. „Hast du noch was zu saufen?“ Abu zählt zu einer Gruppe von jungen Kissingern, die sich jeden Freitag verabreden. Aussiedler, gebürtige Russen, Türken, Araber, auch Deutsche, alles Jungs, etwa zwanzig Kerle. In einer Wohnung trifft man sich, hängt in Sofas ab, es werden Gläser gefüllt, gemischt, gekippt.
Wodka ist der Renner, gemischt mit Redbull. Das erste Glas ist noch eine weiche Mischung, dann steigen die Prozente, im letzten Glas sind 50 Prozent Wodka und 50 Prozent Redbull. Abu schafft eine Flasche. Er sagt, es geht nicht darum, sich abzuschießen. Die Clique will Spaß haben, es geht um Mädchen, um Sprüche, um laute Musik. Irgendwann laufen alle zur Kissinger Disco Look.
So – oder so?!
Möglich, dass die Clique einen ruhigen Abend und tatsächlich Spaß hat. Möglich ist aber auch, dass sie in Prügeleien geraten. Dann stehen die Kerle in der Öffentlichkeit für den Verfall der Jugend und bestätigen alle Vorurteile. Versoffen, brutal und problematisch.
In der Disco Look müsste man eigentlich die Leute finden, die etwas zu erzählen haben über die Trinkverhalten, Schlägereien, Bräuche und Drogen. Es ist eine seltsame Recherche. Man spricht die auffälligen Kerle mit Schmuck und Muskeln an, die cool wirken und Selbstbewusstsein demonstrieren. Man sagt den Jungs, dass alles vertraulich bleibt, dass man nur ein reales Bild vermittelt haben will, wie das so ist, weder verharmlost noch übertrieben. Also, keine Verurteile, keine Beschuldigung, alles anonym, aber bitte erzähl doch was über Gewalt und Alkohol.
Fast alle blocken ab, sie prügeln sich nie, beteuern sie. Manche sagen bestimmt die Wahrheit, aber sicher lügen auch einige. Die Jugend will tough sein, ist aber scheu, wenn sie über sich selbst sprechen muss.
Abu ist mutig, er ist bereit zu sprechen, deshalb heißt er auch nur in diesem Text Abu. Er ist 19 Jahre alt, lebt seit acht Jahren im Landkreis Kissingen. Geboren wurde er in einem arabischen Staat, sein Deutsch ist sehr gut, derzeit macht er eine Ausbildung.
Abu sieht aus wie einer, der Probleme machen könnte: Kurzgeschorene Haare, braune Augen, dunkler Teint, Kettchen, Jeans, trainierte Oberarme. Er spuckt alle zwei Minuten auf den Boden und fixiert misstrauisch und mit scharfen Augen den Gesprächspartner. Mehrfach fragt er gereizt, warum gerade er sprechen soll. Seine Antworten sind knapp. Aber Abu ist nicht unfreundlich, er gibt lange geduldig Auskunft auf die Fragen. Er soll viel erzählen. Wer er ist. Wie er tickt. Was er tut.
„Ich bin ein Arschloch. Ich stehe dazu. Man muss in diesem Land ein Arschloch sein, sonst kommt man nicht weiter.“ Abu erzählt es mit etwas Stolz. Dann gibt er zu, dass er manchmal in Prügeleien verwickelt ist. „Aber ich fange nie an. Ich bin cool und bleibe locker. Die können mich Wichser, Arschloch und Kanake nennen. Ich ignoriere das. Aber wenn sie mich einen Hurensohn nennen oder was über meine Mutter sagen . . .“ Dann geht es los. „Aber bei uns fängt es in 90 Prozent der Fälle nicht an.“
Drogen? „Keiner von uns nimmt was.“ Gras? „Keiner kifft bei uns.“ Wie oft gibt es Schlägereien? „Kann man nicht sagen.“
Am Anfang läuft das Gespräch gut. Abu liefert Fakten, es entsteht ein Bild, aber umso länger die Unterhaltung dauert, umso mehr Risse erhält das Bild. „Wir sind chillig, wir machen nichts. Ich bin die falsche Person für diese Sache, es gibt Kerle, die sind richtig schlimm.“
Am Ende ist man ratlos. Man weiß nicht, was man von Abu halten soll, ohne in Klischees zu denken. Verharmlost er? Übertreibt man selbst? Abu ist wohl kein brutaler Schläger, aber wenn es nachts mal schlecht läuft, wenn er provoziert wird, kann er sicher auch mit Fäusten loslegen.
Beim Ausgang der Disco, gegen zwei Uhr, am Ende der Suche, die ernüchternd war, scheint man auf einmal als Reporter Zeuge einer Schlägerei zu werden. Zwei Kerle wollen sich behaken. Sie beleidigen sich, bedrohen sich, nur durch ihre Freunde werden sie zurückgehalten. Und dann plötzlich beruhigen sich und reden wieder normal miteinander. Und alles ist wieder friedlich.
Gestern
kamen zum Auftakt einer dreiteiligen Serie über Gewalt in Verbindung mit Alkohol im Umfeld der Kissinger Disco Polizei, Justiz und Betriebsleiter zu Wort.
Heute
berichtet unser Reporter von einem Abend in der Disco.
Als Nächstes
lesen Sie ein Interview mit Rabea Daniel vom Kreisjugendamt.
Online-Tipp
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