Im Jahre 1900 erschien in New York eine Erzählung – oder sollte man besser Märchen sagen? – des Amerikaners Lyman Frank Baum , das sehr schnell berühmt wurde: „The Wonderful Wizard of Oz“ (später nur noch „The Wizard of Oz“), das nicht nur schnell berühmt wurde. Die amerikanischen Kinder der folgenden Jahre sind mit ihr aufgewachsen wie ihre deutschen Altersgenossen mit Grimms Märchen.

Natürlich gab es auch Kritik, aber die kam nur von den Erwachsenen mit ihrem interpretatorischen Argwohn. Als neuesten Beitrag für seine Arbeit in der Musikvermittlung für Kinder hatte das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau dieses Märchen „Der Zauberer von Oz“ einmal mehr in einer Inszenierung des „münchner puzzletheaters“ eingeladen und in sechs Vorstellungen den Grundschulen aus dem Landkreis angeboten – mit großer Resonanz.

„Der Zauberer von Oz“ ist ein Märchen, und in einem Märchen ist bekanntlich alles möglich; auch alles, was es in Wirklichkeit nicht gibt. Lyman Frank Baum muss eine außerordentlich blühende Fantasie gehabt haben, die er schon deshalb ausleben konnte, weil er einen Zauberer auf seiner Seite hatte.
Und so beginnt die Geschichte mit einem Paukenschlag: Die junge Dorothy und ihr Hund Toto werden in Kansas/USA von einem Wirbelsturm, der ihr ganzes Haus fortreißt, in ein Land verweht, das ihnen vollkommen unbekannt ist: das Land der Munchkins (wo immer das ist).

Und das Mädchen hat keine Ahnung, wie es wieder nach Hause kommen kann. Aber die beiden laufen los – und mitten hinein in eine höchst abenteuerliche, nicht immer ungefährliche Welt. Immerhin weiß Dorothy, dass sie zur Smaragdstadt auf einem gelben Weg finden muss, in der der Zauberer von Oz wohnt, der ihr hoffentlich weiterhelfen kann.
Bei der Landung war das Haus zufällig auf die Böse Hexe des Ostens gefallen – sehr zur Freude der endlich befreiten Menschen. Und von der Guten Hexe des Südens kam Dorothy die Zauberstiefel der Bösen Hexe, die ihre Macht begründet hatten und ie sie jetzt nutzbringend einsetzen konnte.

Unterwegs traf das Mädchen eine Vogelscheuche, die ihr Gehirn suchte, einen Blechmann, der sein Herz suchte, und einen Löwen, der seinen Mut verloren hatte. Alle drei nahm sie mit, damit ihnen der Zauberer helfen konnte.
Aber auch sonst wimmelt es von absonderlichen Gestalten, nicht nur von geflügelten Affen, die Dorothy festnehmen. Die Komplikationen türmen sich, und Dorothy lässt alle Hoffnung fallen, als sie, nachdem sie endlich den Zauberer von Oz erreicht hat, erfährt, dass er ihr nicht helfen kann, weil er gar kein Zauberer oder Magier ist.

Das glaubten nur die Menschen in der Stadt, weil er mit einem Ballon gekommen war. Aber trotz des Chaos gibt es ein Happy End: Dorothy und Toto kehren zu Onkel und Tante in Kansas zurück.
Filmisch lässt sich eine derart chaotische Fantasie vor allem heutzutage relativ einfach in Bilder bringen. Aber auf der Bühne ist das problematisch. Aber Carlos Dominguez-Nieto und seine Truppe hatten das Stück geschickt zerschlagen und aus einem Teil der Bruchstücke eine Handlung entwickelt, die nicht nur einen durchgehenden roten Faden erkennen ließ, sondern auch die Kinder nicht überforderte.

Obwohl sehr viel auf sie einstürmte: ein sich oft veränderndes Bühnenbild, Stimmen aus dem Off (die Hexen, deren Gestaltung man sich so wirkungsvoll sparen konnte) oder das Spiel der Puppen.
Köstlich gestaltete Puppen
Die Vogelscheuche, der Blechmann und der Löwe waren drei köstlich gestaltete halblebensgroße Puppen die von Rainer Hipp über die Bühne geführt wurden. Dabei war er fast immer zu sehen, aber er stahl sich geschickt aus dem Fokus der Aufmerksamkeit.

Die einzige lebende Person in der Inszenierung war Paula Domínguez als Dorothy, die nicht nur sehr genau ihre Emotionen in ihrer schwierigen Situation sehr gut den Kindern vermitteln konnte, sondern die auch sehr präzise spielt und ungewohnt deutlich sprach. Und die auch die kleinesten Regieeinfälle konsequent umsetzte: Wenn sie beispielsweise ihren Stoffhund Toto auf ihren Arm nahm, wurde der lebendig und wedelte mit dem Schwanz.

Sehr wirkungsvoll war auch die Idee, den Zauberer von Oz, als Dorothy endlich bei ihm vorgelassen wurde, nicht als Einzelperson oder Puppe auftreten zu lassen. Den Text des Zauberers sprachen die neun Musiker, die das Geschehen begleiteten. Das gab der Figur bei aller Hilflosigkeit trotzdem etwas unerwartet Mystisches.
Apropos Musiker: Von Lyman Frank Baums Landsmann und Zeitgenossen Aaron Copland stammte die Musik, die von einem Ensemble des BKO (fünf Streicher, drei Bläser, ein Pianist ) unter der Leitung von Carlos Dominguez-Nieto bestlaunig gespielt wurde. Es ist eine Musik, die die Stimmungen und Wirrungen bestens erfasst und in Töne umsetzt.

Und die neun Musiker spielten mit messerscharfer Konturierung, mit Liebe zum Detail und mitreißender Präsenz. Da wurden die Bilder und Situationen plötzlich in der Musik erlebbar und gewannen so ungemein viel Spannung und Neugier – und durchaus auch für Kinder erfahrbaren Humor.

Die konnten erkennen, dass man mit einem Cello oder einem Fagott nicht nur schöne Töne spielen kann, sondern auch eine eingerostete Blechklappe oder den Einsturz eines Hauses hörbar machen. Das waren natürlich besondere Momente. Aber genau damit kann man halt das Interesse der Kinder an der Musik wecken.
