Muchtar Al Ghusain, Kulturreferent der Stadt Würzburg, spricht vom Mut „auch heiße Eisen anzufassen“ und von Verantwortung, sich „unseres Erbes und unserer Geschichte“ zu stellen. Diese Worte werden in jüngster Zeit meist in einem Zusammenhang geäußert: wenn es um die Herkunft von Kunstwerken geht, die in der Zeit des Nationalsozialismus von einem Museum erworben worden sind.
Es geht also um die Provenienz, um den lückenlosen Steckbrief eines Kunstwerks. Im Blickpunkt stehen dabei alle Stationen, die zum Beispiel ein Bild, kaum dass es das Künstleratelier verlassen hat, bis zu seinem momentanen Besitzer passiert hat, ebenso die Begleitumstände des Besitzerwechsels. Bei einer Pressekonferenz im Museum Kulturspeicher erläutern Direktorin Marlene Lauter und ihre Stellvertreterin Henrike Holsing das Projekt zur Provenienzforschung, das zunächst auf zwei Jahre angelegt und im November vergangenen Jahres gestartet ist. Die Historikerin Beatrix Piezonka gibt erste Einblicke in die Herangehensweise.
Die Städtische Sammlung, heute im Museum Kulturspeicher beheimatet, wurde 1941 gegründet. „Allein dieses Datum weckt den Verdacht, dass es bei einigen Werken sich um Raubkunst handeln könnte“, sagt Kulturreferent Al Ghusain in Bezug auf rund 5000 Kunstwerke, die seit diesem Jahr bis zum Ende des „Dritten Reichs“ 1945 erworben worden sind. Bei etwa 4000 Objekten gibt es keine Bedenken. Sie seien durch Kauf oder Schenkung direkt vom Künstler oder von deren Erben in die Sammlung gekommen. Etwa 1000 Kunstwerke stammen jedoch aus dem Kunsthandel und stünden deshalb „unter Generalverdacht“, so Henrike Holsing. Zielvorgabe sei, „belastete Werke“ im Sammlungsbestand herauszufinden und zu restituieren, also an die Erben der einstigen Besitzer zurückzugeben, wenn Beatrix Piezonka aufgrund ihrer Nachforschungen zu dem Ergebnis kommt, dass es sich dabei um – so der etwas sperrige Fachbegriff – NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke handelt.
Provenienzforschung ist eine anspruchsvolle Arbeit, die viel Spürsinn erfordert. Beatrix Piezonka stützt sich bei ihrer Spurensuche im Museum Kulturspeicher zunächst auf die hauseigenen Akten beziehungsweise Inventarbücher. Auch andere Quellen wie die Tagebücher von Heiner Dikreiter, dem Gründungsdirektor der Städtischen Sammlungen, zieht die Provenienzforscherin heran. Recherchemöglichkeiten bieten zudem Ausstellungs- sowie Auktionskataloge und Datenbanken im Internet, etwa „Lost Art“ vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg.
Die Objektautopsie ist ebenso Teil des Puzzles. Dazu wird am Werk selbst geforscht: Gibt es Hinweise auf dem Rahmen, auf der Rückseite des Bildes? Erfolglos geblieben ist die Objektautopsie zum Beispiel bei dem Bild „Pfälzer Landschaft“ von Max Slevogt. Dort gab es auf der Rückseite des Bildes nicht einmal eine Inventarnummer, so Piezonka. Verdächtig ist das Werk jedoch, weil Heiner Dikreiter es einst bei der Berliner Kunsthandlung Hans W. Lange erworben hat – ebenso das Bild „Weiblicher Halbakt“ von Wilhelm Leibl. Lange hat die Kunsthandlung 1937 von dem jüdischen Auktionator Paul Graupe übernommen. Freiwillig hat Graupe diesen Schritt sicher nicht unternommen. Zudem soll Lange Kunstwerke aus „verfallenem jüdischem Besitz“ versteigert haben.
Begriff Provenienz
Das lateinische Verb „provenire“ bedeutet herkommen, herauskommen, auftreten. Im Deutschen wird Provenienz sinngemäß verwendet für „die Herkunft betreffend“. Die Aufgabe der Provenienzforschung ist laut dem Deutschen Museumsbund „die Herkunft und die Geschichte von Kulturgegenständen und den Verbleib von vermissten Kulturgegenständen zu klären“. Der bestmögliche Fall in diesem Zusammenhang ist der lückenlose Nachweis der Herkunft beziehungsweise der Besitzverhältnisse.