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GROSSETO/MARKTHEIDENFELD: Marktheidenfelderin schreibt einen offenen Brief an Schettinos Freund

GROSSETO/MARKTHEIDENFELD

Marktheidenfelderin schreibt einen offenen Brief an Schettinos Freund

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    Ein anständiger Mensch? Ex-Kapitän Francesco Schettino
    Ein anständiger Mensch? Ex-Kapitän Francesco Schettino Foto: Foto: T. Fabi, afp

    Die Havarie der „Costa Concordia“ vor der italienischen Insel Giglio lässt Ursula Lang (Name geändert) keine Ruhe. Seit jener Schicksalsnacht im Januar 2012, die sie und ihre Mutter als Passagiere des Kreuzfahrtschiffes und Schiffbrüchige er- und überlebten, versucht Lang die Distanz zwischen dem Erlebten und ihrem Alltag zu vergrößern. Immer wieder aber – mal im Traum, mal tagsüber – holt sie das dramatische Geschehen von damals ein. Zuletzt am Mittwoch, bei der Lektüre ihrer Zeitung, der Main-Post, Ausgabe Marktheidenfeld.

    „Schettinos Abschied vom Meer“, so lautete der Titel einer Reportage unseres Korrespondenten Julius Müller-Meiningen auf der Seite „Das Thema“. Es war von vorneherein klar, dass Ursula Lang Zeile um Zeile lesen würde, ja lesen musste. Klar auch, dass die Reportage aus Meta di Sorrento, dem Wohnort des Ex-Kapitäns der „Costa Concordia“ am Golf von Neapel, sie erneut aufwühlen würde – drei Jahre nach dem Unglück, der Katastrophe, bei der 32 Menschen ihr Leben verloren.

    Dass Ursula Lang aber in ihrem Innersten erschüttert wurde, liegt an zwei Sätzen eines gewissen Giuseppe Tito, „Beppe“ genannt. Der Freund und Nachbar des Ex-Kapitäns Francesco Schettino ist seit Mai 2014 Bürgermeister von Meta di Sorrento, und in ihm, das wurde in der Reportage klar, hat „Franco“ Schettino einen Verbündeten. Zitat Beppe: „Franco ist ein anständiger Mensch. Er haut nicht ab, er stellt sich seiner Verantwortung.“

    Anständig? Verantwortung? Ursula Lang ist am Tag zwei nach der Lektüre immer noch fassungslos. Den Kapitän der „Costa Concordia“ hat sie vor der Havarie auf dem Felsen vor Giglio nur zweimal kurz aus einiger Distanz erblickt und danach nicht ein Fitzelchen seiner Uniform gesehen. Aber sie wird nie vergessen, was sie in den Stunden nach dem Schiffbruch sah und hörte: das Chaos an Bord, das lange Warten an den Rettungsbooten, die Schreie und das Weinen verzweifelter Menschen, die offensichtlich führungslose, kopflos agierende Crew.

    Und natürlich hat Lang den Prozess gegen Schettino im toskanischen Grosseto verfolgt und weiß, welche haarsträubenden Fehlentscheidungen und Versäumnisse zu dem Schiffbruch führten und dazu, dass allein aus der Reisegruppe, der Lang angehörte, sechs Passagiere den „nassen Tod“ fanden. Darunter ein älteres Ehepaar, das Lang und ihre Mutter gut kennen und sehr schätzen gelernt hatten.

    Ob die 16 Jahre Haft für den Ex-Kapitän tat- und schuldangemessen sind, dazu will sich die junge Frau nicht äußern. Wohl aber dazu, dass einer, der Kapitän eines solchen Schiffes ist, sich verbal allzu schnell jeder Verantwortung entledigte. „Für mich wäre er ein anständiger Mensch gewesen, wenn er gesagt hätte, ich habe einen Riesenfehler gemacht.“ Lang kann und will sich deshalb nicht mit den zwei Sätzen aus dem Munde von „Beppe“ abfinden. Und deswegen hat sie nach den letzten Zeilen der Reportage aus dem Ort am Golf von Neapel spontan einen Brief an den „sehr geehrten Herrn Bürgermeister“ geschrieben.

    Ursula Lang schreibt von den Tränen, die sie beim Lesen vergoss. „Es verletzt mich nach wie vor sehr, wie Herr Schettino mit der Tat umgeht und Freispruch für sich fordert. Er ist und bleibt derjenige, der zahlreiche Fehlentscheidungen getroffen und als Kapitän die Hauptverantwortung für das Schiff getragen hat. Ich will Ihrer Aussage (Zitat) widersprechen. In meinen Augen ist er kein anständiger Mensch, so wie er mit seinen Fehlern umgeht. Bitte versuchen Sie das Drama auch einmal aus Sicht einer Betroffenen zu sehen, von den Angehörigen der Todesopfer ganz zu schweigen. Ihre Aussagen sind ein Schlag ins Gesicht, bitte halten Sie sich in Zukunft in der Öffentlichkeit zurück, damit Betroffene wie ich nicht immer wieder leiden müssen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis.“

    Der Brief muss noch ins Italienische übersetzt und abgeschickt werden. Dann beginnt das Warten. Ursula Lang hofft natürlich auf eine Antwort von Beppe, dem Bürgermeister. Auf seine Einsicht, dass sein Freund „Franco“ sich nicht so verhielt in jener Nacht im Januar 2012, wie man es von einem anständigen Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes doch wohl erwarten muss.

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