Seit fast 900 Jahren trägt die steinerne Brücke das Leben der Stadt. Sie verbindet nicht nur den linksmainischen Teil mit dem rechtsmainischen. Über die Alte Mainbrücke in Würzburg führte jahrhundertelang der Handel zwischen den Städten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.
Ein „fürtrefflich Bruken“ hat den Würzburgern der Meister Enzelin „gebouwet“, steht in einer Urkunde aus dem Jahre 1133. Der Schrieb ist der erste Hinweis auf die 185 Meter lange Alte Mainbrücke, die seitdem eine zentrale Rolle in der langen Geschichte Würzburgs spielt.
Teufelswerk über dem Main
Sie ist die älteste deutsche Steinbrücke von größerer Länge und muss, so schreibt der Historiker Werner Dettelbacher, „zu ihrer Zeit als ein Wunderwerk gegolten haben“. Zu ihrer Bauzeit kennt man keine so großen Spannweiten zwischen den Brückenpfeilern, nur kurze Wölbungen über Kirchenpfeiler. Dettelbacher berichtet, Meister Enzelins Zeitgenossen hätten geglaubt, der Brückenbauer habe seine Seele dem Teufel verschrieben, „damit kein Pfeiler beim ersten Eisgang barst, kein Bogen einbrach, wenn Fuhrwerke mit schweren Lasten darüber fuhren“.
Meister Enzelin baute eine Kapelle auf die Brücke. Wer damals vom Rathaus kommend die Brücke betrat, erreichte nach wenigen Schritten die Kapelle, die viele Jahrhunderte später in das Haus Mainbrücke Nr. 4 umgewandelt wurde. Heute lockt da ein Restaurant.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein standen mächtige Tore an Auf- und Abgang der Brücke; lange war sie mit Buden bebaut, ähnlich wie die Ponte Vecchio („Alte Brücke“) in Florenz. Hier lebten und arbeiteten die Leute, hier beteten sie, mordeten und starben.
Im Jahr 1250 thront Bischof Hermann von Lobdeburg, der geistliche und weltliche Herr übers Hochstift Würzburg, in der Festung auf dem Marienberg und hat Sorgen. Seine Schäfchen wollen ihm an den Kragen gehen, wieder einmal. Jahrhundertelang versuchten die Würzburger, sich von der Fuchtel der Bischöfe zu lösen und reichsfrei, nur dem Kaiser Untertan zu sein.
Um seinen Kopf zu behalten, ruft er seine ritterlichen Lehnsherren zu sich in die Festung. Die kommen auch, reiten über die Brücke, freundlich begrüßt von den Würzburgern, bis vor und hinter ihnen die Brückentore zugeschlagen werden und das Volk auf der Brücke zu langen Spießen greift. Dicht gedrängt auf ihren Pferden, auf der sieben Meter schmalen Brücke, haben die Bischöflichen keine Chance. Wen die Würzburger nicht aufspießen, den werfen sie in den Main, wo er, hinabgezogen von seiner schweren Rüstung, jämmerlich ertrinkt.
Die Alte Mainbrücke ist ein schöner und ein schrecklicher Platz zugleich.
Wenn der Krieg nach Würzburg kommt – er kommt oft – spült das Blut über sie hinweg. In der Chronik stehen einige Gemetzel:
• Bischöfliche Soldaten gegen aufständische Bauern (1525),
• Kaiserliche Landsknechte gegen die Schweden Gustav Adolfs (1631),
• Napoleons Franzosen gegen kaiserliche Österreicher (1796),
• Napoleons Truppen gegen bayerische und österreichische (1813),
• Preußen gegen Bayern (1866) oder
• Deutsche gegen US-Amerikaner (1945).
Ob ein Würzburger leben durfte oder sterben musste, hing oft davon ab, auf welcher Seite der Brücke er war.
Der rechtsmainische Teil der Stadt, mit Rathaus und Dom, den Märkten und der Mehrzahl der Bürgerhäuser, war schwächer befestigt als der linksmainische.
Wenn die Würzburger rechts des Mains kapitulierten, wurden ihre Nachbarn im Mainviertel, mit der Festung im Kreuz, zu Helden – weniger aus Neigung, mehr aus Zwang. Sie wurden belagert und beschossen, sie hungerten und litten.
So nah schien die Mainbrücke und die Flucht ins rechtsmainische Würzburg, und doch war sie so fern. Keiner kam durch, wenn die Brückentore verschlossen waren.
Das Brückengericht tagt
Das Töten von Menschen bringt Notwendigkeiten mit sich. In allen Jahrhunderten wurde der Mainbrücke der Belag entrissen, um ein Überqueren zu verhindern, und Brückenbögen wurden gesprengt. Zuletzt jagen 1945 deutsche Pioniere drei Bögen in die Luft, um die amerikanischen Befreier am Vormarsch zu hindern. Die kippen ihrerseits die Statue Pippin des Kleinen in den Main, weil sie Platz für ein Geschütz brauchen.
Die Mainbrücke war ein öffentlicher Gerichtssaal. Zwölfmal im Jahr, meist am ersten Mittwoch eines Monats, trat nahe dem Brückentor auf der Mainviertelseite das Gericht zusammen, um 11 Uhr: der Schultheiß, ein hoher Beamter des Bischofs als obererster Richter, dazu neun „redliche und verständige Bürger“, die das Urteil fällen. Im 16. Jahrhundert weigert sich der Adel, vor dem Brückengericht zu erscheinen, weil „man von dort an kein anderes Gericht appellieren könne und daher, weil die Urteile unumstößlich waren, viele mit Schaden davon gegangen seien“. 1551 wird das Brückengericht nach einem Überfall eingestellt.
Die Mainbrücke war auch Hinrichtungsstätte. In den Annalen der Stadt steht zum Beispiel die Geschichte von einem Mann mit Namen Hase. Der war zu seiner Zeit, im 15. Jahrhundert, der bestgehasste Mann Würzburg – nach dem Bischof, dessen Büttel er war. Johann von Grumbach, sein Herr, ließ ihn in Bürgerhäuser eindringen, Unschuldige einkerkern und so lange malträtieren, bis sie sich freikauften. Wen der Bischof stützte, dem konnten Bürgermeister und Stadtrat nichts anhaben. Als der Bischof aber 1466 stirbt, ist die Hasen-Herrlichkeit vorbei. Würzburger holen den Schuft vom Marienberg, foltern ihn und verurteilen ihn zum Tode, weil, so schrieb ein Chronist, „alles Land über ihn unwillig war, und gar ein unsäglich großes Geschrei über ihn ging von jedermann, Jung und Alt, in der Stadt und auf dem Lande“.
Heilige, Unheilige und Eitle
Am Abend des 21. April 1466 wurde der Hase auf die Mainbrücke geführt und an Armen und Beinen gefesselt. Dann stieß ihn der Henker hinunter, und der Hase ersoff in den Fluten des Mains.
Im 18. Jahrhundert hatten die Fürstbischöfe ihre aufrührerischen Schäfchen gezähmt. Sie hatten Zeit, sich mittels Kunst und Architektur Namen für die Ewigkeit zu machen.
Da war Fürstbischof Christoph Franz von Hutten, der fand, die Mainbrücke stehe etwas nackt herum. 1725 gibt er den Auftrag, zwölf Figuren auf die Brücke zu stellen. Sechs sind aus gelbem Schilfsandstein gehauen, jede viereinhalb Meter hoch, als von Hutten das Zeitliche segnet.
Auf der Südseite der Brücke nahmen sie Platz und stehen dort noch heute: auf dem Brückenscheitel die Immaculata oder Patrona Franconiae. Neben ihr, Richtung Rathaus, die Frankenapostel Kilian und Totnan, Richtung Mainviertel der dritte, Kolonat. Neben Kolonat schauen Burkard, der erste Bischof Würzburgs, und Bischof Bruno Richtung Heizkraftwerk. Burkard wurde nicht heiliggesprochen, und auch für Bruno, den Erbauer des Doms, der sich 1045 das Genick an einem Waschzuber brach, hat es nicht bis zur Heiligsprechung in Rom gereicht. Den Würzburgern ist das egal: Sie küren auch diese beiden zu Brückenheiligen.
1729 stirbt Christoph Franz von Hutten, Friedrich Carl von Schönborn wird sein Nachfolger. Er lässt die Heiligenschau auf der Nordseite der Brücke vollenden.
Zuerst kippt er den Heiligen Christophorus, den Namenspatron seines Vorgängers aus dem Programm; an dessen Stelle tritt der Heilige Nepomuk. Die ursprünglich vorgesehenen Würzburger Heiligen Aquilin und Arn, finden ebenfalls kein Wohlgefallen beim Schönborn. Er tauscht sie aus gegen zwei Heilige, die seine Namen tragen: Fridericus und Carolus Borromäus. Josef, Mariens Gatte, übersteht das Heiligenroulette.
Über ein Leben erhaben
Die fränkischen Herrscher Pippin der Kurze und Karl der Große, der berühmte Sachsenschlächter, bilden den östlichen und westlichen Abschluss der Nordseite der Brücke. Auch diese beiden sind keine Heiligen. Aber Schönborn findet Gefallen an ihnen, zur Brückenzier sind sie ihm heilig genug. Bemerkenswert: Unterm Brückenpersonal ist kein Deutscher. Auf der alten Mainbrücke stehen, in Stein gehauen: zwei Palästinenser, drei Iren, ein Tscheche, ein Belgier, ein Italiener, ein Engländer, ein Österreicher und zwei Franzosen.
Die Witterung und die in Sandstein gehauenen mehr oder weniger Heiligen vertrugen sich nicht. Nach etwa 120 Jahren mussten sie erneuert werden. Die Sanierung dauert 74 Jahre lang, von 1852 bis 1926. (Zum Vergleich: Der Bau der Residenz dauerte 23 Jahre lang.) Das heilige Dutzend wurde aus dem gleichen Stein geholt wie seine Originale, denn auf die warme Farbe des Sandsteins mochten die Würzburger nicht verzichten.
Im Jahr 1800 verbringt Heinrich von Kleist einige Monate in Würzburg. Die Forscher wissen bis heute nicht, was er eigentlich in der Stadt wollte. Sein Verhältnis zu Würzburg war zwiespältig: Mit dem Reichtum an Kirchen, Nonnen und Mönchen konnte er nichts anfangen, die Festung hielt er für kriegsuntauglich, das Juliusspital fand er schrecklich. Sanfter wurde der Griesgram auf der Alten Mainbrücke. Seiner geliebten Wilhelmine von Zenge schrieb er: Wenn er auf der steinernen Mainbrücke stehe und den gleitenden Strom betrachte, der „unter meinen Füßen wegfließt, so ist es mir, als ob ich über ein Leben erhaben stünde. Ich stehe daher gerne am Abend auf diesem Gewölbe und lasse den Wasserstrom und den Luftstrom mir entgegenrauschen. Oder ich kehre mich um und verfolge den Lauf des Flusses, bis er sich in die Berge verliert, und verliere mich selbst dabei in stille Betrachtungen“.
Ein Schnitt in jedes Herz
Der Schriftsteller Leonhard Frank prägte mit seinem Roman „Die Räuberbande“ das Würzburg-Bild von Generationen von Lesern. In „Von drei Millionen drei“ lässt er zwei vom Glück enttäusche Würzburger in ihre Heimatstadt zurückkehren. Von den Wirrnissen der Weltwirtschaftskrise 1929 arg mitgenommen, zerlumpt und zerrissen, ziehen sie durch die Stadt am Main: „Auf der Brücke griff die Stadt zum zweiten Mal mit Macht nach dem Schreiber, der im Rückenmark erschauerte. Hierher, zuerst hierher auf die Brücke, zog die Stadt jeden, der sie verlassen hatte und wiederkehrte, und jeden Fremden, der sie zum ersten Mal besuchte. Hier war sie stark genug, sich mit dem schönen Bogenlauf des Flusses und den sanften Linien ihrer Rebhügel, mit ihrer betörenden edlen Lieblichkeit und zugleich wuchtig ragenden Kraft einzuschneiden in jedes Herz, das noch schlug.“
Bis 1886 war die Alte Mainbrücke Würzburgs einziger Flussübergang. 1990 befreite der damalige Oberbürgermeister Jürgen Weber die Alte Mainbrücke von den Autos – es war eine der ersten Amtshandlungen nach seiner Wahl. Heute sind nur noch Fußgänger und Radfahrer, die Gäste der Brückenfeste und Kleinkunstmärkte zwischen den Brückenheiligen unterwegs.
Bis heute ist sie der Mittelpunkt Würzburgs, der Balkon der Altstädter, die in ihren Häusern keinen haben. Hierher kommen die Menschen, um den Jahreswechsel zu feiern (obwohl sie nicht ballern und kein Glas bei sich tragen dürfen), und hier hört man Touristen juchzen, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Brücke betreten und sich nicht sattsehen können an der schönen Aussicht.