Das Mittelalter beschäftigt die Phantasie der Menschen bis heute. „Früher haben die Anführer wenigstens selbst in der Schlacht mitgekämpft“, lobt ein Zaungast beim Katapulttest: „Heute wird ja nur noch der Knopf gedrückt.“ Es ist die erste Lektion, die man vor der Physiotherapie-Praxis von Ingo Rüd lernt: Vor 800 Jahren war Kriegskunst noch mühselige Handarbeit. Da steht es nun vor der Garage, im Schweinfurter Musikerviertel, das mindestens 300 Kilo schwere Gegengewichts-Katapult, und muss zum Probeschießen passgenau auf den Anhänger gerollt werden. Der Niederwerrner Herbert Maier koordiniert die Zentimeterarbeit mit Unterlegbrettern und Hubwagen.
Aufgeladen wird hier der Nachbau eines „Trebuchet“ aus dem 12. Jahrhundert, wie die Franzosen ihre durchschlagendste Waffe vor Einführung des Schießpulvers genannt haben (frei übersetzt: „der Vornüber-Stolperer“). Anderswo hieß sie Blide oder, eingedeutscht, Tribock. „Damals wurden Katapulte halt vor Ort zusammengebaut“, weiß Blidenmeister Ingo Rüd: „Wenn es Räder gab, dann nur, um ein bisschen zu rangieren.“
Der 32-jährige Physiotherapeut (ein „Bader“, wie man seine Zunft damals genannt hätte) ist bekennender Mittelalter-Fan. Die Kriegsmaschine hat der Enthusiast bei eBay ersteigert: Relikt eines Schulprojekts im schwäbischen Lauingen, aus dem Jahr 2007, das zuletzt in Neubrunn bei Würzburg gelagert worden ist. Eine weitere Attraktion für Schweinfurt soll das Geschütz werden, so Rüds Idee: „Wenn gewünscht, könnte ich es ja beim mittelalterlichen Bürgerfest oder auf dem Walpurgisgericht aufstellen.“
Angefangen hat seine Leidenschaft für die Zeit von Schwertgeklirr, Fackelschein und Minnesang mit dem Fantasy-Rollenspiel „Das Schwarze Auge“, es folgte die Lektüre von jeder Menge Fachliteratur. Als Freiherr Roland Rüd von und zu Schweinfurt, mit rotem Hund im Wappen, treten er und seine Gemahlin Michaela nun bei Mittelalterfesten und Ritterspielen auf: bei „Gastereyen“ in der prachtvollen rheinischen Wasserburg Satzvey ebenso wie in der hessischen Ronneburg. An diesem Tag hat der Ritter die Seiten gewechselt und beschäftigt sich mit der hohen Kunst des Burgwallzerschmetterns. „Atombombe des Mittelalters“ wurde das Trebuchet mal genannt. Was wohl auch den psychologischen Effekt meint, wenn tonnenschwere Steine im hohen Bogen vom Himmel fallen. Gefolgt vom nächsten Blidengeschoss, dann unzähligen weiteren, bis die stärkste Mauer zermürbt in sich zusammenstürzt.
Die beharrliche Präzision des Holzmonstrums war gefürchtet, ebenso die unerhörte Reichweite von bis zu einem halben Kilometer. Oft wurde allerdings auch von Stadt oder Burg aus mit schwerer Artillerie zurück geschossen.
Das Schweinfurter Trebuchet ist mit vier Metern Länge und 2,30 Metern Höhe noch ein Winzling. Im englischen Warwick Castle steht ein funktionsfähiger 18 Meter hoher und 22 Tonnen schwerer Koloss, der 13 Kilo-Brocken bis zu 250 Meter weit zu schleudern vermag, 260 Stundenkilometer schnell.
Dies alles dank der simplen Physik von Hebelwirkung und Schwerkraft. Eine Achse im Rahmen hält den Wurfarm, vorne, an der kürzeren Seite, befindet sich der Gewichtskasten für Steine oder Erdreich: freischwingend eingehängt, um eine Selbstzertrümmerung des Katapults zu vermeiden. Hinten, an der längeren Seite, baumelt an einem Seil eine Schlinge oder Schleudertasche, in die das Geschoss eingelegt wird. Der Schwingarm („der Balken stammt aus einem 200 Jahre alten Fachwerkhaus“) wird nach unten gezogen (hier per Muskelkraft, bei den großen Kalibern mit Hilfe von Winden oder Laufrädern), dann blockiert. Sobald die Sicherungsstange aus zwei Seilschlaufen herausgezogen wird, saust der Kasten nach unten. Nach dem Peitschen-Prinzip wird das Geschoss über eine Führungsrinne hinweg nach oben und dann über den höchsten Punkt hinweg in Richtung Feind geschleudert. Zumindest in der Theorie.
Der „Stolperer“ stammt aus Asiens Waffenkammer und kam im Hochmittelalter via Orient ins schwer beeindruckte Abendland: Die Geschütze erhielten Spitznamen wie „Böser Nachbar“, „Erdbeben-Tochter“ oder „Gottes Steinewerfer“. Geschleudert wurde ein ganzes Arsenal, von der Steinkugel über Brandgeschosse bis hin zu Kadavern, um unter den Belagerten Seuchen auszulösen.
An diesem Tag hat Rüd mehrere Freunde („Ich bringe sie noch dazu, auf Mittelalterfeste mitzufahren“) als Geschützbedienung zusammengetrommelt. Ziel ist eine Wiese beim Kinderdorf in Oberschwarzach: Die Mutter von Rolf Fleischhauer arbeitet dort als Leiterin, die Kinder sind gerade im Urlaub. Sven Hügli sorgt mit Werkzeug dafür, dass der störrische Tribock nach anderthalb Stunden wirklich auf den Anhänger passt, trotz der schmiedeeisern verstärkten Scheibenräder: „Jetzt wissen wir, warum der Hundertjährige Krieg so lange gedauert hat.“
Die Anfahrt auf der B 286 beschert den anderen Autofahrern dann interessante Einblicke in Europas Militärgeschichte. An der Oberschwarzacher Steinmühle lässt man das sperrige Ungetüm aber lieber auf seinem „Fuhrwerk“ stehen. Geschossen wird mit einem Medizinball und schweren Melonen, im Wurfkasten stapeln sich geschätzt 150 Kilo Gegengewicht. Säcke mit Regenerierungssalz zur Wasseraufbereitung (aus der Physiotherapie-Praxis) beschweren die lockere Führungsrinne.
Ächzend ziehen die Mannen die insgesamt 170 Kilo nach oben. Der Teufel steckt dann allerdings im Detail: Das erste Geschoss fliegt zwar bereits einige Schritt weit, leider in die falsche Richtung. Wie war das mit dem locker eingehängten Seil, das die Schlingentasche im richtigen Moment öffnen und die Kugel freigeben soll?
Am Ende reißt beim Spannen auch noch das morsche Tau am Hebelarm. 30 Meter soll die Schleuder schaffen: Mehr als ein paar Meter Schussweite in die grüne Wiese hinein sind an diesem Tag nicht drin. Zum Mauernbrechen braucht es einfach viel Erfahrung, Geduld und Know-how.
Am Ende tröstet der Inhalt einer zerplatzten Melone Christine, Sven, Ingo und Rolf über den bescheidenen Erfolg hinweg: „Wir werden es das nächste Jahr noch mal probieren, mit passendem Anhänger“, verspricht Ingo Rüd. Es bleibt der Respekt vor einem ausgeklügelten Belagerungsgerät des Mittelalters, das robust war, aber keinesfalls primitiv.