32-mal "Ja" und einmal "Nein": knapp 97 Prozent Zuspruch – so lautete das Ergebnis der Abstimmung Ende September, bei der die Sander CSU Julian Müller zu ihrem Bürgermeisterkandidaten kürte. Doch nach dem nach außen hin geschlossenen Auftreten in den vergangenen Wochen und Monaten, tun sich im Ortsverband nun Risse auf: Andrea Rippstein, im Jahr 2017 erfolglose Bürgermeisterkandidatin im Rennen um das Sander Rathaus, verlässt die Fraktion aus CSU und Freien Sander Wählern (FSW) im Gemeinderat – und tritt auch aus der Partei aus.
Doch warum? Die Gründe, so Rippstein in der jüngsten Ausgabe des Gemeindeblattes, sollen vor allem mit dem 28-jährigen Senkrechtstarter der Sander CSU zu tun haben: Julian Müller.
Kritik am Stil des Jungpolitikers
"Ich kann den Kandidaten persönlich nicht unterstützen", erklärt Andrea Rippstein, einst selbst Hoffnungsträgerin der Sander Christsozialen, nun auf Nachfrage dieser Zeitung ihren Abgang. Die eine Gegenstimme bei der Kandidatenkür im September sei ihre gewesen. Rippstein kritisiert den Politikstil Müllers, der im Mai 2020 das Amt des Zweiten Bürgermeisters übernahm und seit September 2021 den CSU-Ortsverband führt. Der Vorwurf: Müller gehe es weniger um das Wohl der Menschen in Sand als vielmehr um die eigene politische Karriere. "Ein politisches Amt dient nicht dem Selbstzweck", sagt Rippstein. Sie belässt es bei dieser vagen Formulierung, eindeutiger möchte die 46-Jährige nicht werden.
"Ich kann den Kandidaten Julian Müller persönlich nicht unterstützen."
Andrea Rippstein, Gemeinderätin Sand
Die Vorwürfe aus der eigenen Reihe könnten Müllers Wettstreit um das Sander Rathaus erschweren, das seit nunmehr drei Jahrzehnten unter roter Führung von Bernhard Ruß steht. Und das noch bevor der Wahlkampf überhaupt so richtig begonnen hat. Doch der 28-Jährige reagiert gelassen auf die Kritik Rippsteins: Auszutreten und anschließend Kritik zu äußern sei nicht sein Stil, kontert er die Vorwürfe im Gespräch mit der Redaktion. Die Anschuldigungen seien haltlos. Müller spricht von seinem Einsatz für die Gemeinde, etwa gegen die Schließung des Zeiler Hallenbads, das es inzwischen nicht mehr gibt. Oder für die landkreisweite Einführung der Gelben Tonne. Und davon, dass er seine Partei hinter sich wisse. "Wenn mein Führungsstil so schlecht wäre, wären die Ergebnisse andere", sagt er.

Aufstieg der Nachwuchshoffnung
Tatsächlich war es für den Nachwuchspolitiker in den vergangenen Jahren stetig bergauf gegangen, auch dank reichlich Rückenwind durch seine Förderer: die CSU-Schwergewichte im Landkreis Steffen Vogel, dessen Abgeordnetenbüro Müller leitet, und Gerhard Zösch. Von letzterem hatte Müller 2021 den Ortsvorsitz der Sander Christsozialen übernommen – mit 97 Prozent Zustimmung. Und jüngst im September 2022 wählten ihn 95 Prozent der Delegierten zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Haßberge-CSU. "Je mehr Verantwortung ich übernommen habe, umso größer war der Widerstand, der mir von ihr entgegengebracht wurde", sagt Müller heute. Gemeint ist Andrea Rippstein.

Heute ist Julian Müller Hoffnungsträger der Sander CSU, daran besteht kein Zweifel. Noch vor fünfeinhalb Jahren war es Andrea Rippstein: jung, weiblich, engagiert, vernetzt. 2017, als die Wählerinnen und Wähler zuletzt über die Besetzung des Rathauses abstimmen konnten, hatte der Ortsverband sie zu seiner Bürgermeisterkandidatin gekürt – ohne Gegenstimme und mit reichlich Vorschusslorbeeren.
Enttäuschung nach Wahl im Jahr 2017
Noch heute ist aus der Partei zu hören, dass die Sander CSU damals viel vorhatte mit Rippstein. Auch unmittelbar nach der für sie und ihre Anhänger enttäuschenden Niederlage im April 2017, als sie bei der Bürgermeisterwahl mit gerade einmal 17,37 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz landete. Noch hinter Mitbewerber Jörg Kümmel (Freie Sander Bürger, 21,85 Prozent) und Amtsinhaber Bernhard Ruß (SPD, 60,78 Prozent).
"Für uns lag die Zukunft nicht mehr bei Andrea Rippstein."
Gerhard Zösch, Kreisgeschäftsführer CSU
Was ihr 2017 nicht gelungen war, sollte sie im Wahljahr 2023 nachholen: Den Sieg über die SPD im Kampf um das Sander Rathaus. Zumindest sei das damals der Plan gewesen, erklärt Gerhard Zösch, Kreisgeschäftsführer der CSU und lange Zeit Oberhaupt sowie einflussreichster Politiker des Sander Ortsverbandes. Als schließlich die Entscheidungen über seine Nachfolge anstanden – 2020 als Zweiter Bürgermeister, 2021 als Ortsvorsitzender – hatten sich die Vorzeichen jedoch geändert. Der junge Julian Müller hatte die Gunst der Parteimitglieder erlangt. Die Wahl fiel auf ihn.
Die Gunst der Parteimitglieder verloren
"Für uns lag die Zukunft nicht mehr bei Andrea Rippstein", sagt Zösch gegenüber dieser Redaktion. Davon sprechen, die einstige Hoffnungsträgerin fallen gelassen zu haben, möchte der 73-Jährige nicht. Rippstein habe in der Zeit nach ihrer Wahlniederlage schlichtweg zu "wenig Engagement" gezeigt, begründet er den Entschluss, von ihr als Nachfolgerin abzurücken. Anders Julian Müller. "Er will etwas bewegen", sagt Zösch. "Ich bin heute überzeugt, dass der Weg der Richtige war."

Mit allzu deutlicher öffentlicher Kritik an Andrea Rippstein halten sich die einstigen Weggefährten weitgehend zurück. Hinter vorgehaltener Hand ist aus der CSU jedoch zu hören, dass die Vorwürfe gegen Müller die Folge von "Neid und Angst" vor einer "jungen, aufstrebenden Konkurrenz" seien. Kurzum: Rippstein wäre gerne selber Bürgermeisterkandidatin geworden. Doch dem widerspricht die Lokalpolitikerin vehement. "Das ist kein Rachefeldzug und ich möchte auch nicht mehr ins Sander Rathaus", erklärt Rippstein auf Nachfrage. Eine erneute Kandidatur schließt die 46-Jährige aus: "Ich habe 2017 ein Angebot abgegeben, das hat nicht geklappt", sagt sie.

Den Schritt, aus Fraktion und Partei auszutreten, habe sie sich nicht leicht gemacht, sagt Andrea Rippstein. "Es war keine spontane Entscheidung, sondern Ergebnis eines langen und wohlüberlegten Prozesses." Sie gilt fortan als fraktionslos, verliert ihre Sitze in zwei Ausschüssen, die von der CSU neu besetzt werden können. Ab dem 31. Oktober ende ihre Mitgliedschaft in der Partei offiziell, sagt sie. Ihren Sitz im Gemeinderat möchte Rippstein bis zur nächsten Wahl in vier Jahren behalten. "Ich bin von den Sander Bürgern gewählt und möchte trotz aller Umstände parteiübergreifend mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten", betont sie.
Und wem drückt sie im kommenden Jahr bei der Bürgermeisterwahl die Daumen? Das möchte Rippstein für sich behalten.