Spannung liegt in der Luft. Mit Schwung kurbelt Jannina Hector das große Sternrad an. Durch Zahnräder angetrieben, setzt sich der Drucktisch in Bewegung. Den eingefärbten Linolschnitt mit dem aufgelegten Papier zieht es zwischen zwei Stahlwalzen hindurch. Deutlich ist der Künstlerin die Aufregung anzumerken. „Der erste Druck ist für mich immer wie ein Sog“, beschreibt sie ihre Empfindungen. „Ich stehe unter Hochspannung und werde in den Druckvorgang regelrecht hineingezogen.“ Vorsichtig und hoch konzentriert fasst Jannina Hector eine Ecke des Papieres und zieht sie in die Höhe. Dann die Erleichterung: „Der Druck ist gut gelungen“, freut sie sich.
Die im Jahr 1963 in Weitramsdorf geborene Künstlerin studierte Zeichnen und Malerei an der Neuen Kunstschule Zürich. Seit 1998 lebt und arbeitet sie mit ihrem Mann, dem Philosophen Heinz Hector, im Atelierhaus in Nassach. Im Jahr 1999 erhielt sie bei einer Ausstellung im Schloss Pommersfelden im Rahmen der Kunstpreisverleihung der Nürnberger Nachrichten eine Anerkennung. Für das Preisgeld kaufte sie sich eine „Karlsruher Radierpresse“. Die manuelle Druckpresse wurde von dem Architekten und Künstler Gernod Weis entwickelt. Mit einem 30 Zentimeter langen Spindelhebel sind 20 000 Kilopond Druckkraft erreichbar. Da ihr Rahmen nicht aus einem Guss hergestellt ist, sondern aus Einzelteilen, ist sie leichter als andere Druckpressen. Das erleichtert Transport und Aufstellung.
Die Karlsruher Druckpresse sei für Hoch- und Tiefdruckgrafiken verwendbar, erläutert Hector. Beim Tiefdruck wird, wie der Name sagt, gedruckt, was tiefer liegt. In eine glatte Oberfläche, meist eine Kupferplatte, werden hierzu mit einer Radiernadel Linien und Punkte eingeritzt. Die aufgetragene Farbe dringt in die Vertiefungen ein. Auf der Oberfläche der Druckplatte wird die Farbe weggewischt. Bedeckt mit einem angefeuchteten Papier, wird die Platte durch die Presse gezogen. Das Papier nimmt die Farbe aus den Vertiefungen auf und es entsteht ein seitenverkehrter Abdruck.
Jannina Hector bevorzugt den Hochdruck. Wie bei einem Stempel wird hierbei alles gedruckt, was erhaben ist. Die hochstehenden Flächen und Linien auf der Druckplatte geben die Farbe direkt ans Papier ab. Tiefdruck sei wesentlich technischer und komplizierter. „Der Hochdruck ist für mich direkter und ursprünglicher“, so die Künstlerin. „Mit der Druckgrafik verbindet mich eine lange Liebe.“ Vor dem Erwerb der Radierpresse zog Hector die Drucke mit großem Kraftaufwand mit der Hand ab, später benutzte sie die Presse der Schweinfurter Radiergruppe. „Meine Druckpresse ist für mich sehr wichtig“, beteuert sie. Der Druck werde damit schöner als der von Hand. Außerdem sei sie mit einer eigenen Maschine unabhängig von Terminen und Transportmitteln.
Doch bis die große Druckpresse in Gang gesetzt werden kann, bedarf es vieler Arbeitsschritte. Am Anfang steht die Idee, die zunächst als Skizze mit Bleistift zu Papier gebracht wird. „Die Zeichnung übertrage ich ganz altmodisch mit Pauspapier auf die Linoleumplatte“, schildert Hector ihr Vorgehen. Mit Werkzeugen wie Hohleisen, Geißfuß und Schnitzmesser wird alles überflüssige Material um die Motive herum weggenommen. Meist stellt sie erst einen Schwarz-Weiß-Abzug her, bevor sie mit Farben experimentiert. Hector mischt die Ölfarben auf Glasplatten und trägt sie mit kleinen Walzen auf.
Der Linolschnitt, den sie gerade für den Druck vorbereitet, trägt den Titel „In Bewegung“. Auf der Platte wimmelt es von Figuren und Motiven. Es kommen viele Farben zum Einsatz, teils in Reinform, teils auf der Glasscheibe oder direkt auf der Platte gemischt. Dies erfordert viel Geduld und Erfahrung. Es könne aber auch erst nur eine Farbe gedruckt werden und jede weitere Farbe jeweils bei einem erneuten Druckdurchgang hinzukommen, erklärt Hector. Pro Einfärbung sei jedoch nur ein Druck möglich. Der Ausschuss sei relativ hoch. Manchmal diene aber ein Fehldruck als Grundlage für eine andere Arbeit, erläutert Hector.
Die eingefärbte Platte wird mittels einer Schablone auf dem Druckschlitten positioniert. Zum Auflegen des Papieres, dem künftigen Druck, bedarf es einer ruhigen Hand. Nichts darf verrutschen oder schief aufliegen. Der Druck der Walzen wird über zwei Spindeln mit Trapezgewinde reguliert. Noch einmal tief Luft holen – dann ist es soweit: Die Karlsruher Radierpresse kommt zum Einsatz.
Vor jedem Druck muss der Linolschnitt vollkommen gereinigt werden. Hector fertigt nur niedrige Auflagen, häufig vier Stück, meist mit unterschiedlichen Farben. „Mich interessiert das Experiment und die Variation, nicht die Menge.“ Jeder Druck sei ein Original, in dem viel Handwerkskunst stecke. „Das geht nicht mit einem Mausklick. Ich arbeite entgegengesetzt zu unserer heutigen Schnelligkeit.“ Umso größer sei die Freude, wenn ihre Arbeiten Gefallen finden. Besonders stolz sei sie darauf, dass die Bayerische Gemäldesammlung vor kurzem ihre Druckgrafik „Menschenfresser“ aus einer Ausstellung in der Bamberger Villa Dessauer erworben habe.
Bekanntschaft mit Hectors Druckpresse können Interessierte beim Workshop „Drucken mit Linoleum“ vom 26. bis 28. Oktober im Atelier in Nassach schließen. Infos und Anmeldung über Jannina Hector, Tel. (0 95 23) 95 05 58.