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Haßfurt: Der freundliche Obdachlose von Haßfurt

Haßfurt

Der freundliche Obdachlose von Haßfurt

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    Schon seit Jahren lebt Martin Krauß in Haßfurt unter der Brücke am Wildbad. Mit Passanten unterhält er sich freundlich, Ärger machen will er nicht.
    Schon seit Jahren lebt Martin Krauß in Haßfurt unter der Brücke am Wildbad. Mit Passanten unterhält er sich freundlich, Ärger machen will er nicht. Foto: René Ruprecht

    Seit etwa acht Jahren lebt Martin Krauß in Haßfurt. Allerdings nicht in einem Haus, sondern unter einer Brücke. Über Martin Krauß fließt der Verkehr auf der Staatsstraße von Bamberg nach Schweinfurt, neben ihm fließt die Nassach. An seinem Zuhause kreuzen sich Fuß- und Radwege, die das Wohngebiet im Nordwesten Haßfurts mit der Altstadt und dem Bahnhof verbinden. Viele Menschen kommen hier regelmäßig vorbei: Auf dem Weg zur Arbeit. Auf dem Weg zum Einkaufen. Beim Spaziergang. 

    Längst haben sich die Anwohner an den ungewöhnlichen Untermieter der Brücke gewöhnt. Wenn Passanten vorbei kommen, grüßt Martin Krauß freundlich, die meisten kennen ihn und grüßen ebenso freundlich zurück. Manche bleiben stehen und reden ein paar Worte mit ihm. Ärger mache er nicht und wolle er auch nicht machen, sagt Krauß. Deswegen kann er auch kaum verstehen, warum Holger Rüdig bei ihm stehen bleibt und versucht, ihm ins Gewissen zu reden. 

    Passanten und Freunde bleiben oft bei Martin Krauß stehen, unterhalten sich mit ihm oder bringen im etwas zu essen.
    Passanten und Freunde bleiben oft bei Martin Krauß stehen, unterhalten sich mit ihm oder bringen im etwas zu essen. Foto: René Ruprecht

    Rüdig ist Mitarbeiter des Haßfurter Bauhofs und wirft Martin Krauß vor, für umfangreiche Verschmutzungen verantwortlich zu sein, die Rüdig und seine Kollegen beseitigen müssen. Dabei spricht er nicht im Namen des Bauhofs. Seine Kritik äußert er als Privatperson, weil ihm sowohl Stadtverwaltung als auch Polizei gesagt hätten, dass sie in der Angelegenheit nichts unternehmen können. Rüdig betont, dass ihm der Obdachlose leid tue. "Ich will nur helfen", sagt er. Aber es müsse doch etwas gegen "das Problem hier" unternommen werden.

    Wer ist für den Müll verantwortlich?

    "Ach", entgegnet Martin Krauß, "jetzt bin ich schon ein Problem?". Für den Abfall, der in den Büschen in der Umgebung liegt, könne er nichts, er sei nicht dafür verantwortlich, was Passanten in die Natur schmeißen. Seinen Müll in der Landschaft zu entsorgen, käme für ihn auch nicht in Frage: "Das hab ich schon als Kind so gelernt."

    Und die Flaschen, Lebensmittelverpackungen und anderen Dinge, die um seinen Platz herum liegen, würden regelmäßig weggebracht. Nicht von ihm selbst, sondern von Freunden, die ihn besuchen kommen. Denn Krauß ist gehbehindert. Schuld daran sei eine misslungene Operation, seit der er nicht mehr richtig laufen kann.

    Dass am Abhang zum Bachlauf einiges an Müll in den Büschen liegt, ist kaum zu übersehen. Martin Krauß weigert sich aber, dafür die Verantwortung zu übernehmen: Was könne er denn dafür, wenn andere Leute dort etwas wegschmeißen?
    Dass am Abhang zum Bachlauf einiges an Müll in den Büschen liegt, ist kaum zu übersehen. Martin Krauß weigert sich aber, dafür die Verantwortung zu übernehmen: Was könne er denn dafür, wenn andere Leute dort etwas wegschmeißen? Foto: René Ruprecht

    Wie aber landete Martin Krauß unter der Brücke? Geboren wurde er 1964 in Ansbach, erzählt er. Seine Eltern hätten dort eine Eigentumswohnung gehabt. Nach der Scheidung der Eltern sei er zunächst bei einem Kumpel eingezogen, dann folgte ein Hin und Her zwischen einem Leben in eigenen Wohnungen und einem Leben auf der Straße.

    Gearbeitet habe er in verschiedenen Berufen, unter anderem erzählt er von einer Schreinerlehre, die er kurz vor der Prüfung abgebrochen habe, sowie von anderen Tätigkeiten, unter anderem als Maurerhelfer und Steinmetzhelfer.

    "Ich habe nichts zu verbergen. Dass ich Alkohol trinke, weiß jeder. Dass ich nicht jeden Tag stockbesoffen bin, auch."

    Martin Krauß, Obdachloser

    In solchen Berufen könne er heute aufgrund seiner Gehbehinderung nicht mehr arbeiten. Die meiste Zeit verbringt er im Liegen. Oft sieht man ihn, wie er Bücher liest, die ihm Anwohner gebracht haben. Wenn er sich mal ein Stück von seinem Platz wegbewegen will, braucht er Krücken.

    Unter der Brücke am Wildbad in Haßfurt ist er vor etwa acht Jahren "eingezogen" und lebt dort seitdem mit Unterbrechungen. Auch im Winter ist er draußen. Gegen die Kälte schützen ihn seine Kleidung, Decken und ein Schlafsack. "Meine Nachbarn sind alle ganz nett", sagt er über die Anwohner. Oft brächten ihm Leute etwas Essen, an Festtagen wie Weihnachten oder Ostern werde er "mit Süßzeug erschlagen".

    Der Schlafplatz des Obdachlosen liegt an einem Fußweg, der von einem Wohngebiet zur Innenstadt führt. Viele Menschen kommen hier vorbei, beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen.
    Der Schlafplatz des Obdachlosen liegt an einem Fußweg, der von einem Wohngebiet zur Innenstadt führt. Viele Menschen kommen hier vorbei, beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Foto: René Ruprecht

    Mit Menschen, die ihn ansprechen, geht er offen um, egal, ob es sich um Passanten, Behördenvertreter, Polizisten oder die Presse handelt. "Ich habe nichts zu verbergen", sagt Martin Krauß. "Dass ich Alkohol trinke, weiß jeder. Dass ich nicht jeden Tag stockbesoffen bin, auch."

    Dennoch: Holger Rüdig ist unzufrieden mit der Situation. Und das hat mehrere Gründe. Auch wenn Martin Krauß den Müll, der in den Büschen liegt, nicht selbst dort hingeworfen habe, sei er dafür zumindest mitverantwortlich. "Das hat mit ihm selbst wenig zu tun. Das Problem ist das Klientel, das sich drum rum sammelt." Denn Rüdig berichtet, unter der Brücke seien auch oft Freunde des Obdachlosen zu Besuch, die sich weniger gesittet verhalten als er.

    "Die Ratten waren schon vor mir da."

    Martin Krauß, Obdachloser

    So sagt der Bauhof-Mitarbeiter, er wisse von Bürgern – gerade von jungen Frauen – die den Fußweg unter der Brücke meiden, auch wenn es einen Umweg bedeutet. Nicht wegen Martin Krauß, sondern wegen seiner Besucher. Und schließlich wirft Rüdig dem Obdachlosen vor, mit seinen Lebensmittelvorräten Ratten anzuziehen: "Die laufen schon am helllichten Tag da rum."

    Martin Krauß widerspricht. Dass Besucher länger bei ihm bleiben, habe es früher gegeben, doch in den vergangenen, kalten Monaten und mit den Auflagen zum Schutz vor Corona sei mittlerweile selten jemand länger bei ihm. Und auch diesen Vorwurf, will er so nicht stehenlassen: "Die Ratten waren schon vor mir da."

    Lieber auf der Straße als in der Obdachlosen-Unterkunft

    "Es heißt immer: Die Stadt soll was machen", sagt Haßfurts Bürgermeister Günther Werner. Einen großen Handlungsspielraum habe die Stadt aber nicht. Die in Deutschland geltende Freizügigkeit erlaubt es Menschen, ihren Wohn- und Aufenthaltsort frei zu wählen, das schließt auch ein Leben auf der Straße ein.

    Das bestätigt auch Julia Abler von der Wärmestube Würzburg, einer Anlaufstelle für Menschen, die obdachlos geworden sind oder kurz davor stehen. So lange jemand keine Gefahr für sich oder andere darstellt, ist es auch nicht möglich, ihn zu zwingen, Hilfe anzunehmen.

    Bürgermeister Werner sagt: "Wir haben ihm ja schon angeboten, dass er in die Obdachlosen-Unterkunft ziehen kann. Das will er alles nicht. Das ist sein freier, eigener Wille." Martin Krauß sagt, wenn ihm eine Wohnung angeboten würde, könne er sich schon vorstellen, dort einzuziehen. Was er aber nicht will, ist ein Leben in einer Einrichtung für Obdachlose – da bleibe er lieber auf der Straße.

    "Mein Leben, meine Zeit" steht fettgedruckt auf dem Wecker. "Die Uhr ist mir sehr wichtig" sagt Martin Krauß. Nach einem Aufwachen mitten in der Nacht schenkt die Uhrzeit eine Orientierung.
    "Mein Leben, meine Zeit" steht fettgedruckt auf dem Wecker. "Die Uhr ist mir sehr wichtig" sagt Martin Krauß. Nach einem Aufwachen mitten in der Nacht schenkt die Uhrzeit eine Orientierung. Foto: René Ruprecht

    "Solche Fälle haben wir hier auch", sagt Julia Abler. So gebe es Obdachlose, die den Einzug in eine Gemeinschaftsunterkunft ablehnen. Gründe seien unter anderem der Wunsch nach Privatsphäre oder die Angst vor Diebstählen. "Wir arbeiten viel mit Passanten zusammen", sagt Abler. Von denen komme oft der Hinweis auf Menschen, die auf der Straße leben. Abler und ihre Kollegen suchen die Leute dann auf und versuchen, Kontakt aufzunehmen. Oft sei es ein langwieriger Prozess, bis jemand Hilfe annimmt. "Man muss auch damit leben, dass sich nicht jeder helfen lässt."

    Keine Probleme mit der Polizei

    Der Obdachlose gebe keinen Anlass für Einsätze, sagt Kurt Etzel, stellvertretender Leiter der Haßfurter Polizeidienststelle, über Martin Krauß. "Er will halt da wohnen." Beschwerden aus der Bevölkerung gebe es "eher nicht". Auch über Verunreinigungen könne Etzel nicht klagen: "Eine Müllhalde ist es sicher nicht." So sieht Etzel kein Problem darin, es zu akzeptieren, wenn jemand seinen Lebensentwurf so gestaltet: "Es passt halt nicht ins Weltbild mancher Leute."

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