Wustviel hat sich herausgeputzt für dieses Wochenende. 1000-jähriges Bestehen feiert das 220-Einwohner -Dorf im Steigerwald, das zur Gemeinde Rauhenebrach (Lkr. Haßberge) gehört. Bevor am Sonntag alte Bulldogs und historisches Gerät wie Most- und Kartoffelpresse zum Einsatz kommen, darf Samstagmittag Hubert Aiwanger ran. Bürgermeister Matthias Bäuerlein hat den Parteifreund von den Freien Wählern zum Wahlkampfauftritt geladen. Der Vize-Ministerpräsident soll verhindern, dass der Steigerwald irgendwann doch Nationalpark wird.
Über 300 Menschen haben sich trotz Hitze unter freiem Himmel im Dorfzentrum versammelt, die Feuerwehr hat die Ortsdurchfahrt eigens gesperrt. "Ein bisschen Neugier" nach den Schlagzeilen, die "der Hubert" zuletzt produziert hat, sei schon auch dabei, räumen einige Schaulustige ein. Dabei haben sie ihm längst verziehen. "Eine 35 Jahre alte Verfehlung jetzt zum Thema zu machen, das geht doch nicht", sagt einer. "Ist halt Wahlkampf", ein anderer. Nein, hier in Wustviel findet offenbar niemand problematisch, wie Aiwanger mit der Flugblatt-Affäre umgegangen ist. Darf man Sie mit Namen zitieren? "Nein, das möchte ich lieber nicht."

Nur eine scheint anders zu denken. Katharina Winterhalter, die hier in der alten Dorfschule zu Hause ist, hat sich ein Plakat um den Hals gehängt. Ganz schlicht hat sie draufgeschrieben: "Ich möchte Sie etwas fragen, Herr Aiwanger." Sie habe der Umgang des Freie-Wähler-Politikers mit dem antisemitischen Flugblatt "erschüttert", sagt die freie Journalistin und Autorin. "Was will die denn?" Die Reaktion der anderen Wustvieler klingt ein wenig genervt. Doch Winterhalter wird ihr Gespräch mit Aiwanger bekommen.
"Wir müssen den Steigerwald schützen und nützen"
Das Thema des Tages indes ist die Zukunft des Steigerwalds. Nein, dieser dürfe keinesfalls Nationalpark werden, sagen Gerda Dösch und Lydia Bößner. "Wir müssen ihn schützen und nützen", stellen sie klar. Der Wald sichere Arbeitsplätze in der Forst- und Landwirtschaft, bei Sägewerken und Schreinereien. Und auch touristisch attraktiv sei der Steigerwald nur, "wenn wir ihn pflegen". Umfragen, laut denen eine Mehrheit in Bayern sich einen Nationalpark Steigerwald wünscht, seien "unseriös", meinen die Damen. "Da werden doch oft nur die Städter gefragt."
Gerne hätte man darüber neulich bei einem Wahlkampfauftritt auch mit der grünen Spitzenkandidatin Katharina Schulze gesprochen, erzählt Dösch weiter. Doch die habe sie trotz anderslautender Zusage erst warten lassen und letztlich versetzt. "Geht gar nicht", sekundiert ihre Freundin. Und bekommt Beifall von den Umstehenden.

Sind wirklich alle in Wustviel gegen strengeren Naturschutz? "Nein, es gibt schon auch welche, die das anders sehen. So ein Nationalpark wäre ein gewaltiger Schub für den Fremdenverkehr." Der Mann, der das sagt, will lieber anonym bleiben. "Ich habe Kundschaft, da möchte ich's mir mit niemandem verderben."
Schließlich kommt Hubert Aiwanger. Wanderschuhe, weißes Hemd, hochgekrempelte Ärmel. Bürgermeister Bäuerlein hat den Freie-Wähler-Chef kurz zuvor in den Wald geführt. "Damit er weiß, wovon wir sprechen." Am Rednerpult vor dem Kriegerdenkmal ist der Freie-Wähler-Chef dann auch gleich in seinem Element. Der Streit um den Nationalpark steht für ihn stellvertretend für die Kluft zwischen Stadt und Land in Bayern. Er könne gut verstehen, dass die Menschen im Steigerwald "keine Lust haben, Feigenblatt für die grüne Schickeria zu spielen".

Den Wald sich selbst zu überlassen, wie es in Nationalparks der Fall sei, sei keine Lösung. "Dafür ist unsere Natur zu wertvoll." Nicht "irgendwelche Ideologen", sondern die Menschen, die hier seit 1000 Jahren im und mit dem Wald leben und arbeiten, wüssten am besten, "was gut für ihre Zukunft und die ihrer Betriebe ist". Die Überlegung, einen Nationalpark auf Buchenbasis zu gründen, sei in Zeiten des Klimawandels "unsinnig". So produziere man "steppenartige Flächen", bestenfalls "Wolf-Erwartungsland". Darunter litten zum einen die Einheimischen, aber auch die Touristen aus der Großstadt würden am Ende dann lieber nach Bali in den Urlaub fliegen, statt in den ausgedörrten Steigerwald zu kommen.
Aiwanger bekennt sich zu "Stammtisch-Politik"
Die Freien Wähler seien der Garant dafür, dass die Menschen im Steigerwald und anderswo auf dem Land in Bayern nicht als Bürger zweiter oder dritter Klasse betrachtet werden, sagt Aiwanger. Er bekenne sich zu einer "Stammtisch-Politik", wo miteinander geredet werde und nicht "Bürokraten in Nadelstreifen" Vorgaben machten, sagt der Vize-Ministerpräsident und malt sein Bild vom idyllischen Landleben. Hier gebe es ein Miteinander mit der Natur, eine funktionierende Sozialstruktur mit reichlich Ehrenamt, hier müsse man die Haustür nicht zuschließen und könne auch mal den Autoschlüssel stecken lassen. "Diese Heimat" gelte es weiterzuentwickeln.
Hubert Aiwanger redet gut 20 Minuten, viel Beifall ist ihm gewiss. "Hubert, Hubert"-Rufe, wie zuletzt aus vielen Bierzelten übermittelt, bleiben aber aus. Die Wustvieler setzen stattdessen auf Selfies mit dem Freie-Wähler-Chef. Und der nimmt sich Zeit dafür.
Schließlich kommt auch Katharina Winterhalter zu ihrem Gespräch. Ziemlich lang sieht man die beiden auf einer Bierbank vertieft – nachdenklich. Sie habe Aiwanger gesagt, berichtet die Journalistin im Nachgang, mit Blick auf die deutsche Geschichte hätte sie sich gewünscht, dass er sich den Vorwürfen rund um das Flugblatt stellt und nicht den Spieß umdreht und der Presse eine Schmutzkampagne vorwirft. Der Vize-Ministerpräsident sei höflich gewesen, ohne sich von seinem Vorgehen zu distanzieren. Katharina Winterhalter: "Immerhin hat er mir zugehört."