Früher schnatterten Gänse quasi in jedem Dorf durch die Straßen. Jeder Bauer hatte welche. Heutzutage ist das Federvieh aus den Ortsbildern beinahe verschwunden. Damit einhergehend ist eine Gänseart fast ausgestorben: die Altdeutsche Landgans, auch Bayerische Landgans genannt. Dass es soweit nicht gekommen ist, ist auch ein Verdienst von Helmut Dressel aus Nassach.
„Die weißen Gänse, die heute verbreitet sind, das sind meist reine Industriegänse“, sagt der 56-Jährige. Sie sind größer und fetter als die alten Sorten, deren Federkleid Schattierungen in vielen Farben aufweist. Der Knochenbau der weißen Mastgänse ist massiver, dafür ist ihr Fleisch auch nicht so zart als das der Landgänse, meint Dressel. „Die Landgans ist eine reine Weidegans, das schmeckt man.“
Vor 25 Jahren hat Dressel begonnen, Landgänse zu züchten. Damals gab es kaum noch Zuchtpaare in Deutschland. Es stand schlecht um die Art. Die Stammfamilie seines ersten Zuchtpaars kommt aus Wipfeld (Kreis Schweinfurt) am Main. Dort hatten einige Bauern, darunter die Eltern des heutigen Bürgermeisters Peter Zeißner, noch ein paar Exemplare der alten Landgans. Dressel und weitere Züchter sorgten dafür, dass deren Gene erhalten wurden. Bis vor etwa zehn Jahren hat Dressel regelmäßig weitere Zuchtgänse aus Wipfeld geholt.
Ein befreundeter Züchter, Alfred Lücke aus der niedersächsischen Gemeinde Aerzen, hat von Helmut Dressel mehrmals Zuchttiere erhalten. So konnte dieser vor drei Jahren der Gemeinde Wipfeld zehn Jungtiere schenken. Diese leben nun frei am Main. Damit schloss sich ein Kreislauf: Die Landgans kehrte dorthin zurück, wo Dressels erste Zuchttiere herkamen. Gerade rechtzeitig, denn im vergangenen Jahr starb dort der letzte Ganter der ursprünglichen Wipfelder Landgänse – er ist etwa 40 Jahre alt geworden. Nun soll er ausgestopft einen Ehrenplatz erhalten, wie Peter Zeißner mitteilte.
Was die Landgans besonders auszeichnet, ist ihre Brutsicherheit. „Die Gänse legen mit großer Regelmäßigkeit acht bis 15 Eier. Die Brutpflege ist bei ihnen hervorragend und sie kümmern sich liebevoll um die Gössen, ihre Jungen“, erklärt Dressel. 50 bis 60 Zuchtstämme in allen Farbschlägen sind es, die mittlerweile von Nassach aus den Weg zu vielen Züchtern gefunden haben – „vom Breisgau bis zu den Färöer-Inseln im Nordatlantik“, wie Dressel berichtet.
In ihnen allen leben Gene der Landgänse aus Wipfeld weiter, die sich über Dressels Zucht in Nassach verbreitet haben. Zeitweise gingen die Zuchttiere weg wie warme Semmeln, erst die Vogelgrippe vor einigen Jahren, verbunden mit entsprechenden Einschränkungen für die Haltung von Federvieh, bremste die Zucht etwas. So hat der Nassacher Helmut Dressel guten Anteil daran, dass es heute in Deutschland wieder etwa 300 Zuchtpaare der Landgans gibt.
Die Hellblaue Frankengans geht ebenfalls auf eine Kreuzung mit Tieren aus Dressels Zucht zurück. Ein Züchter aus Geiselwind (Kreis Kitzingen) hat für diese den offiziellen Status als Zuchtgans eintragen lassen. Der Nassacher ist darüber nicht glücklich. „Das führt dazu, dass durch ständige Weiterzüchtung und Kreuzungen die natürlichen Gene der Landgans mehr und mehr verloren gehen.“
Echte Abstammungen
Für seine eigene Zucht gilt: „Ich mach' mein Zeug – da kommt mir kein anderer Schlag rein.“ Das heißt jedoch nicht, dass er zur Blutauffrischung bei seinen Landgänsen nicht auch „alle paar Jahre“ von anderen Züchtern, mit denen er in Kontakt steht, Tiere zu sich nimmt. Es müssen jedoch immer echte Abstammungen von Landgänsen sein.
Auch der 77-jährige Alfred Lücke aus Niedersachsen erklärt am Telefon sein Ziel als Züchter in diesem Sinn: „Wir wollen unsere Gänse weiterzüchten. Es sind die nähesten Verwandten der verschwundenen Wildgraugans.“
„Ein Kulturgut“
Es gehe hier also um den Erhalt von Kulturgut, erklärt der pensionierte Polizist, der sich in den zurückliegenden Jahren immer wieder fränkische Zuchttiere bei Helmut Dressel in Nassach geholt hat.
Auch wenn die Landgänse heute nicht mehr vom Aussterben bedroht sind, so werden sie wohl nie mehr die Dorfstraßen bevölkern. Dressel hat ein altes Foto aus Nassach parat, auf dem gut 30 Gänse den Löschweiher und dessen Umgebung in der Nassacher Dorfmitte bevölkerten. „Meine Oma hat mir berichtet, dass sie um die Jahrhundertwende herum einfach das Hoftor aufgemacht haben, und schon zogen die Gänse los durchs Dorf“, erzählt Dressel.
Gänse prägten damals nicht nur das Dorfbild, sondern waren auch ein Wirtschaftsfaktor. Wenn Dressels Oma neue Kleidung für ihre Kinder gebraucht hat, trieb sie ihre Gänse nach Oberlauringen. Dort tauschte sie das Federvieh dann ein – gegen Hosen, Hemden und Jäckchen.