Die Haßberge vor 11 500 Jahren: Drei Sippen leben in der Gegend, darunter das Volk der Eschenleute. Die Menschen der Sippe leben in einer großen Höhle am Riedbach. Sie verehren Udonn, die große Mutter. Die Frauen haben die Macht in der Gesellschaft, Männer, die keine Frau finden, müssen die Sippe verlassen.
An der Spitze einer Sippe steht immer die Vogelfrau, eine Art Priesterin, die in Trance ihren Körper verlassen und mit einem Vogel über die Länder fliegen kann. Sie trifft die Entscheidungen. Aus Ravan, der Vogelfrau der Eschenleute, spricht die Göttin, aus Godain, einem Schamanen, eine männliche Gottheit, der Hirschgott. Dieser wiegelt die Männer zum Kampf gegen die Frauen auf. Dann bebt die Erde, es kommt zur Naturkatastrophe. Und Ravan und Godain, die sich zudem abgöttisch lieben, müssen gemeinsam ihr Volk retten.
Die raue Landschaft der Haßberge hat Regine Leisner, die in Humprechtshausen lebt, zu ihrem spannenden Steinzeitroman inspiriert. „Dass ich hier auf dem Dorf leben darf, war für mich wie eine Neugeburt“, sagt sie. Die 52-Jährige verbringt viel Zeit draußen mit ihren beiden schwarzen Schnauzern Gandalf und Fritz. Die Natur ist neben der Arbeit mit Menschen für sie das Wichtigste in ihrem Leben.
Diese Naturverbundenheit ist auch ihrem Roman anzumerken. „Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Gegend, an die intakte Natur. Die Haßberge kommen mir manchmal ein bisschen vor wie das Ende der Welt und das liebe ich so an ihnen“, sagt die Autorin.
Eines der wichtigsten Themen des Buches ist die spannungsgeladene Liebe zwischen Ravan, die sehr jung die Verantwortung für ihre Sippe übernehmen muss, und dem Schamanen Godain. Die beiden sind das Sprachrohr rivalisierender Gottheiten, wissen aber, dass sie füreinander bestimmt sind. Und müssen dafür erst die ganze Ordnung ihrer Gesellschaft außer Kraft setzen. Der Konflikt zwischen den Männern und den Frauen beherrscht das Buch.
„Das Buch ist eine Liebeserklärung an die intakte Natur der Haßberge.“
Regine Leisner Autorin
Leisner schildert lebhaft und mit bilderreicher Sprache die Welt, in der ihre Protagonisten sich bewegen. Flora und Fauna der späten Altsteinzeit entstehen in ihrem Roman noch einmal.
Und angesichts der Not, die die Menschen leiden, als es zur Katastrophe kommt und die Sippe vor einem Vulkanausbruch fliehen muss, fiebert man als Leser richtig mit. Auch die Konflikte, die vor allem Ravan mit sich austragen muss, erlebt man hautnah.
Zwei Jahre hat Leisner archäologische Bücher gewälzt, über Ernährung, Lebensweise, Jagdwaffen oder Heilkräuter. Und das große Wissen merkt man ihrem Roman, der in der Zeit des Übergangs von der Altsteinzeit zur Mittelsteinzeit spielt, auch an: Ihre Schilderungen sind detailgetreu, teilweise etwas detailverliebt. Das ist manchmal etwas verwirrend.
Ein bisschen schade ist auch, dass zwischendurch Fragen aufgeworfen und Handlungsstränge angedeutet werden, die dann ins Leere laufen, und man als Leser manchmal zurückblättert, um zu sehen, ob man nicht etwas überlesen hat. Und der Schluss des Buches bringt noch einmal eine völlig neue Geschichte ins Spiel, anstatt die erste abzurunden.
Dennoch ist „Die Rabenfrau“ ein packender Roman, der einen eintauchen lässt in die Welt der Steinzeit, in die sozialen Spannungen zwischen den Menschen, in die Schwierigkeiten von Macht und Unterdrückung, und in die Innenwelt einer jungen Frau, die die Verantwortung tragen muss.
Der Roman liest sich leicht, das Geschehen lässt einen das Buch nur widerwillig für eine Pause aus der Hand legen. Auch das Schreiben dieses Buchs ist Regine Leisner leicht gefallen: „Sobald ich mich an meinen Computer gesetzt habe, sind die Geschichten einfach so aus mir heraus geflossen“, erzählt sie. Oft hat ihr Mann beim Abendessen gefragt: „Und, wie geht es weiter?“, und Leisner wusste darauf noch keine Antwort. Doch am nächsten Morgen hatte sich die Geschichte in ihrem Kopf weiterentwickelt. „Die Figuren haben sich nach einiger Zeit verselbstständigt. Ich habe Bilder gesehen und Dialoge gehört. Eigentlich war ich einfach nur noch die Chronistin.“
In der Hauptfigur der jungen Ravan steckt ein bisschen auch die Autorin selbst: „Ich habe mir überlegt, was für Erfahrungen ich angestrebt hätte, wenn ich in der Altsteinzeit gelebt hätte. Aus diesen Überlegungen heraus ist irgendwann Ravan entstanden.“
Insgesamt vier Jahre hat es gedauert, bis Regine Leisner ihren ersten Roman fertig hatte. Schon als Sechsjährige hatte sie Gedichte geschrieben, die ihre Eltern aufgehoben haben. „Das Wort war schon immer mein Medium“, sagt sie. Jetzt arbeitet die Autorin, Kommunikationstrainerin und psychologische Beraterin schon an ihrem zweiten Roman, einem Folgeband, der in der Bronzezeit spielen wird.