Nur ein Gebet kann sie erlösen, ansonsten versuchen sie bis in alle Ewigkeit, ihr Unrecht wieder gut zu machen: Die Spinnwebmännlein im Haßgau. Die nach ihnen benannte Sage geht so:
In der oberen Haßgaugegend kann man zwischen dem Elfuhr- und dem Mittagsläuten an heißen Sommertagen auf dem Felde die Spinnwebmännlein sehen. Davon hatte auch klein Hans gehört, aber er wollte mehr wissen: "Opa, hast du die Spinnwebmännlein schon mal gesehen?" fragte Hans seinen Großvater.
"Nun, selber hab ich sie nicht gesehen, aber von ihnen gehört habe ich mehrmals", nickte der Alte bedächtig. "Erzähl mir von ihnen!", forderte sein Enkel und rückte näher an seinen Opa, um auch kein Wort zu verpassen.
Sie erscheinen an besonders heißen Tagen
"Hm", begann der Großvater, "also mit den Spinnwebmännlein verhält es sich so. Nur an besonders heißen Sommertagen, in der Stunde vor Mittag, wenn die Turmuhr also gerade elf Schläge getan hat, dann erscheinen sie entlang der Feldwege. Sie rücken an mit Spaten und Hacken und suchen die Feld-Marksteine. Dort schaufeln und hacken sie herum. Weißt du, die Feld-Marksteine sind Markierungen, die anzeigen, wo ein Ackerlandbesitz aufhört und ein anderer anfängt. Es sind gut verankerte Steine, die nach dem Ausmessen der Felder dort sorgfältig gesetzt worden sind, damit jeder weiß, wo sich die Grenze befindet, zwischen seinem Acker und dem seines Nachbarn. Es gibt aber unter den Menschen immer wieder mal welche, denen das Ihre nicht genug ist und die sich nicht scheuen, nachzuhelfen, damit ihr Besitz vergrößert wird."
"Oh", fuhr der Enkel dazwischen, "dann wollen die Spinnwebmännlein die Markiersteine versetzen?" "Ja", antwortete der Opa, "aber es gelingt ihnen nicht, denn die Spinnwebmännlein sind Geister, und Geister können auf der Erde nicht wirklich etwas bewegen, so sehr sie sich auch abmühen."
Vom schlechten Gewissen geplagt
"Warum tun sie es dann?", bohrte das Hänschen weiter. "Sie tun es, weil ihr schlechtes Gewissen sie plagt, denn es sind die Geister der gierigen Bauern, die früher, zu Lebzeiten, heimlich die Grenzsteine versetzt haben, um ihren eigenen Acker zu vergrößern und den des Nachbarn zu schmälern. Sie finden im Grabe so lange keine Ruhe, bis sie ihr Unrecht wiedergutgemacht haben.
Nur selten sind sie den Augen der Lebenden sichtbar, denn nur einem verspäteten Arbeiter, der als der einzige Mensch weit und breit um die Mittagsstunde allein an den Rainen entlang einem Dorfe zueilt, ist es hie und da vergönnt, die Schemen zu schauen, wie sie in langen Mänteln, die durch den Grabesmoder durchsichtig wie Spinnweben geworden sind, im Sonnenbrand ihre Arbeit verrichten."
"Aber wenn sie doch als Geister die Steine gar nicht wieder an den richtigen Ort bringen können, müssen sie denn dann für immer damit weiter machen?", wollte es Hans ganz genau wissen. "Erlösung kann es geben", erwiderte der Großvater, "wenn einer, der die Spinnwebmännlein sieht und sich nicht fürchtet, sie anspricht und sie dazu bringt, ein Gebet mit ihm zu sprechen."
Die hier zu lesende Sage stammt aus dem Buch "Der Sagenschatz des Landkreises Haßberge" von Clarissa van Amseln und ist bei "BoD -Books on Demand", im Online-Buchhandel und über den lokalen Buchhandel erhältlich. Das Buch umfasst 146 Seiten mit 66 ganzseitigen farbigen Illustrationen. Der Preis für die gebundene Ausgabe beträgt 39 Euro, das E-Book kostet 14,99 Euro. ISBN-13: 9783759714121.