Die 28-jährige Franzi hat viele spannende Dinge zu erzählen – über sich und über das, was sie in den letzten dreieinhalb Jahren erlebt hat. Nur eines möchte sie nicht verraten: ihren vollen Namen. "Meinen Nachnamen habe ich auf Wanderschaft abgelegt", sagt sie. Auch wenn sie in dieser Zeit irgendein Dokument unterzeichnen müsse, würde sie nicht mit ihrem Familiennamen unterschreiben, sondern als "fremde, freireisende Gitarrenbauerin".
Das ist nur eine von vielen Traditionen, die Franzi als Wandergesellin pflegt. Die junge Frau stammt aus Esslingen in Baden-Württemberg, bis Ende der letzten Woche hat sie im Hofheimer Ortsteil Lendershausen gearbeitet, in der Werkstatt des Gitarrenbauers Hermann Gräfe. Im Anschluss geht es weiter nach München, den Winter will sie dann in Spanien verbringen.
Drei Jahre und ein Tag: Die Reise soll länger dauern als die Ausbildung
"Ich hatte mir irgendwann in den Kopf gesetzt, was mit Musik und mit Holz zu machen", begründet sie ihre Berufswahl. Damals hatte sie gerade angefangen, selbst Gitarre zu spielen. "Meine Mutter hat mich dann darauf aufmerksam gemacht, dass es diesen Beruf gibt." Doch wie kam es zu der Entscheidung, auf die Walz zu gehen? Zwar war es im Mittelalter und der frühen Neuzeit Pflicht für junge Handwerker, erst einmal zu reisen und auf dem Weg bei verschiedenen Meistern Erfahrung zu sammeln. Aber dann wurde der Wanderzwang aufgehoben. Lediglich als Tradition, der Handwerkerinnen und Handwerker nach ihrer Ausbildung freiwillig nachgehen können, blieben die Wanderjahre erhalten.
"Bei uns sagt man immer: Wer Pläne macht, wird ausgelacht."
Franzi, Gitarrenbauerin und Wandergesellin
"Ein Grund war für mich, reisen zu können und mal was anderes zu sehen als nur die Heimat", sagt Franzi. Außerdem gehe es darum, sich handwerklich weiterzubilden. Mindestens drei Jahre und einen Tag dauert die Wanderschaft. "Der eine Tag steht symbolisch dafür, dass die Reise länger dauert als die Ausbildung", erklärt sie. Man dürfe allerdings auch länger unterwegs sein, wenn man das wolle. So ist sie selbst bereits seit dreieinhalb Jahren auf Wanderschaft. Wie lange noch? Das weiß sie im Moment selbst noch nicht. "Bei uns sagt man immer: Wer Pläne macht, wird ausgelacht." Zwar könne sie sich durchaus vorstellen, die Wanderschaft im nächsten Jahr zu beenden. "Aber wer weiß, was bis dahin noch passiert."
Vieles kam am Ende anders als geplant
Auf die Frage, wie ihr Umfeld reagiert hat, als sie beschloss, die Heimat für mindestens drei Jahre zu verlassen, sagt Franzi: "Ich habe den Eindruck, dass die Leute es recht gelassen aufgenommen haben." Nur für ihre Großeltern und gerade für ihren Großvater sei es ein unangenehmer Gedanke gewesen: "Mein Opa hat gerne seine Enkel um sich."

Maximal drei Monate darf sie in ihren Wanderjahren bei einem Meister oder einer Meisterin bleiben, danach muss sie weiterziehen und sich eine neue Arbeitsstelle suchen. Eine Anstellung darf aber auch wesentlich kürzer sein, an manchen Orten war sie nur wenige Tage. Aber wie funktioniert es eigentlich, dass sie immer wieder eine neue Anstellung findet? "Das ist sehr unterschiedlich", sagt sie. "Ich hatte vorher schon ein paar Ideen für Stellen, an denen ich arbeiten könnte." Doch auch hier zeigte sich, dass es oft anders kommt als geplant: "Ich bin dann an keiner davon gewesen."
Manchmal hilft es auch, einfach an einer Werkstatttür zu klopfen
Oft sei es vorgekommen, dass die Chefin oder der Chef eines Unternehmens, in dem sie gearbeitet hatte, sie gleich an die nächste Kollegin oder den nächsten Kollegen weitervermittelt hat. "Gitarrenbauer sind untereinander sehr gut vernetzt", sagt Franzi. Ein anderer Weg, den sie auch einige Male gegangen ist, sei es, einfach an einer Werkstatttür zu klopfen und zu fragen, ob es dort gerade Arbeit gibt.
Aber war das in den letzten Jahren überhaupt möglich? Immerhin fiel ein großer Teil ihrer Wanderschaft in die Zeit der Corona-Pandemie – eine Zeit also, in der von Reisen abgeraten wurde und Kontakte eingeschränkt werden sollten. "Ich habe schon versucht, meinen Reisestil anzupassen", sagt sie. So versuchte sie, doch öfter längere Zeit in einer Werkstatt zu bleiben und nicht jeden Tag an einem anderen Ort zu sein. Insgesamt sei die Pandemie aber für Wandergesellinnen und -gesellen kein großes Problem gewesen. "Wir haben das weniger zu spüren bekommen als andere Leute."
Wenn eine Anstellung nicht passt: Wandergesellen dürfen auch mal Nein sagen
Auf Wanderschaft gilt die Regel, dass die jungen Handwerkerinnen und Handwerker nicht für ihre Unterkunft bezahlen dürfen. Wenn sie eine Anstellung haben, ist das kein Problem, da bekommen sie über den Betrieb einen Schlafplatz. Ansonsten hat Franzi in den letzten Jahren oft bei Privatleuten übernachtet. "Man ist halt darauf angewiesen, dass man nette Leute trifft", sagt sie. In warmen Sommernächten habe sie auch öfter draußen geschlafen.
"Dafür bin ich nicht unterwegs, dass ich mich lange an Orten aufhalte, an denen ich mich nicht wohlfühle."
Franzi, Gitarrenbauerin und Wandergesellin
"Am Anfang hat es schon eine Zeit gedauert, bis man sich dran gewöhnt", sagt die Gitarrenbauerin über all die Besonderheiten des Lebens auf Wanderschaft. "Aber mittlerweile ist es normal geworden." Und es gibt auch viele Dinge, die ihr an diesem Leben gefallen. "Es ist schön, dass man es sich raussuchen kann, auch mal Nein zu sagen." Und das habe sie auch schon getan, wenn die Arbeit, die es zu tun gab, nicht gepasst hat oder wenn sie mit jemandem menschlich nicht zurechtkam. Denn: "Dafür bin ich nicht unterwegs, dass ich mich lange an Orten aufhalte, an denen ich mich nicht wohlfühle." Schließlich sei es auch kein gutes Gefühl, als "billige Arbeitskraft" ausgenutzt zu werden.
Sieben auf einen Streich – oder auch auf zwei Streiche
Nach Lendershausen ist sie über Umwege gekommen: Ein Gitarrenbauer aus Köln hatte sie an eine Kollegin in Schweinfurt vermittelt, diese vermittelte die Wandergesellin wiederum zu Hermann Gräfe. Im Frühjahr war sie schon einmal in seiner Werkstatt, damals fingen sie gemeinsam ein Projekt an, das sie aber nicht rechtzeitig abschließen konnten. Deshalb kam Franzi nun noch einmal für einen Monat in Gräfes Werkstatt. "Sieben auf einen Streich" hieß das Projekt, in dem eine Serie von sieben Gitarren entstand – wenn auch letztlich nicht auf einen Streich, sondern auf zwei. Etwa 80 bis 100 Arbeitsstunden flossen in jedes der Instrumente, von denen sie drei aus Palisander und vier aus heimischen Hölzern fertigten.

"Ich finde das schon toll, alles hinter sich zu lassen, sich auf den Beruf und auf sich selbst zu konzentrieren", sagt Hermann Gräfe. Er selbst ist damals nach seiner Ausbildung nicht auf Wanderschaft gegangen. "Im Nachhinein denke ich, das wäre eine schöne Erfahrung gewesen."
Noch ein Wandergeselle: Der Funke ist übergesprungen
Und auch bei Ron Zenk, einem Gesellen, der noch bis zum Frühjahr bei Gräfe in der Werkstatt arbeitet, ist der Funke übergesprungen. "Ich habe schon eine Zeit lang überlegt, was ich nach der Lehre machen soll", sagt der 22-Jährige. "Dann stand Franzi vor der Tür." Nachdem er die Gelegenheit hatte, sich mit ihr auszutauschen und von ihren Erfahrungen zu hören, stand für ihn fest, dass er auch auf Wanderschaft gehen möchte. Im März soll es losgehen. Auch er nennt als Gründe vor allem die Möglichkeit zu reisen und neue Erfahrungen zu sammeln.

Auf die Frage, ob es etwas gibt, das sie in ihrem derzeitigen Leben vermisst, entgegnet Franzi, sie würde nicht von "vermissen" sprechen, aber es gebe schon einige Dinge, auf die sie sich am Ende der Wanderjahre freue. So nennt sie unter anderem eine eigene Küche mit eigenen Vorräten, sowie Stauraum, um wieder mehr Dinge haben zu können als das, was sie mit sich herumtragen kann. Und schließlich spricht sie auch vom Traum, eine eigene Werkstatt einzurichten.