Gut 21 Jahre ist es jetzt her, dass Ursula Gräbe sich ihren Traum erfüllt hat: Im Mai 2003 eröffnete sie die Leseinsel, ihren eigenen Buchladen in Ebern. Anfangs hatte sie das Geschäft noch gemietet, später kaufte sie das Haus und baute es um, um die Ladenfläche vergrößern zu können. Ein Wagnis sei das damals schon gewesen, sagt sie, denn als kleiner Buchladen kämpfe man immer gegen die Konkurrenz durch den Online-Handel. Umso erfreulicher sei es, dass die Leseinsel sich einen Kundenstamm aufbauen konnte, der ihr über all die Jahre die Treue gehalten hat.
Deshalb stand für Ursula Gräbe fest: "Ich hätte nie den Laden schließen können." Als sie in ein Alter kam, in dem absehbar wurde, dass sie das Geschäft nicht mehr ewig würde führen können, war klar: Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger muss her – jemand, der den Laden in ihrem Sinne weiterführt. "Ich habe lange nach dem passenden Buchliebhaber gesucht", sagt die heute 62-Jährige. Deshalb habe sie auch einigen Interessenten eine Absage erteilt, weil deren Geschäftskonzept einfach nicht mit ihren Vorstellungen zusammengepasst habe. Doch jetzt ist sie fündig geworden.
Ein Paar aus Berlin fand gefallen an Ebern
Patricia Bauer heißt die neue Eigentümerin des Hauses, in dem sich die Leseinsel befindet. "Das ist ein bisschen Zufall gewesen", erzählt die 50-Jährige, die aktuell in Berlin wohnt, langfristig aber mit ihrer Familie nach Ebern ziehen möchte. Angefangen habe es damit, dass der Freund ihrer Tochter in der Türmerstadt ein Haus geerbt hatte. Einmal sei Patricia Bauers Mann Michael Purgiel deshalb auch mit nach Ebern gefahren – und habe nach seiner Rückkehr angefangen, von der unterfränkischen Stadt zu schwärmen.
So fand das Paar Gefallen an dem Gedanken, es der Tochter gleichzutun und selbst langfristig nach Ebern zu ziehen. Allerdings haben die beiden aktuell noch Verpflichtungen in Berlin, sodass ein Umzug wohl frühestens in fünf Jahren in Betracht kommt. Dennoch machten sie sich schon jetzt auf die Suche nach einer Immobilie – idealerweise eine, die sie jetzt schon kaufen könnten, die dann aber nicht für die nächsten Jahre, bis zu ihrem Umzug, einfach leer stehen würde. So kamen sie auf das Haus, das damals noch Ursula Gräbe gehörte. In dem befindet sich nicht nur der Buchladen, sondern auch eine vermietete Wohnung.

Im Gespräch erfuhren Bauer und Purgiel dann, dass Gräbe nicht nur eine Käuferin oder einen Käufer für das Haus suchte, sondern auch jemanden, der ihre Nachfolge im Buchladen antreten könnte. "Mein Mann hat schon einen Laden in Berlin", berichtet Patricia Bauer, auch wenn die Branche eine andere ist: "Er verkauft dort Teppichböden."
Ein kleiner, niedlicher Laden
Bauer selbst bezeichnet sich als "Leseratte". Auch familiär hatte sie als Tochter einer Lehrerin und eines Lektors immer eine Verbindung zur Literatur. "Ich komme aus einer Bücherfamilie", sagt sie und zitiert den französischen Schriftsteller Philippe Djian: "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler."
Purgiel hat damit die nötige Erfahrung, wie man einen Laden führt, Bauer einen engen Bezug zu Büchern und Literatur – zusammen also gute Voraussetzungen, um einen Buchladen zu übernehmen. "Der Laden ist niedlich, klein und gemütlich", sagt Patricia Bauer. Oder, um es mit den Worten von Ursula Gräbe zu sagen: "Frau Bauer hat sich in den Laden verliebt."
Eine langjährige Mitarbeiterin übernimmt die Geschäftsleitung
So beschloss das Paar aus Berlin schließlich, nicht nur das Haus zu kaufen, sondern auch die Leseinsel zu übernehmen. Übernommen werden dabei auch die vier Angestellten, die Ursula Gräbe dort derzeit beschäftigt. "Es bleibt alles wie gehabt, nur die Frau Gräbe ist nicht mehr da", sagt die Noch-Inhaberin schmunzelnd. Am 1. Januar 2025 ist es so weit: Dann übernimmt das Käuferpaar den Laden.
Selbst führen werden die beiden das Geschäft aber nicht – was auch schwierig wäre, solange sie nicht in Ebern wohnen. Stattdessen übernimmt Linda Lang – eine der Mitarbeiterinnen, die übernommen werden – die Geschäftsleitung. Von allen Angestellten gehört sie am längsten zum Team: Seit 17 Jahren arbeitet sie in der Leseinsel und hat dort ihre Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht.
Das Team will zeigen, dass es auch ohne die Gründerin geht
"Ich kenne die ganzen Kunden mit Namen. Es ist ein schönes Miteinander", sagt die 32-Jährige. Ob sich an ihrer Arbeit viel verändern werde, wenn sie nun Geschäftsleiterin wird? "Ich denke, dass es keine Riesenveränderung wird", meint sie. Denn dadurch, dass die Leseinsel ein recht kleiner Laden ist, habe sie schon als Angestellte viele Aufgaben übernommen, die über die reine Tätigkeit als Verkäuferin hinausgehen.

Wichtig sei ihr nun, die Bedenken einiger Kundinnen und Kunden auszuräumen. Denn manche hätten schon die Befürchtung geäußert, dass mit Ursula Gräbe das "Herz das Ladens" wegfallen werde. "Wir wollen das Gegenteil beweisen", sagt Linda Lang, auch im Namen des restlichen Teams. "Wir sind hoch motiviert", betont sie. "Ich glaube, dass wir das fortführen können."
Und was bedeutet es für Ursula Gräbe, dass sie ab dem neuen Jahr nicht mehr im Laden stehen wird? "Ich liebe meinen Beruf, ich habe es gerne gemacht", sagt sie. "Es wird mir schwerfallen, daheim zu bleiben. Aber dafür habe ich jetzt viel Zeit zum Lesen."
Die Arbeit mit Kindern stand immer im Mittelpunkt
Besonders wichtig sei ihr in all den Jahren immer die Arbeit mit Kindern gewesen. Von den Leseabenden, die sie in ihrem Laden für Grundschülerinnen und -schüler veranstaltete, über die Lesetüten, mit denen ABC-Schützen ein Buch geschenkt bekamen, bis hin zu Autorenlesungen an Schulen: Ursula Gräbe berichtet, sie habe immer versucht, Kinder für das Lesen zu begeistern – und vielleicht auch diejenigen zu überzeugen, die nicht gerne ein Buch in die Hand nehmen. "Und das habe ich auch schon erreicht", freut sie sich.

So war es ihr auch ein Anliegen, dass diese Aktionen und Veranstaltungen weitergeführt werden. Auch bei diesem Wunsch kann sie auf Patricia Bauer zählen: Die hat selbst vier Kinder und ist gerade von der Idee der Leseabende besonders angetan.
Nur noch zwei Buchläden im Landkreis
Mit der Eberner Leseinsel und der Haßfurter Buchhandlung Glückstein gibt es im Landkreis Haßberge nur noch zwei Buchhandlungen. Umso dankbarer ist Ursula Gräbe, dass ihr so viele Stammkundinnen und -kunden über all die Jahre treu geblieben seien und damit auch einen Beitrag gegen das Aussterben der Innenstädte geleistet hätten – trotz Konkurrenz durch Online-Riesen wie Amazon. Für Patricia Bauer, Michael Purgiel, Linda Lang und den Rest ihres Teams wird es nun darum gehen, ob sie diese Kundschaft halten können.