Wenn ich zurückblicke auf meine Kindheit, dann gehörst auch Du dazu an die ich mich erinnere. . . . Ich kannte Dich nur als Kind. Ein kleines blondes Mädchen mit sanft gelocktem Haar. Du warst ein schönes Kind.“ So erinnert sich Ella Taupp in Lendershausen im Jahr 2009 in einem Brief an Leni Hoffman. Erinnerungen an das Jahr 1930. Bis heute hat Ella Taupp auch nicht den Tag im April 1942 vergessen, als sie zum Futterholen fuhr. Die Eltern von Leni, Fanny und Ludwig Eckmann, standen an der Ecke der Straße, die nach Schweinfurt führt. „Zwei armselige Leute standen da, mit einem Köfferchen, zum Abholen. . . . Sie standen da wie arme Bettler, mit furchtbar traurigen Gesichtern. Auf einem offenen Lastwagen wurden sie weggebracht.“
Es war Mittwoch, der 22. April. An diesem Tag mussten die jüdischen Einwohner unter 65 Jahren ihre Dörfer und Gemeinden für immer verlassen. Mit Autobus und Eisenbahn wurden sie zum Sammelplatz „Platzscher Garten“ in Würzburg gebracht und mussten am 25. April vom Güterbahnhof Aumühle ihre Reise in den Tod antreten. Für diese Reise hatten sie vorher 80 Reichsmark bezahlen müssen. Kinder unter vier Jahren fuhren umsonst.
Ihre Tochter Leni war zu dieser Zeit in einem belgischen Waisenhaus bei Brüssel versteckt. Karolina, wie Lenis richtiger Vorname war, war das einzige Kind von Fanny und Ludwig Eckmann. Sie kam am 25. August 1930 in Bamberg zur Welt. Die Familie wohnte in Lendershausen im Haus Nr. 33, vor dem ein Brunnen steht, aus dem Leni immer Wasser geholt hatte. „Meine Pumpe ist noch da“, sagte sie auf Deutsch bei ihrem ersten Besuch.
Leni war die Freude ihrer nicht mehr so jungen Eltern. Ihre Mutter stammte aus der in Lendershausen alteingesessenen Familie Stern, deren Haus Nr. 33 seit 100 Jahren im Besitz der Familie war. Lenis Vater stammte aus Burghaslach, Kreis Neustadt a. d. Aisch/Bad Windsheim. Sein Bruder Leopold Eckmann war mit Amalia Ganzmann in Burgpreppach verheiratet. Lendershausen lag im damaligen Kreis Hofheim und gehörte zum Distriktsrabbinat Burgpreppach. 1865 waren in Lendershausen noch 150 jüdische Bürger; nach deren Abwanderung in die Städte im späteren 19. Jahrhundert waren im Jahr 1935 nur noch sieben jüdische Einwohner dort. Unter ihnen Ludwig, Fanny und Leni Eckmann.
Am 12. April 1936 kam Leni in Lendershausen in die Schule. Ihre Banknachbarin Lina Schüll: „Ich weiß noch genau die Schürze, die die Leni immer anhatte. Die Schürze hatte an jeder Seite Rüschen, mit drei Knöpfen auf dem Rücken. Ich habe immer neben Leni gesessen. An Hitlers Geburtstag mussten wir alle aufstehen und jeder, auch Leni, bekam ein Brötchen. Ich weiß noch genau, dass es eines Tages hieß, ich darf nicht mehr mit der Leni spielen, weil sie Jüdin ist. Wir folgten, aber ich verstand die Bedeutung nicht.“
1937/38 wurden bei Eckmanns mehrmals die Fensterscheiben eingeworfen. Es folgten Benachteiligungen von Leni in der Schule. Eine Mitschülerin erinnert sich: „Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir alle früh aufgestanden waren, um einen Schulausflug zu unternehmen und Lehrer Seidel zu Leni sagte: Dich Jiddle brauchen wir nicht!“ Das Mädchen erinnert sich auch bis heute, wie Lehrer Seidel zu Leni sagte, dass sie ab heute nicht mehr zur Schule zu kommen brauche.
Leni Hoffman erinnert sich in ihrer Rede 1987 in der Hauptschule Knetzgau: „bis zu jenem schrecklichen Tag, als mir der Schulleiter erklärte, ich könnte nie mehr zur Schule gehen, weil Juden nicht in eine Schule mit arischen Kindern gehörten. Ich war durch seine Worte völlig am Boden zerstört. Ich verließ die Schule hemmungslos schluchzend. Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich, was ich wohl getan hatte, dass man mich einer solchen ungerechten Behandlung aussetzte. Ich wurde ohne vorherige Warnung von der Schule verwiesen. Es kam für mich und meine Eltern völlig überraschend. Wir waren schockiert. Die Schule bedeutete für mich so viel. Sie war so ein wichtiger Teil meines Lebens. Das Trauma war schwer und ich spüre die Verletzung bis zum heutigen Tag.“
Nach dem Schulverbot fuhr Lehrer Felix Kuhn aus Aidhausen zu den Kindern in ihre Dörfer, um sie zu unterrichten. Er war der letzte Lehrer für die jüdischen Kinder im Raum Hofheim. In einem Gespräch im Kibbutz Tirat Zwi, wo er ab 1941 lebte, sagte er mit Tränen in den Augen: „Ich erinnere mich noch gut an Leni Eckmann aus Lendershausen. Sie hatte immer so schöne Zöpfe mit Bändern dran.“
Nach den Vorfällen im Novemberpogrom am 10. November 1938, das sich vor allem in Hofheim abspielte, nach seiner Verhaftung und Haftzeit im Hofheimer Gefängnis, wo er geschlagen wurde, entschloss sich Ludwig Eckmann, sein Kind im Ausland in Sicherheit zu bringen. Leni erinnert sich: „Im Juli 1939 brachten mich meine Eltern an den Zug nach Hofheim. Ich war acht Jahre alt, als ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Ich fuhr dann ganz allein bis nach Frankfurt, wo ich in den Zug nach Aachen umsteigen musste. Dort war der Treffpunkt für den Kindertransport. Es war der letzte, der nach Belgien abging, bevor der Krieg begann.“
Leni wusste nicht, dass sie ihre Eltern nie wiedersehen würde.
Den zweiten Teil von „Die Geschichte der Leni Eckmann“ lesen Sie in unserer morgigen Ausgabe an gleicher Stelle.