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Maroldsweisach: Eine "dramatische Situation": Wenn die Notarztversorgung selbst zum Notfall wird

Maroldsweisach

Eine "dramatische Situation": Wenn die Notarztversorgung selbst zum Notfall wird

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    Dr. Leonore Jahn beklagt in einem Brandbrief die "dramatische Situation in der Notarztversorgung" in Teilen der Landkreise Haßberge und Rhön-Grabfeld.
    Dr. Leonore Jahn beklagt in einem Brandbrief die "dramatische Situation in der Notarztversorgung" in Teilen der Landkreise Haßberge und Rhön-Grabfeld. Foto: Lukas Reinhardt

    Der Funkmeldeempfänger, ein schwarzes Kästchen mit Lautsprecher, das in jede Hosentasche passt, schlägt Alarm. Zwei schrille Töne sorgen im ständigen Wechsel dafür, dass das Warnsignal nicht ungehört bleibt. Für Leonore Jahn, die am Wohnzimmertisch sitzt, ist nun eigentlich Eile geboten. Die 60-Jährige ist Notärztin im nördlichen Landkreis Haßberge. Doch ausrücken muss Jahn diesmal nicht: "Das ist nur ein Testalarm", sagt sie.

    Jahn führt in der Marktgemeinde Maroldsweisach neben ihrer Praxis für Allgemeinmedizin einen Standort als sogenannte Außennotärztin. Nun ist es die 60-Jährige selbst, die Alarm schlägt. Und es ist keineswegs ein Test, sondern ein dringender Notfall: "Im östlichen Landkreis Haßberge und im südlichen Landkreis Rhön-Grabfeld haben wir meines Erachtens eine dramatische Situation in der Notarztversorgung", schrieb Jahn jüngst in einem öffentlichen Brandbrief. Darin macht sie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) schwere Vorwürfe. 

    Ende Juli: 13 Einsätze in nur neun Tagen

    "Normalerweise komme ich im Jahr auf rund 200 Einsätze", sagt Jahn. Auf dem Tisch vor ihr liegt eine Liste mit Alarmierungen durch die Integrierte Leitstelle Schweinfurt (ILS): Demnach rückte die Notärztin Ende Juli innerhalb von nur neun Tagen gleich 13 Mal aus. Inzwischen scheint das die neue Normalität. 

    Das Einsatzfahrzeug der Notärztin Leonore Jahn ist mit modernster Technik ausgerüstet. 
    Das Einsatzfahrzeug der Notärztin Leonore Jahn ist mit modernster Technik ausgerüstet.  Foto: Lukas Reinhardt

    Der Grund: Ihr seit Mitte der 1990er Jahre bestehender Außenstandort, der im ländlichen Raum Lücken in der Versorgung schließen sollte, liegt in Reichweite der regulären Rettungsstellen Ebern und Bad Königshofen. Doch die seien inzwischen nicht mehr ausreichend mit Notärztinnen und Notärzten besetzt. In zwölf der 13 Einsätze, das zeigen Jahns Aufzeichnungen, war mindestens einer der regulären Notarztstandorte abgemeldet: drei Mal Ebern, vier Mal Bad Königshofen, in fünf Fällen sogar beide gleichzeitig. Die Lücken in den Dienstplänen seien in den vergangenen Jahren nach und nach größer geworden, so Jahn. "Aber Inzwischen ist es akut."

    Besetzungsquote bei 60 Prozent und weniger

    Die KVB, zuständig für die Organisation des bodengebundenen Notarztdienstes in Bayern, bestätigt auf Nachfrage bestehende Probleme an den genannten Standorten. Zuletzt seien aus beiden Dienstgruppen Leistungsträger ausgeschieden, deren Verlust bislang nicht vollständig habe kompensiert werden können. Auch weil es – anders etwa als in Ballungszentren – in der dünn besiedelten Region deutlich weniger niedergelassene Mediziner gebe, die Notarztschichten übernehmen könnten.

    Ein Blick in die Zahlen verdeutlicht das: So lag die Besetzungsquote am Standort in Ebern nach vorläufigen Auswertungen der KVB im vergangenen Juli bei 60 Prozent, am Standort Bad Königshofen bei gerade einmal 43 Prozent. 

    Die Schlussfolgerung der KVB ist trotz dieser Zahlen durchaus überraschend: Aus Sicht der Vereinigung bestehen "keinerlei Anhaltspunkte für Versorgungsdefizite" in der Region. Sollte ein fester Standort einmal nicht besetzt sein, werde der nächstgelegene Notarzt alarmiert, gegebenenfalls auch die Luftrettung, heißt es aus München.

    Mögliche Nachteile für besonders zeitkritische Fälle

    Eine Argumentation, die Leonore Jahn kennt – und trotzdem nicht gelten lassen möchte. "Wenn Coburg in die Haßberge fährt, hat Coburg keinen Notarzt mehr, dort gibt es auch nur einen. Dann müsste Lichtenfels in Coburg anrücken." Das ganze Problem verlagere sich nur in eine andere Region. "Und was die KVB völlig ignoriert, ist das Zeitfenster." Notärzte seien dann gefordert, wenn es buchstäblich um Leben und Tod gehe. Längere Anfahrten bedeuten letztlich auch Verzögerungen bei der Behandlung von besonders zeitkritischen Fällen – etwa Herzinfarkten oder Schlaganfällen. "Und Helikopter gibt es auch nur begrenzt, besonders in der Nacht."

    "Der Notarztdienst wird nur noch von ein paar Freaks aufrechterhalten."

    Dr. Leonore Jahn, Notärztin, Maroldsweisach

    "Ich übe hier keine ergänzende Funktion mehr aus", fährt Leonore Jahn fort. "Ich bin eine feste Vertretung für nicht besetzte feste Standorte – eine Lückenbüßerin." Auch das Argument der KVB, sie könne sich ja bei der ILS abmelden, möchte die 60-Jährige nicht mehr hören. Es sei kein persönliches Problem, betont sie, sondern ein Problem der Region. "Wer fährt dann, wenn Standorte wie Ebern und Bad Königshofen beinahe täglich nicht besetzt sind?", fragt die 60-Jährige und wird noch deutlicher: "Der Notarztdienst wird nur noch von ein paar Freaks aufrechterhalten." Menschen, die trotz aller Umstände weitermachen. Leonore Jahn ist eine von ihnen.

    Immer weniger Mediziner im ländlichen Raum

    Leonore Jahn, die an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Medizin studiert und an der Technischen Universität (TU) promoviert hat, ist seit 1992 niedergelassene Ärztin in Maroldsweisach. Inzwischen ist sie auch Leitende Notärztin im Kreis Haßberge, sprich: Im Katastrophenfall oder bei Großschadensereignissen koordiniert und überwacht sie alle medizinischen Maßnahmen. Eine Notfallmedizinerin mit Leib und Seele also. Doch von denen scheint es immer weniger in den ländlichen Raum zu ziehen. Inzwischen musste nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung auch die Klinik in Ebern "ihr Engagement im Notarztdienst reduzieren".

    Defibrillator für den Einsatz: Notärztinnen wie Leonore Jahn rücken auch bei Herzinfarkten aus.
    Defibrillator für den Einsatz: Notärztinnen wie Leonore Jahn rücken auch bei Herzinfarkten aus. Foto: Lukas Reinhardt

    Während sich das Landratsamt Haßberge in seiner Stellungnahme auf die Einschätzung der KVB beruft, wonach "die notärztliche Versorgung gesichert" sei, scheint im Landkreis Rhön-Grabfeld das Besetzungsproblem in der Verwaltung angekommen zu sein. Der Standort Bad Königshofen sei hier "erheblich betroffen", erklärt Landrat Thomas Habermann (CSU) auf Anfrage. 

    In seinen Augen tue die KVB zu wenig gegen dieses Problem. Sie müsse "ernsthafte Anstrengungen unternehmen", um Dienstplanlücken zeitnah und effektiv schließen zu können. "Derzeit wird der Notarztdienst hauptsächlich aus der ärztlichen Freizeit geleistet", so Habermann. Ein weiteres Problem ist laut dem CSU-Landrat das Zahlungsgefälle im Vergleich zum Nachbarn Thüringen: "Es bedarf in Bayern einer deutlichen Verbesserung der Notarztvergütung insbesondere in einsatzschwächeren ländlichen Bereichen, damit auch hier der Notarztdienst nicht weiter an Attraktivität verliert."

    KVB sieht Verantwortung auch bei anderen 

    "Das Steigern der Attraktivität des Notarztdienstes ist keine alleinige Aufgabe der KVB", heißt es hingegen aus München. Dort sieht man auch andere Akteure in der Pflicht, wie etwa die Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) sowie die Krankenkassen. Aber auch die Städte und Gemeinden: So habe laut KVB für ein Projekt zur Verbesserung der Besetzungssituation "zu unserem Bedauern auf kommunalpolitischer Ebene kein Konsens zur Weiterführung" gefunden werden können. Welches Projekt konkret gemeint ist, lässt die Vereinigung offen. Im Herbst aber seien weitere Gespräche mit dem zuständigen Zweckverband geplant.

    Auch Leonore Jahn wünscht sich ein gemeinsames Gespräch, "doch die KVB ignoriert mich seit Jahren", sagt die Notfallmedizinerin. Ein konstruktiver Austausch darüber, wie es mit dem Notarztdienst in der Region "vernünftig weitergehen" könnte, ist aus ihrer Sicht dringend nötig. Denn: "Ich bin auch keine Lösung für die Zukunft", betont die 60-Jährige. Sie hofft, mit ihrem Brandbrief eine langfristige Veränderung hin zum Guten anzustoßen. 

    Zuständigkeiten in der notärztlichen VersorgungDie Sicherstellung der notärztlichen Versorgung ist grundsätzlich Aufgabe des Freistaats Bayern unter der Zuständigkeit des Bayerischen Innenministeriums. Mit dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz wurde die Organisation und Sicherstellung des bodengebundenen Notarztdienstes unter anderem an die Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) sowie die KVB übertragen. Die Finanzierung des Notarztdienstes ist Aufgabe der Krankenkassen und der Unfallversicherungsträger.Quelle: KVB

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